Ich bin jemand, der in der Liebe nicht sehr kompromissbereit ist.
Ich bin der etwas unorthodoxen Auffassung, dass man sich bei jedem Kompromiss ein wenig mehr selbst aus den Augen verliert, denn ein Kompromiss ist nichts anderes, als zumindest ein Stück weit etwas zu tun, was man eigentlich nicht tun will.
Oder kürzer: Kompromisse sind für die Tonne.
Zumindest, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht. Ich rede hier nicht davon, was es morgen zum Mittagessen geben soll oder davon, welche Farbe die nächste Couchgarnitur haben soll. Ich rede von Dingen wie dem, welches der TE angesprochen hat.
Zunächst einmal ist es wichtig, über solche Wünsche zu sprechen, wenn sie einen entscheidenden Teil der Persönlichkeit und des Seelenlebens ausmachen. Wenn es sich also nicht um einen kurzen Spleen oder eine vorübergehende Neugier handelt, sondern um Veranlagung, wie der TE schreibt. Eine Veranlagung ist für mich ein Teil der Persönlichkeit und ich möchte in einer Beziehung nicht Teile meiner Persönlichkeit dauerhaft verbergen müssen. Das ist wie ein amputierter Arm. Früher oder später gibt es Phantomschmerzen.
Aber wir sollten ja auch die Position des anderen Partners beleuchten. Angenommen also, ein Partner sagt, er wünsche sich seit jeher Sex mit anderen, Sex mit mehr als zwei Menschen, Sex auf diese oder jene Weise. Dann wäre ich wohl auf der einen Seite erst mal sehr erfreut, dass dieser Mensch mir so sehr vertraut, dass er mir davon erzählt. Auf der anderen Seite... so, und nun kommt es darauf an. Kann ich als anderer Part mir denn solche Dinge vorstellen? Wie ist denn meine generelle Einstellung zu Sex? Bin ich ein eher offener Mensch, der sich Spiele und Experimente vorstellen kann? Bin ich vielleicht auch selbst neugierig oder werde durch die "Beichte" meines Partners neugierig? Kitzelt es im Magen? Oder ist das Kitzeln eher eine aufsteigende Übelkeit, weil ich mir sowas überhaupt GAR NICHT vorstellen kann. Weil Sex für mich etwas total intimes ist, dass nur zwischen mir und dem Mann, den ich liebe, laufen kann und soll und darf. Fühle ich mich negativ berührt, überfahren, überfordert oder sogar abgestoßen?
Dann bin ich verpflichtet, auch DAS ganz deutlich zu sagen. Es muss ja eine unschöne Szene mit unsachlichen Vorhaltungen daraus werden, aber ich sollte schon ehrlich sein. Denn mein Partner war zuvor auch mutig und ehrlich. Nicht weniger schulde ich ihm.
Selbst, wenn das bedeutet, dass dann zwei konträre Positionen auf dem Tisch liegen.
Man wird dann letztlich sehen müssen, welches die bessere Lösung ist.
Hier kann ich wieder nur aus meiner persönlichen Sicht sagen: ein so großer Kompromiss wäre für mich nicht gangbar. Ich könnte mich nicht so verbiegen, etwas so wichtiges zu tolerieren, wenn es gegen mein innerstes Empfinden verstößt. Und nein, ich würde meinem Partner zuliebe auch nicht so tun als könnte ich es. Denn ich denke, so ein Verhalten beschädigt die Beziehung auf längere Sicht genauso.
Keine Kompromisse bei so wichtigen Dingen.
Nun kann man dagegen halten, dass man eine lange Partnerschaft nicht mal so hopplahopp wegwirft. Das stimmt sicher. Aber ich frage mich dann wirklich, wie eine Partnerschaft lange bestehen konnte, OHNE dass so wichtige Dinge angesprochen werden. Ich muss daraus folgern, dass der eine Partner seine Neigung lange verheimlicht oder unterdrückt hat. Und macht diese Tatsache die Beziehung dann nicht sowieso weniger stabil als man dachte?
Ich denke, dass man nur dieses eine Leben hat und man sollte nicht Jahre davon vergeuden, indem man sich selbst in die Tasche lügt oder verleugnet. Das gilt dann für beide Partner. Den, der seine Neigung verschweigt und den, der so tut als könne er sie akzeptieren, obwohl er so eigentlich nicht empfindet.