Die Aussprache des Wortes „Authentizität“ ist längst nicht sein einziger Knackpunkt, es ist vor allem seine Anwendung meiner Meinung nach.
Vom Thai-Curry über die Busfahrt bis hin zu Bevölkerungsgruppen: alles und alle werden mit dem Wert «authentisch» gemessen. Ziemlicher Humbug, meines Erachtens.
Geradezu inflationär wird der Begriff auf „Social Media“ verwendet. Immer mehr behaupten authentisch zu sein und wollen sich nur noch wirklich authentisch zeigen und ebensolchen Content kreieren. Und immer stärker scheint auch der Anspruch der User, einen echten Einblick in das Leben dieser mehr oder weniger bekannten Menschen zu erhalten; schmutzige Wäscheberge, Tränen und Dehnungsstreifen inklusive. Schön und gut, dass nicht nur die tollen Seiten des Lebens gezeigt werden. Aber, wie ich immer zu sagen gedenke, viele verwechseln authentisch mit verzweifelt oder chaotisch.
Tatsächlich scheint es im Netz vor allem Unperfektes als authentisch zu gelten – etwa dann, wenn es z.B. um den Frauenkörper geht. Das unausgesprochene Diktat: Liebe deine Fehler bedingungslos, und zwar bitte öffentlich (dabei können sie einem ja auch einfach egal sein).
In diesem Zusammenhang würde ich noch einen Schritt weiter gehen und stell mir die Frage, was ein authentischer Körper überhaupt ist? Symbolisch gesehen natürlich, denn in meiner Welt stelle ich mir solch Fragen, wenn es um Menschen geht nicht. Lasse mich jedoch mal auf das Spiel ein und frage daher, was ein authentischer Körper überhaupt ist?
Nur einer mit Dehnungsstreifen? Sind also schlanke Frauenkörper nicht authentisch? Dass wir in der Werbung, in Magazinen und auch auf Social Media mehr Diversität bezüglich Körperformen sehen müssen, ist unbestritten. Aber ein unperfekter Körper ist nicht einfach automatisch authentischer als ein scheinbar(!) perfekter. Und was ist erst mit einem chirurgisch optimierten Körper?
Genau hier zeigt sich die Komplexität und die problematische Verwendung des Begriffs „authentisch“. Er wird oft mit „echt“ gleichgesetzt. Laut Duden ist das zwar richtig (authentisch: „echt; den Tatsachen entsprechend und daher glaubwürdig“), nur ist die Bedeutung in Bezug auf Menschen deutlich komplizierter. Denn eine Frau mit operierten Brüsten wäre im Umkehrschluss keine echte Frau. Nur: Authentizität ist für mich kein messbarer Faktor.
Nicht authentisch gleich unecht gleich schlecht, die oft suggerierte Gleichung im Netz, geht nicht nur nicht auf, sondern ist schlicht falsch. Es gibt nicht nur eine authentische Art. Und sowieso: Kann jemand, der ständig betonen muss, dass – Achtung, Achtung – nun authentische Einblicke in sein Leben oder die Arbeit folgen, authentisch sein? Wohl kaum. Ein Blick nicht nur ins Forum, sondern auch im engsten Familien - oder Freundeskreis reicht aus, um das feststellen zu können.
Und was wird von uns als Tatsache akzeptiert? Antworten darauf lassen sich in unterschiedlichsten Bereichen finden. Abhängig davon, welcher Theorie, Strömung oder Glaubensrichtung wir uns verbunden fühlen. Was allerdings auf jeden dieser Bereiche zutrifft: Er ist subjektiv. So meine Meinung dazu.
Denn was wir glauben, gut finden oder als Erklärung akzeptieren ist unsere persönliche Sicht und damit nicht unbedingt die aller anderen. Das ist einer der wichtigsten Punkte, die es als Mensch zu verstehen gilt: Meine Welt ist nicht die aller anderen. Philosophen, Psychologen, Soziologen, Biologen, Neurologen, Theologen und noch viele mehr sind bereits zu dieser Erkenntnis gekommen.
Und trotzdem gibt es noch einen extrem erheblich hohen Prozentsatz unter uns Menschen, die felsenfest davon überzeugt sind: so wie sie die Welt sehen, ist sie! Und da sind sie wieder, meine zwei Freunde: Selbst- und Fremdwahrnehmung. Leider bin auch ich von dieser Sorte Mensch nicht befreit, jedoch weiß ich, dass sie nicht so ist.
Aber um diese Tatsache akzeptieren zu können, muss Mensch bereit sein, die eigene Meinung immer wieder infrage zu stellen und sich selbst weniger wichtig zu nehmen. Nun, dafür bedarf es jedoch so einige Gehirnwindungen, die eben das ermöglichen. Natürlich ist es wichtig und richtig, eine eigene Meinung zu haben und diese auch zu vertreten. Allerdings besteht die wahre Kunst darin, eine Meinung zu haben und sich gleichzeitig immer darüber bewusst zu sein, dass irgendwann ein Ereignis eintreten könnte, (das haben wohl möglich viele schon erlebt), dass diese eigene Meinung widerlegt. Sich diesem Wechselspiel aus „Meinung gewinnen – Meinung haben – Meinung vertreten – Meinung infrage stellen – Meinung überprüfen – Meinung behalten oder Meinung ändern“ immer und immer wieder auszuliefern, erfordert nicht nur Kraft und Ausdauer, sondern in der Tat auch entsprechendes innerliches Wachstum.
Die Haltung vieler „Das ist so und damit basta“ ist dem gegenüber natürlich wesentlich praktischer, schneller und bedarf keiner großen Gehirnleistung.
Auch wenn unser menschliches Gehirn prinzipiell dazu fähig wäre, scheinen aber dennoch sehr sehr viele noch nicht darüber informiert zu sein, dass diese Fähigkeit auch genutzt werden darf. Also so ganz umsonst sogar. Immer wieder werden aus den unterschiedlichsten Fachbereichen Versuche unternommen, diese Subjektivität der Realität der Allgemeinheit näherzubringen. Einer dieser Versuche, der direkt bei unserem Selbst ansetzt und daher gut und einfach anwendbar ist, stammt aus der sozialen Rollen-Theorie. Insbesondere bei der Thematik von Authentisch sein, spielen diese Rollen eine nicht unerhebliche Symbiose.
Niemand zeigt sich ständig zu hundert Prozent echt. Wir bleiben auch nicht, wer wir sind oder waren. Wir optimieren. Unser Wissen, unser Verhalten, unser Aussehen … wir legen Hand an, setzen unser Engagement ein, um zu werden, wer wir noch nicht sind.