Über die Flüchtigkeit des Seins
Das Thema hier ist für mich wie der Nagel, der die Sache auf den Kopf trifft.
Ich denke, daß dieses 21. Jahrhundert, das noch gar nicht so alt ist, uns eines lehrt: Flüchtigkeit. In jeglicher Hinsicht.
Wir ziehen dorthin, wo es Arbeit gibt. Wir wechseln unsere Lebensmittelpunkte von hier auf jetzt. Neue Städte, neue Menschen, neue Chancen - manchmal mehrmals im Jahr. Nicht, weil wir es unbedingt wollen, aber weil wir es z.T. müssen.
Dabei erodiert vieles: nicht nur selbst merken wir, daß wir unseren ganz persönlichen "Anker" verlieren, auch jegliche Beziehungen werden, nun: flüchtiger. Man trifft sich - und verschwindet wieder im Nirvana der Anonymität. Quasi im digitalen Hintergrundrauschen. Weil der/die nächste doch sowieso nur nen Klick entfernt ist.
Da sind Frauen aufm Workaholic-Trip und wundern sich, daß sich niemand findet, der die 13 min Privatleben zwischen Tür und Angel mit ihnen verbringen will. Da sind die, die sich in Partnerbörsen eintragen und nach 2 Monaten Beziehung merken, daß sie noch an ihrem Ex hängen. Da sind die, die denken, sie wären ach so tolerant und offen - dabei sind sie nur unverschämt und auf respektlose Art und Weise direkt.
Und eben die, die denken: entweder paßt du voll zu mir oder gar nicht. Das "Sich-aufeinander-abstimmen", das Sich-Zeit-nehmen, sich wirklich auf nen Menschen einzulassen, mit echtem Wohlwollen und wirklicher Sympathie, das findet doch gar nicht mehr statt.
Warum? Weil der oder die nächste doch eh nur nen Klick entfernt ist. Und vermeintlich weniger Ecken oder Kanten hat als der, der gerade vor einem steht.
Wer zeigt denn noch wirkliches Bemühen, wenn es darum geht, aus Sympathie mehr entstehen zu lassen? Zu mühsam. Vorher hört man blumige Reden, wenns hart auf hart kommt, bleibt meist ein Schulterzucken und ein "Du bist zwar grandios, aber....". Und "Gefühle lassen sich nunmal nicht beeinflussen". Was für ein Quatsch!
Wenn ich meine Gefühle nicht beeinflussen könnte, würde ich jeder zweiten U-Bahn-Schönheit hinterhersteigen. Der Wille, das ist das, was fehlt. Auch mal die Zähne zusammenbeissen, wenn alles in Schutt und Asche liegt, denn: das schweißt zusammen.
Und das sind auch die "alten" Werte, die so schlecht gar nicht waren: man hat sich auf eine Person eingelassen, man hat sich mit ihr auseinandergesetzt, sie geliebt, mit ihr gestritten, sie vielleicht auch mal gehaßt, man hat sich wieder versöhnt - aber es wurde stabil. Es gab etwas größeres als das ICH, das einem heutzutage überall entgegenflimmert. Und so ganz nebenbei hat man auch über sich selbst gelernt, wozu man fähig ist: zu stehen, da zu sein, für eine Sache zu arbeiten, die größer als man selbst ist - das WIR. Und eben nicht die Flucht zu ergreifen, also selbst nicht flüchtig zu werden.
Ich gebs noch nicht auf, daß da draußen irgendwo noch eine Frau rumläuft, die das ebenso sieht. Und die, die hoffe, ich zu treffen. Aber ehrlich: die Chancen sind mehr als mau.