@solana
das thema "lüge und wahrheit" fasziniert mich, deshalb möchte ich ergänzend zu meinem beitrag im thread: "abschaum menschheit" noch zwei aspekte anfügen:
der erste betrifft die abendländisch-christlich-jüdische prägung im umgang mit lüge ausgehend von den zehn geboten: in der biblischen lutherübersetzung wird die ursprünglich spezifische fassung, wie sie bei martin buber zu finden ist ("aussage nicht gegen deinen genossen als lügenzeugen", buch "namen, 20, 7-15,
http://abcphil.phil-splitter.com/html/martin_buber_dekalog.html)
gewissens-individualisiert zu: "du sollst nicht lügen."
dahinter steht IMMER der nachsatz:...und gott helfe mir...im bewusstsein um die schwäche und fehlbarkeit menschlichen denkens und handelns.
die auch in diesem thread diskutierte interpretation der UNBEDINGTEN einhaltung dieser gewissensaufgabe findet sich auch bei heinrich von kleist in seiner novelle "der zweikampf", worin sich eine tief-fromme verwurzelung des autors in das religiöse empfinden seiner epoche widerspiegelt: der glaube an einen in letzter instanz "richtenden" gott, in dem ER die wahrheit ans licht bringt und der mensch darauf vertrauen soll.
ich empfehle die lektüre dieser novelle ausdrücklich, möchte sie aber kurz (zitiert) zusammenfassen, um den zusammenhang zum diskutierten gegenstand dieses threads herzustellen.
gliederung:
"[...]1. Die Geschichte der Ermordung des Herzogs von Breisach
2. Die Geschichte der Entehrung der edlen Frau Littegarde durch Jacob den Rotbart, die er aber tatsächlich - zunächst, ohne es selbst zu wissen - gar nicht begangen hatte. Jacob der Rotbart versuchte, mit dieser Geschichte, quasi als Alibibeweis dafür, dass er zu dem Zeitpunkt des Mordes bei Frau Littegarde gewesen sei, den Verdacht der Anstiftung zum Mord an seinem Bruder, dem Herzog von Breisach, zu vertuschen und von sich abzuwälzen.
Die Wahrheit in beiden Fällen an den Tag zu bringen, ist die komplizierte Aufgabe dieser Erzählung.
In der Erzählung bei Kleist, wird der ritterliche Zweikampf - dessen Ausgang einem Gottesurteil gleichkam - mit Schwertern zwischen Friedrich von Trotha, dem Kämmerer, und Jacob dem Rotbart, dem tatsächlichen Mörder des Herzogs von Breisach, ausgetragen. Der Zweikampf findet in Basel auf dem Schlossplatz, in Gegenwart des Kaisers, seiner Gemahlin den Prinzen und Prinzessinnen, dem ganzen Hofstaat und viel Volk statt. - Ein Kampf nach dessen Ausgang der Scheiterhaufen auf den Verlierer wartete.
Jacob der Rotbart besiegt Friedrich von Trotha in diesem Zweikampf und scheint selbst zunächst nur leicht getroffen und verwundet zu sein. Das Gottesurteil scheint also nach verlorenem Kampf zunächst - und nach neuen Verwirrungen der Geschichte – gegen den schwerer verwundeten Friedrich von Trotha zu sprechen; das Schafott wartet auf ihn und Frau Littegarde.
Letztendlich aber spricht das Gottesurteil dann doch zu Gunsten der Wahrheit: Friedrich kann trotz seiner schweren Verletzung recht schnell genesen; Jacob der Rotbart hingegen erliegt der zunächst nur harmlos erscheinenden Wunde, die ihm Friedrich im Zweikampf zugeführt hatte, und ist so am Ende doch tödlich getroffen.
Kurz vor seinem Tod und kurz vor der öffentlichen Hinrichtung Friedrich von Trotha´s und Frau Littegardes gesteht Jacob der Rotbart vor dem Kaiser den Mord an seinem Bruder ein. Er bekennt auch, dass Frau Littegarde unschuldig sei, weil er irrtümlich der Meinung gewesen war, dass in besagter Mordnacht sie ihn empfangen habe, während er Littegarde in Wahrheit mit ihrer Zofe verwechselt hatte.
Friedrich von Trotha und die voll rehabilitierte Frau Littegarde heirateten anschließend in Gegenwart des Kaisers und dessen Familie. [...]
siehe:
http://www.trotha.de/geschichte/anekdoten/
anekdoten-zweikampf.html
also...aspekt 1: lüge bricht durch,die wahrheit kommt gottgegeben und zwar:IMMER UND ZWANGSLÄUFIG: meide sie! lass eine "höhere gerechtigkeit" kämpfen dafür, wenn du ALLES gegeben hast, sie zu entlarven!
aspekt 2: lüge ist IMMER motiviert. nenn es euphemistisch "notlüge", nenn es flunkern.
die motivation ist individuell zu wichten:
ein (extrem-)beispiel: die gestapo klopft an die tür. im verschlag bibbern zwei versteckte juden um ihr leben. der offizier fragt: haben sie zwei verdächtige juden gesehen?
und nun?
lügen oder "gott"- bzw. "glauben-an-das-gute-vertrauen", dass sich die wahrheit durchsetzt, auch wenn den beiden kz und folter drohen?
zugegeben: der vergleich mit der verleugnung beim chatkontakt ist sehr weit hergeholt, trifft aber den kern des wesens von lüge:
sie verwandelt und zwingt zur persönlichen gewissensprüfung.
antworten auf die frage, die die "lüge" stellt, sind im besten fall wie schon andern ortes ausgeführt "not-wendig" und besitzen "demaskierungspotential" für den/die lügende(n), wie auch für die belogenen.
die antworten auf die frage, ob "lüge" "gut oder schlecht" ist, sind motivationsbedingt und nur eingeschränkt von "außenstehenden" beurteilbar, solange nicht "überprüfbare" verletzungen gegen bestehende, gesetzgeberisch-dokumentierte "normen" vorliegen.
aber auch diese normen (siehe beispiel) sind hinterfragbar.
herzlichen gruß,
shadowandlight