Dass es möglich ist, für mehrere Menschen gleichzeitig über längere Zeit intensiv zu empfinden, weiß glaube ich nicht nur ich aus eigener Erfahrung. Viele Leute haben sie auch nicht, manche glauben (deswegen) auch, dass es prinzipiell unmöglich ist - wobei ich mich immer frage, woher sie so genau wissen wollen, dass es nicht nur für sie unmöglich ist, sondern auch für alle anderen Menschen.
Ein monoamorer Mensch sagt in einer Situation, in der er starke romantische Zuneigung zu mehr als einer Person empfindet, "ich konzentriere mich auf einen Menschen und lasse diese Empfindung wieder vergehen". Ein polyamorer Mensch sagt "ich versuche, alle diese Empfindungen offen und in Absprache mit allen Beteiligten zu leben". Diese Empfindungen sind nie für alle Beteiligten gleich - und ernsthaft, würde einer von euch sagen, dass er/sie für alle vergangenen Partner genau das gleiche empfunden hat, dass es keine emotionalen Unterschiede zwischen den Beziehungen gab?
Ich will von einer Beziehung emotionale und körperliche Nähe, gegenseitige Unterstützung, Interesse aneinander, geistigen Austausch und schöne gemeinsame Zeit. Wenn diese Bedürfnisse erfüllt sind, bin ich glücklich in der Beziehung, wenn nicht, muss man sich zusammensetzen und überlegen, was man deswegen unternehmen will. Für mich ist emotionale Exklusivität keine Notwendigkeit (mehr). Für andere ist es unverzichtbar. Für mich ist es unverzichtbar, mit meiner Partnerin mehrmals in der Woche darüber zu reden, was jeden von uns zur Zeit gedanklich und emotional beschäftigt. Andere Paare machen das viel seltener. Oder noch ein Beispiel: Ich könnte in keiner Beziehung leben, die nicht von gegenseitiger Liebe geprägt ist, während ich kein Problem habe, wenn meine Partnerin alleine oder mit Freunden in Urlaub fährt. Andere Paare haben sich in einer eher freundschaftlichen, pragmatischen Beziehung oder Ehe eingerichtet, fänden den Gedanken an getrennten Urlaub aber skandalös.
Der springende Punkt ist doch der: Eine Beziehung ist eine Vereinbarung der Beteiligten, wesentliche Teile des Lebens miteinander zu teilen. Es gibt eine "Standardversion" (Liebe und Sex sind vorhanden und werden nicht mit anderen geteilt, große Unternehmungen gibt es nur gemeinsam, gegenseitige Loyalität und Unterstützung nach außen wie auch im kleinsten Kreis usw.), aber Abweichungen sind in jedem Punkt möglich, wenn es den Wünschen der Beteiligten entspricht. Flapsig gesagt: Bei einem in Word geschriebenen Brief muss ich auch nicht die Standardeinstellungen nehmen.
Meine Partnerin und ich leben polyamor - einfach weil es sich ergeben hat, dass sie sich in einen anderen Mann verliebt hat und mich deswegen kein bisschen weniger liebt (nach eigener Aussage und nach ihrem Verhalten). Davor hatten wir 10 Jahre eine "klassische" Beziehung. Wir können auf beide Arten leben, aber ich kenne Leute, die sagen, sie könnten nie poly sein, und ich kenne Leute, die sagen "Monogamie geht für mich gar nicht, da werde ich nicht glücklich". Veranlagung, Neigung, Mentalität... wie immer man es nennen mag, es ist die emotionale Lebensrealität dieser Menschen, das lässt sich nicht beiseite schieben.
Noch einige Kommentare zu einigen Äußerungen in diesem Thread:
*******_65:
bei polyamoren beziehungen geht es hauptsächlich um die erhöhung der anzahl der sexualpartner
Das ist so nicht richtig. Darum geht es in offenen Beziehungen. Bei polyamoren Beziehungen geht es um emotionale Bindung - und damit genauso viel oder wenig um Sex wie bei einer neuen Beziehung, die sich zwischen zwei Singles herausbildet.
********lack:
Das mag alles klappen bei Dingen, die schön zu leben sind. Aber wenn wirklich etwas aus dem Ruder läuft, dann stelle ich mir das sehr schwierig vor.
Hm, hast Du keine Freunde, die Dich in einer solchen schwierigen Situation unterstützen würden? Ich frage das nur, weil es in meinem Freundeskreis Menschen gibt, an die ich mich in so einem Fall wenden könnte und würde. Je wichtiger einem der andere ist, um so eher hilft man doch auch.
*********unke:
ist es denn tatsächlich so, daß eine gleichverteilte Liebe zu allen Partnern gefordert ist bei der Polyamorie?
Nein, sicherlich nicht. Und wie würde man das auch messen wollen? Verbrachte Zeit, vielleicht noch mit einer Gewichtung für die subjektive Qualität? Über ein Punktesystem ("wow, das war eine wirklich sehr schöne Stunde zusammen, für die geb' ich Dir acht Punkte!")?
Nein, der Gedanke ist, dass man auf die Bedürfnisse jedes Partners eingeht und allen Partnern die Dinge gibt, die in einer Beziehung wichtig sind - Nähe, Geborgenheit, Unterstützung, Verständnis, zum Ausdruck gebrachte Zuneigung, Interesse uvm.
********lack:
Aber wer Polyamory angibt, der sagt so gesehen gar nichts über sich selbst aus, sonder nur wie er/sie sich das Leben mit Liebe zu mehr als einer Person wünscht.
Das ist auch schon eine Aussage über denjenigen
Und man sagt damit über sich aus, dass man offen für weitere Beziehungen ist, die aber nicht emotional exklusiv sind. Und man sagt über sich, dass man überzeugt ist, das leben zu können.
*********unke:
Man kann durchaus sagen: wir drei (oder vier, fünf) bilden unser Lebensmodell - und jemand neues kommt da nicht so einfach rein. Weder temporär, noch dauerhaft.
Das ist ein Modell, das man als Poyfidelity bezeichnet.
*****y_I:
Jedem gerecht zu werden heißt doch gleichzeitig "ich stelle Regeln auf wie ich es handhaben möchte, wem gebe ich mehr Zeit, mehr Aufmerksamkeit, mehr Geschenke.... oder sehe ich das falsch?
Nicht unbedingt, genauso wie es in einer Partnerschaft auch keine Vergleiche gibt wie "wenn ich sie wirklich liebe muss ich ihr mindestens so oft Blumen mitbringen wie jeder anderen Frau, mit der ich bislang zusammen war". Polyamorie bedeutet nicht, dass Partner derselben Person miteinander um das größere Stück vom Kuchen wetteifern. Es ist wie mit Freunden - man achtet darauf, dass man keinen vernachlässigt und dass jeder das bekommt, was für die gemeinsame Freundschaft wichtig ist.
*****ess:
Bei "Polyamor" weiß ich nicht, ob der/die betreffende in einer festen Beziehung ist, also mit einem Partner zusammenlebt oder ob er/sie Singe ist.
Frage: Warum ist das wichtig? Weil Du davon ausgehst, nicht genügend Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn es da schon einen Partner gibt? Falls ja, ist es einfach eine Frage des Zeitmanagements.
Polyamor bedeutet im Prinzip "ich bin offen für eine tiefe Beziehung mit einer Person, die zu mir passt".
Fazit außerhalb des Themas: Ich sollte so spät abends nicht mehr anfangen, Beiträge zu schreiben, sie werden zu lang und ich habe keine Lust mehr, sie nochmal auf Fehler zu überprüfen. Deswegen sind garantiert welche drin