Ängste
In dem Toleranz Thread schreibt Art-of-Pain etwas meines Erachtens sehr wichtiges.
Von anderen Menschen Toleranz zu fordern hat etwas mit Angst zu tun. Angst, derjenige mit den intoleranten Ansichten könnte Macht über mich gewinnen.
Ich bin jetzt viele Jahre mit einem schwulen Mann befreundet, wir kennen uns noch aus Teentagen und ich habe die ganze Entwicklung von Verleugnung über „ich erzähle es Dir, aber Du darfst es keinem sagen“ über „ich habe es Einigen wenigen erzählt“ bis zu „wer mich fragt kriegt auch eine Antwort“ miterlebt und er ist nie auf Ablehnung gestoßen. Seine ganze Aufregung rund ums Outing habe ich damals gar nicht verstanden.
Ich bin in einem recht liberalen Elternhaus groß geworden, meine Eltern, beide über 60, verkehren selbstverständlich und entspannt mit ihren neuen homosexuellen Nachbarn. Bis vor ein paar Jahren war die Welt für mich in Ordnung. Schwule Bürgermeister und Parteivorsitzende haben mich sicher gemacht: „heute würde ein schwuler General nicht mehr geschasst“.
Diskriminierung kannte ich als Christin und Vegetarierin in einem sehr kleinem Ausmaß, nicht der Rede Wert, wenn so ein paar Spinner mal meinten, mich bekehren zu müssen.
Vor ein paar Jahren passierte folgendes: Ein Bekannter von mir, der ehrenamtlich eine Gruppe von Jungs betreut und zufällig homosexuell ist, wurde von Eltern angezeigt, weil er angeblich die Kinder sexuell belästige. Das Umfeld hat erfreulich gut reagiert, obwohl die Polizei sich grottenschlecht und falsch verhalten hat, und es sind keinerlei Konsequenzen daraus entstanden. Aber für ihn stand die Bedrohung im Raum, seine geliebte Freizeit Beschäftigung aufgeben zu müssen, weil ein paar Spinner den Unterschied zwischen Schwul und Phädophil nicht blickten. Und leider haben solche Spinner in unserem Staate doch irgendwie Macht. Die Tränen, die Aufregung, die Verzweiflung in dieser Situation und dieses Gefühl von Ohnmacht und Wut werde ich nicht so schnell vergessen.
Dreimal dürft Ihr raten was ich in meiner Freizeit gerne mache. Nun stellt Euch mal vor, Leute wie Legacy haben ein Kind in der Gruppe und finden raus, was ja angeblich nur 30% meiner Persönlichkeit ausmacht…
Bei den Swingern lese ich solche Überlegungen auch: „sagen wir es den Kinder“, „Wissen es Eure Eltern“, „Habt Ihr Angst, dass es die Kollegen rauskriegen“, „Fotos beim Clubbesuch“, „Swingen mit dem Nachbarn“ sind Themen, die mich auch interessieren.
Ich trage mein Herz auf der Zunge und würde eigentlich gerne mit Menschen meines Umfeldes über Dinge reden. Nicht über Sex konkret, das geht eh keinen Was an, aber wenn ich was lustiges hier im Forum gelesen habe, oder eine Situation wie diese hier…Gestern war ein Kumpel vom meinem Mann zu besuch und ich hätte so gerne meinem Herzen Luft gemacht, ging aber nicht, also habe ich so was gesagt wie
“ist son Frauenforums Ding, wo es um Liebe und so geht, und da war Streit, das hat mich etwas aufgeregt“ Zum Kotzen.
Ich würde sooooo gerne mit Smuc auf dem Kirchentag den Stand betreuen, überhaupt würde ich gerne Öffentlichkeits-Arbeit machen, ich will es herausschreien: „ich habe endlich heraus gefunden, was mir so lange eine rundherum befriedigende Sexualität und Partnerschaft unmöglich gemacht hat.“ Und alle, die ähnliche Probleme haben sollen wissen: „das ist nichts Schlimmes, damit kann man wunderbar leben…“
Wenn ich abwäge, was ich damit aufs Spiel setzte und auf meinem Mann höre, den ich ja mal eben mit outen würde, bin ich still…
Früher oder später ändert sich das, ich weiß, dass es in mir wächst und irgendwann finde ich den Weg mit Menschen meines Umfeldes zu reden (die engsten Freunde wissen es schon und fanden es nicht weiter aufregend). Aber was ist mit den Betonköpfen, von denen ich noch gar nicht weiß, dass sie es sind? Und was ist beruflich zu erwarten, ich stehe mitten in der Öffentlichkeit…?
Bis dahin erwarte ich zumindest von den Mitgliedern eines Forums wie diesem, dass sie mich samt meiner Liebe, Lust und Leidenschaft akzeptieren, wer das nicht kann ist hier verkehrt.
Schön, dass über all dieser Aufregung, und für mich war sie sehr real, quasi ein Testlauf für die „Wirklichkeit“, zumindest mal klar haben, dass Swinger und BDSMler im gleichen „Anti- Diskriminierung-s-Boot“ sitzen.
Es gibt dieses nette Sprüchlein:
"Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen"
Francois-Marie Arouet
Das mit dem Leben finde ich etwas überzogen aber abgewandelt in:
„Ich teile Deine Sexualität nicht, aber ich würde viel dafür tun, dass Du sie leben kannst“
(und wie wir gelernt haben sind folgende Einschränkungen von Nöten: sofern sie concensual, nicht pädophil und legal ist) könnte ich das schon unterschreiben. Nach aktueller deutscher Gesetzeslage, wohlgemerkt, wenn die Schraube da mal wieder enger gedreht werden sollte, wird es für mich dadurch nicht verwerflicher. In den USA haben einige Randgruppen ja gerade mal wieder „Spass“.
Ich bedanke mich für Lob und Küsschen, was meine Recherchen angeht.
Im Gegensatz zu Tom , halte ich das Ganze aber nicht für einen Fake, sondern für einen perfekten Zeitpunkt für ein gewisses Paar, mal wieder intensiv miteinander zu reden und eventuell eine Partner Beratung oder Therapie zu machen. Daran ist nichts anstößig, das hilft oft wirklich weiter und auch für Swinger gibt es bestimmt Kink-aware-Professional. Wenn nicht wird’s Zeit dafür zu kämpfen, ich mache mit.
Liebe Grüße in beide Runden.
Alre