Dass Regeln wichtig sind, ist ja offenbar Konsens.
Und sie sind eine bewußte Einschränkung der eigenen Freiheit zum Wohl des Zusammenlebens, die aber wiederum andere Freiheiten ermöglichen. Wenn also beispielsweise ein Strafverfahren lange dauert, ist das sicher ärgerlich, aber dem liegen andere, freiheitswahrende Regeln zu Grunde, wie z.B. das Recht, sich selbst oder die Familie nicht zu belasten. Insofern sind Regeln immer ein Tausch der einen Freiheit gegen die andere.
Sie ergeben natürlich nur Sinn, wenn Sie durchgesetzt werden (können).
Komplizierter finde ich die Frage, wie sie entstehen (sollten).
Zum einen müssen sie dynamisch sein, weil sich Welt und Gesellschaft ändern. Sie dürfen aber nicht zu dynamisch sein, weil man sich ja an sie gewöhnen und sich auf sie verlassen können muß. Ein Unternehmen wird z.B. nur schwer groß investieren, wenn es nicht weiß, ob die Abschreibungsregeln nächstes Jahr noch gelten, und die Tochter will aus gutem Grund wissen, ob sie auch morgen noch einen Unbekannten beim Frühstück vorstellen darf. Und da sind wir bei Hierarchie und Demokratie: Solange Töchterchen 13 ist, hat die Elternschaft sicher andere hierarchische Rechte als nach dem 18. Geburtstag. Ubd je größer die Gruppe, desto komplexer: Dass sich eine erschütternd große Zahl von Menschen, sogar jungen Menschen, eine andere Regierungsform als Demokratie vorstellen kann, ist m.E. der zunehmend bedrohlich empfundenen Komplexität geschuldet, damit wird sowohl Verständnis als auch Mitgestaltung der Regeln (und sich auf der Straße festzukleben, kann man sicher so und so bewerten, aber am Ende des Tages ist es genau das: Ein Versuch, schneller als über die parmalentarische Ochsentour die Regeln mitzubestimmen, weil die Ochsentour in diesem Punkt zu langsam ist und bisher versagt.) sehr viel komplizierter.
Individuelle Moral als ein Regelsatz ist im Übrigen nicht angeboren, sondern entsteht; zum nennenswerten Teil während der Kindheit, ist aber nicht in Stein gemeißelt und kann sich auch später ändern.
Dann gibt es Regeln, die aus weniger guten Gründen erfunden werden: typischerweise Machterhalt einer Teilgruppe (seit Jahrhunderten z.B.: weiße Männer), die sich irgend etwas wie "genetische Überlegenheit" oder zwei Steintafeln ausdenken, um damit Hierarchien zu festigen.
Gute Regeln sind außerdem nicht vollständig, nicht nur, weil sie es nicht können (Jurist:innen hassen dieses Argument), sondern auch nicht sollen. Es lassen sich nie alle Umstände vorhersehen und im Detail festlegen. Und deswegen gehört zu jeder Regel auch das Verständnis des "Warum", um die offenen Teile der Regel in dem Moment auffüllen zu können, in dem man an die ungeklärten Punkte kommt. Wenn Töchterchen also um Punkt Mitternacht zu Hause sein soll, ist es gut, wenn Sie verstanden hat, dass dahinter Sorge steckt und nicht Schikane. Wenn Kumpel 1, mit dem die Rückfahrt vereinbart war, ein Bier zu viel hatte und die Alternative ein Taxi ist, das aber erst in einer Viertelstunde kommt, ist es also gegen den Wortlaut, aber im Sinn der Regel, wenn sie 00:15 zu Hause ist.
Es gibt also, finde ich, aus gutem Grund Menschen, die sich beruflich mit so was befassen ...