Für mich stand ganz am Anfang unserer Beziehung fest, dass ich neue Wege gehen wollte und es mit einer offenen Beziehung probieren wollte. Auch mein neuer Partner stand diesem Vorschlag offen gegenüber. Wahrscheinlich, weil wir beide schon andere verschiedene Beziehungsformen hinter uns hatten.
Ich denke in einer offene Beziehung, also die im gegenseitigen Einvernehmen gewährte Freiheit, innerhalb der Beziehung noch andere Sexualpartner haben zu
können, nicht muss, kann die Zufriedenheit der Partner festigen, da die Bedürfnisse von verschiedenen Menschen aufgefangen werden, die der eine Partner nicht erfüllen kann.
Es ist mich auch nichts Ungewöhnliches, in sich den Wunsch nach Körperlichkeit mit verschiedenen Partnern zu spüren. Es ist auch nichts Verwerfliches oder Abwegiges. Kein Mensch kann für den Anderen
ALLES sein, kein Mensch kann auf
alle Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse des Gegenübers eingehen.
Denn eigentlich ist jeder von uns „untreu“ im Sinne von sexueller Monogamie. Ob die so genannte „Untreue“ mit anderen Partnern ausgelebt wird heimlich, im Internet auf spezialisierten Seiten oder in Form von Masturbationsphantasien, Pornofilmen, spielt keine Rolle. Ich glaube ein Missverständnis liegt in der Annahme, dass Sex in Außenbeziehungen die Stabilität einer Partnerschaft grundsätzlich erschüttert. Das
kann sein, muss aber nicht.
Es ist einfach von den einzelnen Menschen abhängig. Manchmal geschieht sogar das Gegenteil: Durch die ehrliche Auseinandersetzung der Liebespartner mit intimsten Bedürfnissen wird das gegenseitige Vertrauen gefestigt!
Der Treuebegriff lässt sich daher nicht pauschalisieren, sondern muss individuell definiert werden. Ist damit wirklich Monogamie gemeint? Oder ist es nicht ein viel größerer „Treuebeweis“ an den Partner, wenn ehrlich und ohne Doppelmoral über sexuelle Wünsche und Phantasien gesprochen wird?
Man hat vielleicht das Gefühl, dass etwas fehlt, denn Sehnsucht kann viele Namen haben.
Es gilt in unserer Gesellschaft als erstrebenswert, eine jahrzehntelange, monogame Beziehung zu führen. Um dieses Ideal zu erfüllen, halten viele Partner an einer festen Beziehung fest.
Ganz ehrlich: Wie viel „Beziehung“ findet zwischen zwei Menschen statt, die vor lauter unausgesprochenen Wünschen das Lachen verlernt haben und starre Rollenmuster leben? Auch Menschen ausserhalb des JC. Oft werden die Bedürfnisse verdrängt, so gut es geht oder kompensiert sie im Verborgenen. Hauptsache, der Schein wird gewahrt. Bis sich eines Tages das Gefühl, eine Lüge zu leben, Bahn bricht. Dieser Champagnerflaschen-Effekt kann alles zerstören, was bisher durch unbewusstes Verdrängen zusammengehalten wurde.
Wir haben uns einfach mal gefragt: Bin ich glücklich? Bist du glücklich? Fehlt uns etwas? Wenn ja, sind wir mutig genug, es zu benennen? Können wir uns unsere Wünsche erfüllen oder liegt die Lösung in einer Ergänzung der Zweisamkeit durch Außenpartner?
Von sonst gewohnter monogame Beziehung plötzlich in eine offene zu gehen, ist nicht leicht. Partner, die sich neu kennenlernen und sich von Anfang an Sex mit anderen Partnern zugestehen, haben es manchmal einfacher. Und zwar dann wenn alte Strukturen als Sackgasse erkannt und über Bord geworfen werden, es ist aber auch Fingerspitzengefühl gefragt – und ein dickes Fell gegenüber dem Umfeld, welches den „Neustart“ unter Umständen mit Vorurteilen belastet.
Zu Anfang habe ich mir die Frage gestellt und beantwortet: Schaffen wir es, unsere emotionale Exklusivität als Paar zu bewahren und gleichzeitig sexuelle Kontakte mit Dritten auszuleben? Ist das Kräfteverhältnis in unserer Beziehung ausgeglichen? Stellt auch ganz sicher keiner von uns die eigenen Bedürfnisse über die des Anderen? Kann ich im Fall der Fälle mit meiner eigenen Eifersucht umgehen?
Eine ganz wichtige Voraussetzung für mich war, um überhaupt in Richtung einer offenen Beziehung zu denken, die Fähigkeit, das eigene Gefühlsleben, aber auch das Gefühlsleben des Partners reflektieren zu können. Es ist wichtig, offen über Befürchtungen und Bedürfnisse sprechen zu können und der
eigentlichen Beziehung i
mmer die höhere Priorität einzuräumen.
Nur wenn dies der Fall ist, kann aus meine Sicht die so genannte Offenheit die Beständigkeit der Beziehung erhöhen. Sollten die Dinge allerdings aus dem Gleichgewicht geraten, sollte also Offenheit ohne die notwendige Ehrlichkeit stattfinden, dann kann sie genau so zur Belastung werden.
In der Diskussion hierüber sahen wir für uns eine Chance, sich ganz neu kennenzulernen, in jeder Hinsicht besonders in sexueller. Dabei gilt es, ehrlich sich selbst gegenüber zu sein. Wer nur mitspielt, weil er Angst hat, den Partner zu verlieren, stellt sich selbst die Lizenz zum Unglücklichsein aus. Ja zu sagen, aber sich dabei mit Eifersucht und Verlassensängsten zu quälen, gleicht wie einem heimlichen Fremdgehen.
Nachdem wir beide mit dem „offenen Modell“ einverstanden waren, hat jeder für sich erstmal klare Rahmenbedingungen definiert, die dann zusammen diskutiert wurden. Wo liegen die Grenzen? Werden sexuelle Wünsche mit langjährigen Bekannten ausgelebt, mit Fremden oder in einem Swingerclub? Oder mit befreundeten anderen Paaren, die dasselbe Beziehungskonzept leben? Wo? Welche Personen sind tabu? Arbeitskollegen, gemeinsame Freunde zum Beispiel sind ein heikles Thema.
Mir wurde aber auch bewusst, damit wir beide uns wohl fühlen in unserer offenen Beziehung und die gewachsene, Liebe zum Partner/in nicht verwundbar wird, muss mit offenen Karten gespielt werden. Auch den Außenpartnern gegenüber! Diese sind schließlich auch Menschen mit Gefühlen, auch sie müssen wissen, woran sie sind. Dass zum Beispiel die
Basisbeziehung nicht zur Disposition steht. Und dass zwischen den Liebespartnern absolute Offenheit und Ehrlichkeit herrscht.
Geheimniskrämerei mit Außenpartnern ist ein No-Go. Wer eine offene Beziehung wagt, verpflichtet sich zu einer tieferen Form der Ehrlichkeit als in konventionellen Zweierbeziehungen!
Es kann natürlich trotzdem vorkommen, dass die sexuelle Freiheit einen schalen Beigeschmack hat. Was in der Theorie mit den Rahmenbedingungen so harmonisch klingt, kann in der Praxis übles Kopfkino bedeuten, Eifersucht, Misstrauen, Verlassensängste.
Natürlich kamen auch Argemunte gegen eine offene Beziehung in mir hoch, sprich der Wunsch, den Partner ganz für sich zu haben, Vertrauen entwickeln zu können, ihn oder sie nicht teilen zu müssen, ein sicheres 'Revier' um die Beziehung herum zu wissen. Das kann durch Nebenbeziehungen erschwert bis unmöglich gemacht werden.
Nach reiflicher Überlegung haben diese für mich aber an Bedeutung verloren, denn es wurde mir auch klar, wenn ich so denke, dann will ich meinen Partner besitzen und das ist nicht möglich. Auch ich möchte nicht das mein Partner meint er besitzt mich.
Mir wurde ganz deutlich, die offene Beziehung ist also ein Modell, das hohe Anforderungen an die Beteiligten stellt. Nur wenn wir uns stark genug fühlen, kann daraus eine Bestärkung auch für die gesamte Beziehung folgen, was zwei Menschen ursprünglich zueinander geführt hat; Vertrauen, bedingnungslose Liebe, Geborgenheit und Nähe.
Für mich war daher eine mehrmonatige „Probezeit“ deshalb sinnvoll, damit wir beide herausfinden, ob wir mit dem offenen Beziehungsmodell klar kommen oder nicht. Und wir reflektieren uns auch immer wieder mal, ob die Sichtweisen noch übereinstimmen.
Das Unwohlfühlen, die Eifersucht liegt nämlich nicht zwangsläufig daran, dass andere Sexpartner involviert werden, sondern sind eher ein Zeichen von Unsicherheit im gegenseitigen Vertrauen, Ängste oder zu sich Selbst. Dagegen hilft nur ehrliche Kommunikation. Und im Zweifelsfalle Konsequenz: Zurück zur Monogamie oder Trennung. Falls es bei uns mal zu einer Trennung kommen sollte, was man ja nie weiß, egal ob man in offener oder festen Beziehung lebt, hängt es eher an anderen Dingen die auch noch eine Beziehung ausmachen, die nichts mit einer offenen Beziehung zu tun haben.
Liebe wird nicht weniger, wenn man sie teilt, sondern mehr
Ich habe zu Anfang das ganze mal ganzheitlich betrachtet:
Wem gehört mein Körper? Dem Partner? Dem Umfeld? Den Schwiegereltern? Meine Selbst ist eine wunderbare, vielschichtige Einheit, zu der die körperliche Liebe ebenso gehört wie jede andere emotionale Ausprägung. Leider ist durch das riesige moralinsaure Minenfeld aus Schuld, Verletzungen, Gewissensbisse, Scham und Vorverurteilung fast unmöglich, als ganzheitlich empfindendes Individuum zu leben. Weil die Idee, dass körperliche wie emotionale Liebe auf einen einzigen Menschen beschränkt sein muss, die eigene freie
Selbstentfaltung blockiert.
Ich liebe dich. Warum bedeutet das oft „ich besitze dich“? Sind Besitzansprüche nicht genau das Gegenteil von Liebe? Müsste es nicht heißen „Ich liebe dich so sehr, dass du alle Erfahrungen machen kannst, die du machen willst, d.h. ich liebe dich bedingungslos. Ich liebe dich so sehr, dass ich möchte, dass du zu deinen Bedürfnissen stehst, statt sie zu verheimlichen. Ich liebe dich so sehr, dass es nichts gibt, wofür du dich mir gegenüber schämen müsstest“.
Das ist für mich eher die Grundlagen für eine authentische Liebesbeziehung.
Was uns in einen Gespräch etwas irritierte, war die Tatsache, dass keiner von uns das Verlangen hatte und auch jetzt noch nicht hat seine sexuellen Wünsche bei anderen Partner auszuleben, obwohl wir es beide könnten.
Der natürliche Impuls, Neues und Aufregendes zu erleben wird aufgelöst, gleichzeitig aber gewährt die Beziehung den Komfort des Vertrauten, der Nähe und der Geborgen- und Sicherheit.
Vielleicht auch, weil wir beide nicht von vorn herein „Nein“ sagen zu Neuem, sondern es erstmal probieren, sofern es die Grenzen des Einzelnen nicht überschreitet. Wer weiß vielleicht kommen andere Wünsche im laufe unserer Beziehung noch zu Tage, die der Partner/in nicht erfüllen kann, möchte. Dann erst wird evtl.der Fall Außenbeziehung eintreten, allerdings mit Wissen des Partners.
Es wird kein betrügen oder belügen geben, nichts heimlich.
Keiner kann aber auch sagen, das sich im Laufe meines Lebens sich meine Sichtweise nicht auch mal ändert. Es ist also vieles Offen. Die Zeit wird es zeigen.
Es gehört viel Mut, Offenheit und Reflektionsvermögen dazu, eine monogame Partnerschaft zu leben. Wenn ein Paar das schafft, kann ich nur gratulieren. Aber es gehören ebensoviel Mut und Ehrlichkeit dazu, eine offene Beziehung zu leben. Doch ich finde der Einsatz lohnt sich, denn eine offene Partnerschaft kann die Alternative zu einer monoganen Beziehung, die gemäß unserer Konventionen nur um ihren Selbstwillen existiert, sein.
Im Moment lebe ich die offene Beziehung einfach mit meiner Gelassenheit. Ergänzend muss ich sagen, bezieht sich der Begriff „offene“ Beziehung für mich nicht nur auf den sexuellen Teil, wie es nach WIKI definiert ist. Sondern für mich ist es auch eine Art Lebensphilosohie die sich auch in den anderen Bereichen innerhalb einer Partnerschaft widerspiegelt.
Ich bin auf ein Zitat eines Paares aufmerksam geworden, das es bisher geschaftt hat:
„Wir sind seit 22 Jahren verheiratet und in einer offenen Beziehung und wollen miteinander alt werden. Unsere Partnerschaft ist
unantastbar. Unsere einzige Bedingung ist Freiheit. Die Freiheit, eigene Gedanken zu haben ebenso wie die Freiheit, Liebe zu anderen Menschen ausleben zu
dürfen, können aber nicht zu müssen.
Also gestehen wir uns dies gegenseitig zu. Nicht weil wir uns nicht lieben würden. Sondern weil wir uns so sehr lieben, dass wir uns bedingungslos vertrauen, mit der Geborgenheit, der Nähe und wollen das der andere glücklich ist!"
Und wer würde schon wagen zu behaupten, dass aus einer offenen Beziehungen nicht das alte Ehepaar werden kann, das später mal mit falschen Zähnen in die Kamera grinst, an die alten, die wilden Zeiten zurückdenkt und froh darüber ist, nichts verpasst zu haben?
Feuer (sie)