Ich kann sanftewildheit nur zustimmen in dem, was sie schreibt, so empfinden wir das nämlich auch. Es geht hier nicht um "brauchen", es geht darum, daß man offen ist für mehr Liebe, mehr Liebe zu geben, mehr Seiten anzusprechen und angesprochen zu bekommen, als es ein Mensch alleine kann. Wenn man sich zwei Menschen vorstellt als Kreise, dann können sich die beide nur so und so weit berühren, aber nicht einer kann den anderen komplett umschließen - oder nur einseitig. Mehr Menschen von mehr Seiten können das aber sehr wohl.
Wie der Unterschied zwischen Großfamilie und Menschen, die es bevorzugen, einzeln zu wohnen oder höchstens als Paar: es sind unterschiedliche Präferenzen und ICH bin ein Großfamilientyp, egal ob es verschiedene Generationen sind oder mehr Personen auf einer "Ebene" als Partner. Ich bin nun mal nicht "zu", wenn ich liebe, im Gegenteil, je harmonischer und glücklicher meine Beziehung, desto mehr habe ich zu geben, desto offener bin ich für weitere Menschen. Ich laufe da nicht herum und suche verzweifelt, aber ich bin wie ein Single, der Beziehung möchte, weil es Dinge gibt, die man alleine (oder mit einem Partner) so nicht erleben, fühlen kann. Es ist schlichtweg anders mit mehreren Partnern, auch ohne frisch verliebt zu sein. Mit meinem Mann bin ich jetzt mehr als zehn Jahre zusammen und liebe ihn zutiefst, einen anderen Mann liebe ich seit mehr als 3 Jahren sehr und bin unendlich dankbar, daß auch wir uns finden durften, was wir teilen können. Es ist alles Liebe, ohne Abstriche. Und ja, es sind verschiedene Dinge in mir, die angesprochen werden, die wir teilen. Verschiedene Stärken und Schwächen, Eigenarten. Das ist genauso wie mit meinem Mann und einer Langzeit-Beziehung, die er hatte: sie läßt sich deutlich stärker führen in Beziehung, gibt die aktive Rolle gern ab und plant weniger, wo ich dominanter bin, organisiere, das Heft selten aus der Hand gebe. Er fand es spannend und bereichernd, auch die Rolle wechseln zu müssen, hätte aber nie konkret danach gesucht, sie haben sich verliebt und erst dann kam die Erkenntnis, wie sich das ergänzt.
Polyamory erlaubt, zum selben Zeitpunkt zu erkennen, wie vielfältig man als Beziehungsmensch ticken kann, wie stark das vom Partner (!) abhängt - und daß der monogame Glaube "in der nächsten Beziehung bin ich anders, weil ich älter geworden bin" nicht stimmen muß. Menschen in einer monogamen Beziehung ist oft nicht bewußt, wie stark sie an bestimmte Beziehungsrollen gewohnt sind, sich selbst auf Verhalten "einschießen", weil das ihr Part in der jeweiligen Beziehung ist. Und sie können aber gleichzeitig auch ganz anders sein, was aber auch im Dialog mit einem anders agierenden Partner angeregt würde. Wir sind beziehungstechnisch viel breiter angelegt, als daß monogam lebende Menschen oft erfahren. Und wenn sie sich anders erleben, dann wird es auf die Situation (Affäre = hat ja notgedrungen andere Komponenten) oder Zeit (reifer) geschoben, statt zu verstehen, wie sehr uns der Gegenüber "herauskitzelt".
Als poly bin ich "notgedrungen" offen für weitere Liebe, ich habe keine funktionierenden Mauern, die das verhindern, so wie bei einem monogamen Single auch. Da sagt auch keiner: die Tugend wäre, wenn Du niemanden liebst! Du müßtest das eigentlich von selber wollen. Genauso absurd ist es für einen polyamor fühlenden Menschen, bei einer Liebe plötzlich "zu" zu sein.
Aber als poly kenne ich durch die Praxis gleichzeitig eben auch die Dynamik, wenn ich von mehreren Seiten angesprochen, erfüllt werde, die ich mittlerweile kennen gelernt habe, weil ich da Partner hatte, die das taten. Ich entdecke meine Facetten und Seiten, die alle gleichzeitig da sind, aber bevor sie jemand berührte, nicht wahrzunehmen waren. Und es ist nicht nur spannend, neue Menschen in mein Herz zu lassen, zu sehen, was sie bringen, berühren, sondern auch der Sehnsucht nachzugeben, unsere "Herde" mal stabil hinzubekommen, mit Kind und Kegel und Haus, ganz kleinbürgerlich, nur halt mit mehr als einem Partner, nicht mal notwendigerweise meinem, sondern mehreren.
Hippie-Idylle? Keine Ahnung. Aber ich zumindest bin glücklich, wenn ich einen Haufen Leute zärtlich kuscheln sehe, je mehr je besser.
Last but not least ... es fragt ja auch niemand: warum wünschen sich die Eltern zwei Kinder oder mehr - und die nur eins? Oder gar keins?
Da wird auch einfach akzeptiert, daß es bei dem einen so, bei dem anderen so ist. Der Gedanke, daß es für romantische Liebe 1+1 sein MUß, um gut zu sein, ist zwar bei uns kulturell tief verankert, aber das ist sowohl gesellschaftlich als auch religiös ziemlich neu. Nicht mal im alten Christentum (Altes Testament) war Monogamie als einzig erstrebendswerte Form der Liebe angesehn.