Passiert das, ist es Abhängigkeit
Rechtfertigt Liebe wirklich bedingungsloses Vergeben und Verzeihen?
Nein! Irgendwo muß Schluß sein. Wenn man sich selbst auch nur nur etwas wert ist.
Darf Liebe so weit gehen, dass der Mensch seine eigenen Grundsätze über Bord wirft? Dass der Mensch Dinge zulässt, die ihn leiden lassen?
Nein. Aber das passiert ja nicht von einem Tag auf den Anderen. Es ist ein schleichender Prozeß. Man merkt es selbst nicht. Hier ein kleiner Schritt, dort ein wenig mehr als sich gut anfühlt. Minischritte auf den Partner zu. Im Sinne der Liebe. Weil Liebe und Partnerschaft ja auch Kompromisse erfordern. Und man liebt, also beißt man eben mal in den sauren Apfel.
Und irgendwann ist der saure Apfel Gewohnheit. Schmeckt süß. Dann nimmt man noch viel saurere Äpfel gar nicht mehr so wahr, man ist ja dran gewöhnt. Und der Schritt ist nicht mehr so groß.
Könnte man sich aus der Situation lösen, sie von außen betrachten, würde man sehen, daß man weitab der eigenen Grenzen steht. In einem Gebiet, daß schon lange nicht mehr gut tut. Durch die Minischritte fühlt es sich aber an, als wäre man noch innerhalb seiner Grenzen. Oder steht vielleicht mal drauf. Man merkt zwar, daß sich die Grenzen verschoben haben. Aber hey... Das ist doch normal. Liebe, Partnerschaft, Kompromisse.
Wo liegen die Grenzen der Liebe, wenn es um Verfehlungen des Partners geht?
Für mich mußte ich lernen: wenn mein Vertrauen derart mißbraucht wurde, daß ich niemals wieder vertrauen könnte. Das war für mich der Punkt, der den Ausstieg einigermaßen möglich machte. Mittlerweile erkenne ich, daß ich schon sehr sehr früh meine Grenzen mißachtet habe. Tatsachen ignoriert. Der Weg war vorgezeichnet, ich wollte nur nicht hinsehen. War blind vor Liebe.
Mein Vertrauen wurde auch vorher schon massiv mißbraucht. Durch seinen grenzenlosen Egoismus. Den er dann auch noch geleugnet hat. Aber selbst dieser Schmerz war noch nicht schlimm genug. Es mußte noch schlimmer werden, daß ich es wirklich nicht mehr ertragen konnte.
Ist es wirklich noch "Liebe", wenn man dem Partner alles verzeiht?
Nein. Das ist Abhängigkeit. Oder Hörigkeit. Oder schlicht mangelnde Selbstliebe / mangelnder Selbstwert.
Ist es wirklich "Liebe", wenn ein Mensch über den Partner, der ihm Gewalt angetan hat, sagt "Ich liebe ihn/sie aber doch" ?
Jain. Es fühlt sich so an. Aber tatsächlich ist es die Sucht, die da spricht. Der Hormoncocktail, der durch das ewige komm-her-geh-weg befeuert wurde. Der Dramazyklus aus Streit und Versöhnung. Und vermeintlichen Kompromissen gepaart mit Zukunftsversprechungen.
Tatsächlich ist Liebe aber nicht Leid und Kampf und Schmerz und Opfer bringen. Auch nicht, sich verbiegen müssen oder anpassen. Und auch nicht Selbstaufgabe.
Liebe ist Annahme. Akteptanz. Tut mir jemand durch diesen Dramazyklus nicht gut, muß ich eben annehmen und akzeptieren, daß mich gegen eine Liebesbeziehung mit ihm entscheiden muß. Und für eine, die ein Leben lang halten und mich nie enttäuschen wird: die Liebesbeziehung zu mir selbst. Dann passiert es auch nicht noch einmal, daß ich jemanden derart über meine Grenzen latschen lasse und er meinen emotionalen Vorgarten komplett umpflügt.
Ich brauchte die Lektion einer toxischen Beziehung mit Co-abhängigen Mustern um zu wachsen. Das war notwendig. Und so schmerzhaft das ist, so dankbar bin ich für die Möglichkeit, mein (Wachtums-) Potential zu erkennen.
War es Liebe? Das lasse ich mal unbeantwortet. Für mich war es jedenfalls eine wertvolle Lektion.
Hat er mich geliebt? Gesagt hat er es. Manchmal konnte ich es auch sehen. Und fühlen. Aber seine Taten sprachen oft eine ganz andere Sprache. Die Antwort auf diese Frage ist aber auch unerheblich. Was bleibt ist das, was ich dadurch lernen durfte.
An eines glaube ich: liebt man sich wirklich, gibt es keine so großen Fehler, deren Verzeihen ein großes Opfer darstellen. Denn dann achtet man sich in jedem Moment. Und achtet eben auch darauf, den Anderen nicht zu verletzen. Muß ich wirklich schlimme Dinge verzeihen, hat der Andere schlicht nicht an mich und mein Wohl gedacht.