Es gibt einige Punkte die ich schlicht als falsch ansehe.
• Polyamory ist in keiner Weise eine Veranlagung, vielmehr kommt fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens an den Punkt zwischen zwei Bezugspersonen zu stehen. Polyamorie ist nur ein "anderer" Weg damit umzugehen.
Naja, da sind wir bekanntermaßen unterschiedlicher Meinung, die meisten Polys (als die, die mehrere Menschen auf romantische Art lieben) in der Joy-Gruppe scheinen ja doch schon immer so gewesen zu sein und müssen sich doch sehr stark dauerhaft verbiegen, um das nicht zu leben, auch wenn die Gefühle unverändert da sind. Sprich der Leidensdruck bei Polys ist (auch in meiner Erfahrung) sehr stark und das auf Dauer, wenn sie zwischen zwei Menschen stehen (müssen) - nicht nur als "oh ich bin aber so verliebt" Ding oder kurzzeitige Sache. Und DAS scheint zumindest mir eine Sache der Veranlagung zu sein.
- "Für die Umsetzung dieser Dinge sind eine gewisse Reife und die Fähigkeit zur Selbstreflexion unabdingbar" - impliziert, dass Menschen die bei dem Versuch scheitern unreif sind.
Ich bin mir sicher, dass Beziehungsarbeit egal ob mono oder poly immer einen Reifungsprozess darstellt, nicht einen bestimmten Reifegrad verlangt.
Der Umkehrschluß ist nicht gegeben, sie sagt lediglich: es geht nicht OHNE Reife und Selbstreflektion, sie sagt aber nicht, daß es damit dann funktionieren MUß. Ich persönlich jedenfalls glaube, daß Beziehungsarbeit ohne einen bestimmten Reifegrad garnicht erst passiert und um so wahrscheinlicher gelingen KANN, wenn diese Reife (eben durch Erfahrung, das Reifen als Prozeß) stärker ausgeprägt ist.
- Um polyamorös zu leben benötigt man keine Theorie, vielmehr ist es so, dass die meisten Paare aus einem Beziehungsnotstand heraus auf den Begriff, Polyamorie stoßen.
Hm, was genau ist Theorie? Beziehungserfahrung, sei es aus zweiter Hand von Leuten, die sich daran schon probiert haben, ist vielleicht kein Muß, aber hilfreich war es für uns und ist es auch für die Polys, die sich - genau deswegen - auf Poly-Stammtischen und überregional treffen, sehr wohl. Beziehungsnotstand heißt ja: ich stecke in etwas, womit ich gerade nicht umgehen kann, ich brauche neue Antworten. Ob die aus einem Buch kommen, von anderen Polys oder man sie selbst findet, ist natürlich egal. Nur hat unsere Erfahrung gezeigt, daß immer mal wieder die selben Probleme auftreten und Fehler gemacht werden (auch aufgrund fehlender Erfahrung damit, Dinge in Frage zu stellen, die in monogamer Umgebung selbstverständlich scheinen). Ein bisschen Theorie (zur gelebten Praxis) kann das ebenfalls helfen, besser zu überstehn (muß aber nicht).
- Eifersucht ist kein Problem in polyamorösen Beziehungen, welches sozial angelernt ist, es ist eine Grundemotion des Menschen und allein der Umgang mit ihr ist entscheidend. Völlig falsch ist es jedoch, egal ob poly oder mono, eifersüchtigen Menschen umerziehen zu wollen, so wie es die Autorin bei ihrer Freundin versucht hat.
Poly hat sehr viel mit Verständnis zu tun, vor allem mit Verständnis für die Emotionen anderer. Einem Eifersüchtigen zu erklären, er fühle laut Theorie der Polyamorie falsch, ist das genaue Gegenteil.
Ich habe keine Ahnung, was Eifersucht ist, Menschen sind aber ausgesprochen unterschiedlich eifersüchtig, also auch wenn es eine normale Emotion ist, heißt das noch lange nicht, daß es eine übliche Emotion ist - kleiner, aber entscheidender Unterschied, hm?
Ich habe Eifersucht ein einziges Mal gefühlt bisher, als jemand einen Menschen, den ich geliebt habe, der aufgrund dessen monogamer Bindung aber tabu war, heftig angeflirtet hat. Mensch hat mich das durchzuckt - und selbst verblüfft, das Gefühl kannte ich garnicht.
Deswegen kann ich zu Eifersucht also wenig sagen, ich habe es damals nur als Neid empfunden, weil jemand etwas tat, was ich mir versagte. Verlustangst kenne ich dagegen sehr wohl und ist schlichtweg Angst, jemanden zu verlieren und das scheint bei Polys viel häufiger aufzutreten - vor allem wenn der Partner nicht klar poly ist und am Ende mit jemandem etwas anfängt, der sich als monogam herauskristallisiert. Bei Verlustangst jedenfalls gilt genau das, was Du da formuliert hast - jemandem zu erklären, daß das Gefühl falsch ist, bringt nichts, nur das genaue Gegenteil.
Aber über die Ängste hinwegkommen kann nur die Person selber, es vom anderen erwarten, daß er sie für einen löst, geht eben auch nicht.