Stolz und Würde
youwillfindme fragte: "Aber eine Sub, die ihren Stolz und ihre Würde aufgibt, um die Zuwendung des Dom nicht zu verlieren - wäre dies eine Partnerin für den dominanten Mann?"
Ich fantasiere mir Dom immer wie einen König, und Sub wie – eine Königin. Auch wenn sie ihm "untertan" ist, ist sie voller Stolz und Würde, voller Anmut und Benimm, voller Etikette, Intelligenz und Stil. Mein Bild passt nicht ganz auf die geschichtlichen Realitäten des Königtums in Europa, es ist wohl eine märchenhafte Idealisierung. Wie Dom und Sub auch.
Um Stolz und Würde aufgeben zu können, muss man diese zunächst
haben. Ich war heute mit meiner Sub in Stuttgart bummeln, ich traf viele freundliche Menschen, aber ich sah keinen Stolz und keine Würde. Ich sah kichernde Teenies und gehetzt dahin schreitende Frauen in ihren Fünfzigern, gelangweilte Strassenbahnfahrerinnen und liebevolle dm-Markt-Kassiererinnen, misstrauische Müslilook-Vierzigerinnen und dahin gesunkene bettelnde kopftuchverhüllte Rumäninnen. Ich sah keinen Stolz und keine Würde.
Heute, in einer Zeit, in der jeder für zweitausend Euro im Monat seine Seele an einen Arbeitgeber verkauft, ist Würde und Stolz Mangelware.
Schon als Kinder lernen wir, den Bückling zu machen, um die Liebe der Mutter nicht zu verlieren. Wir verbiegen uns, bis die Knochen brechen, was wir oft erst Jahrzehnte später bemerken. Später übertragen wir dieses Verhalten auf den ersehnten Lover. Da wir ohne Zuwendung nicht auskommen zu können glauben, muten wir in unserer Verzweiflung unserer Seele Dinge zu, die nicht ihr Ding sind. All das hat nichts mit BDSM im Besonderen zu tun. Es ist menschlicher Alltag.
Dom-Sub-Verhältnisse sind besonders anfällig für solche Mechanismen. Viele Doms nehmen das Sub-Sein ihrer Partnerin als Sicherheitsgarantie, geliebt zu werden. Das Sub-Sein ihrer Partnerin zeigt ihnen plakativ die Wertschätzung, die Sub ihnen entgegenbringt. Heute kniete meine Sub vor mir, und diese Geste, dieses starke Bild ihres Kniens, überschwemmte mich wieder einmal mit Liebesgefühlen. Sie würde mich genauso lieben, wenn sie nicht vor mir kniete. Aber
in mir stärkt sich das Vertrauen, dass dem wirklich so ist. So betrachtet beschreibe ich mein Dom-Sein als eine Unfähigkeit, Liebe in zarteren Bildern – ohne BDSM-Elemente - vertrauensvoll erleben zu können.
Ich denke, die Vorgänge, die Anlass zu diesem Thread gegeben haben, mit dem Aufgeben von "Stolz und Würde" zu deuten, hängt die Sache viel zu hoch auf. Eine Sub, die sich einem Dom öffnet, exponiert ihre Seele. Sie will sicher sein, dass Dom dies würdigt und schätzt und als "Belohnung" ihr die Zuwendung gibt, die sie sich ersehnt. Das Ansinnen, eine zweite Sub zu suchen, gefährdet diesen Wunsch aufs Heftigste. Gibt sie dem Wunsch nach, verliert sie keineswegs Stolz und Würde, die sie vielleicht sowieso nicht gehabt hat, sondern erzeugt in sich Riesenängste, sich "umsonst" geöffnet zu haben und am Ende doch leer auszugehen, weil sie eben nicht die Zuwendung und das Angenommensein erhält, das sie sich erträumt.
Besäße sie echten Stolz und echte Würde, würde sie Dom den Wunsch nach einer Zweitsub jederzeit erfüllen können. Denn einem Menschen, der Stolz und Würde in sich trägt. kann auch kein von ihm sich später möglicherweise abwendender Dom auch nur ein Quäntchen Stolz und Würde wegnehmen.
Wie ich a.a.O. mehrfach betonte, brauche ich eine starke, selbstbewusste Partnerin, Ich will stolz auf sie sein, was nur funktioniert, wenn sie selbst
stolz auf sich ist. Und ich rede nicht nur von ihrem Stolz, zehn härtere Schläge ohne mit der Wimper zu zucken eingesteckt zu haben. Und dennoch verlange ich von ihr manchmal Dinge, die sie nicht will. Ich erwarte von ihr, dass sie sich meinem Wunsch hingibt. Niemals käme ich jedoch auf die Idee, dass sie, indem sie meinem Willen nachgibt, ihren Stolz und ihre Würde verlieren könnte. Im Gegenteil: mir scheint ihr Stolz geradezu die Voraussetzung dafür zu sein, dass sie sich meinem Willen beugt, ohne das Gefühl zu haben, dass ihr etwas "weggenommen" wird, dass sie "gebrochen" wird oder was auch immer. Ihr Subsein gewinnt für mich den Glanz des Glücks, wenn sie "Ja" sagt, obwohl sie von sich aus "Nein" sagen müsste.
Es ist eine Frage ihrer Kraft, wie viele Ja's sie sich selbst zumuten kann, und es ist eine Frage meiner Sensibilität, zu erraten, wann ich sie mit einem ertrotzen Ja gegen ihr inneres Nein überfordern würde.
Da "Dom" kein gesetzlich geschützter Begriff ist, mutmasse ich, dass sich viele "Dom" nennen, die im Fieber ihrer Sexlust (oh wie gut kenne ich dieses Fieber!) sich für Würde oder Unwürde der Sub nicht die Bohne interessieren. Eine Sub sein Eigentum nennen zu können ist ein vermuteter Freifahrschein ins Reich der Lüste des eigenen Kopfkinos. Und da sie sich selbst als Sub annonciert, glaubt Dom sich legitimiert, auf ihrer Seele 'rumtrampeln zu können ("Sie braucht das ja!").
Deine Frage, youwillfindme, lautete, ob sich Dom eine Sub, die ihren Willen ihm zuliebe hintan stellt, als
Partnerin denken kann. Will Dom denn eine "Partnerin"? Ein Partner ist ein Anteilseigner (Part=Teil); die Sub als Partnerin haben zu wollen, heisst, sie zum Anteilseigner an einem gemeinsamen Lebensprojekt zu machen. Das erfordert gleiche Augenhöhe, bezieht sich auf Alltag und ist absolut unerotisch. Du suggerierst mit deiner Frage schon die Antwort: Wenn Dom das Wesen von Partnerschaft durchdenkt, kann er nicht mehr wollen, dass Sub ihren Willen seinem Willen zu willen übergeht. Denn dann wäre sie ja keine Partnerin mehr.
Das Dilemma löst sich auf, wenn wir zwischen Alltagssituationen und erotischen Spielsituationen unterscheiden. Im erotischen Spiel (das jederzeit beginnen kann) hebeln wir die Gesetze der Alltags-Partnerschaft aus. Sind sich die Beteiligten dieser Grenze bewusst, kann ich im erotischen Spiel meiner Sub gegen ihren Willen Dinge aufzwingen, die ich meiner Partnerin niemals aufzwingen würde. Wie gesagt: all das hat nichts mit Würde oder Stolz und deren Verlust zu tun.
stephensson
art_of_pain