Hallo alle zusammen,
aufrichtig vielen herzlichen Dank für all eure aufklärenden Inhalte und das Teilen eurer Selbstoffenbarungen und das stellen durchaus emotionaler und kritischer Fragen.
Ich lese inzwischen seit Stunden in diesem Thema "non-binary - Was bedeutet das für mich?" und bin nun endlich bis zum letzten Post angekommen. Aktuell sind es 11 Seiten und ich bin nun ziemlich erschöpft.
Super spannend, emotional, unglaublich interessant und erkenntnisreich für mich.
Und doch möchte ich versuchen meine Eindrücke, meine Gedanken und meine Emotionen in Worte zu fassen.
Ich empfinde eine riesige Erleichterung von schon fast existenziellem Ausmaß, dass es diesen Begriff non-binär gibt, weil ich mich teils in meinem Erleben und Ausdrücken durch dieses Wort erkannt, verstanden und bestätigt fühle.
Auch, wenn ich selbst mich nicht als non-binär bezeichne. Ich denke, dass ist für mich nicht wichtig.
Wichtig ist für mich jedoch, dass es einen Begriff bzw. eine Beschreibung gibt, womit ich mich rational, emotional und in meinem psychosozialen Erleben identifizieren kann.
Ich bin froh, dass ich unter anderem hier im Joyclub eine Begrifflichkeit gefunden habe, die meinem bio-psycho-sozialen Denken, Fühlen und Handeln am ehesten zu entsprechen scheint.
Durch die Existenz dieser Beschreibung, die non-binär innewohnt, fühle ich mich nicht "sonderbar", "unmännlich", "anders", "unerwünscht", "falsch" und dergleichen und weniger "einsam".
Ich empfinde sowas wie Verbundenheit und kann nun mein Identiäts-Erleben besser verstehen und in Worte fassen.
Ich bin in einem Körper geboren, welche, die Geschlechtsbezeichnung "Mann" trägt. Und bin wohl entsprechend als Junge/ als Mann geprägt, sozialisiert, aufgewachsen usw.
Für mich subjektiv war immer klar, ich bin ein Junge bzw. ein Mann, denn ich habe einen Penis. Nicht mehr und nicht weniger.
Irgendwann in meiner Schulzeit wurde ich als "Schwuchtel" bezeichnet. Rational habe ich damals sehr wohl erfasst, dass das Wort "Schwuchtel" als abwertende Begrifflichkeit für das Wort "Schwul" zu verstehen ist.
Was ich aber wiederum nicht erfassen konnte, was zum einen das Thema "Schwul" mit mir zu tun hat, da ich mich bisher nicht als homosexuell empfunden habe und mich tatsächlich weiterhin nicht als homosexuell erlebe.
Und andererseits, selbst, wenn "Schwul" also "Homosexualität" auf mich zutreffen würde, weil andere diese Empfindung in mir zu erkennen glauben, weshalb ich dann mit dem Wort "Schwuchtel" bezeichnet werde.
Für mich schien damals klar, so wie ich bin, bin ich nicht erwünscht und nicht richtig. Und so wie ich mich verhalte ist anscheinend und mutmaßlich "unangebracht".
Denn ich werde mit einem "Schimpfwort" angesprochen. Und Schimpfwörter, Beleidigungen, etc. haben die Funktion die eigene Abneigung und dergleichen auszudrücken.
Was aber diese Abneigung mit mir zu tun haben soll, konnte ich damals noch nicht begreifen. Und, was mein Sein mit irgendwelchen sexuellen Orientierungen zu haben soll.
Dabei bin doch einfach nur wie ich bin. Ganz normal. Ein Mensch wie ein Mensch eben ist. Nicht mehr und nicht weniger. Dachte ich.
Damals also unwissender Jugendlicher habe ich noch nicht verstanden, dass es stereotypische Vorstellungen und Rollenverständnisse von Junge/ Mädchen, Mann/ Frau und stereotypische Bilder von sexuellen Orientierungen wie z.B. Hetero- und Homosexualität (jenseits sachlicher Begriffsbestimmung dieser sexueller Orientierungen) gibt und welche Auswirkungen das in der Akzeptanz von scheinbarer "Andersartigkeit" haben kann.
Viele verschiedene Zusammenhänge waren für mich nicht klar, nicht greifbar und weit weg von meiner Lebenswirklichkeit.
Und meine Lebenswirklichkeit war wiederum anscheinend weit weg für die Lebenswirklichkeit anderer.
Wie auch immer...
Oft habe ich es für mich schon fast verflucht, dass es die Geschlechtsorgane Penis und Vulva gibt, weil dies zur Folge hat, entweder die Geschlechtsbezeichnung "Mann" oder "Frau" zu erhalten und wiederum folglich einer stereotypischen (Selbst-) Erwartung ausgesetzt ist und, was mit "Mann" und mit "Frau" und mit "Hetero-" und "Homo"-Sexualität assoziiert wird.
Wie oft habe ich mir damals gewünscht, dass es in der Natur keine Geschlechtsorgane wie Penis und Vulva gibt...
Aber es ist so wie es ist. Es gibt nun mal dieses Phänomen bestimmte Dinge als "männlich" und als "weiblich" zu assoziieren und als solche benennen zu wollen.
Ich übe mich daher in radikale Akzeptanz, dass es diese stereotypischen Verknüpfungen und Zuschreibungen gibt.
Der Begriff "non-binär" bestätigt meine Haltung, dass ich unabhängig von meinem Geschlechtsorgan, mich frei von diesen besagten Assoziationen fühlen darf und, dass sehr viele andere Menschen auch sich von den Geschlechterrollen-Zuschreibungen frei machen wollen und frei gemacht haben.
Viele Jahre versuchte ich zu verstehen, was es bedeutet, dass ich so fühle wie ich fühle aber ich nicht so wahrgenommen wurde/ werde, wie ich mich wahrnehme.
Folglich wusste ich nicht, wer und, was ich nun bin. Und auch nicht, was meine sexuelle Orientierung ist, weil ja viele andere zu wissen glauben, wie meine sexuelle Orientierung aussieht.
Aber meine Identität zu kennen ist doch Teil meiner Existenz, meines Seins.
Das waren alles komplizierte, komplexe und verwirrende Lernprozesse für mich mit teils krisenhaften Auswirkungen.
Inzwischen betrachte ich meine Selbst-Erforschung als Bereicherung meiner Lerngeschichte.
Der Vorteil von manchen Begriffsbestimmungen ist für mich, dass Sachverhalte und -inhalte verbal skizziert und dadurch greifbar gemacht werden können.
Allerdings darf ich mich immer mal wieder selbst daran erinnern mich nicht durch (emotionales) mitschwingendes Beiwerk vom Wesentlichen ablenken zu lassen.
Ich bedanke mich herzlich für dieses Thema, den Mut und die Offenheit.
Lieben Gruß
André