Gutsein
Wenn an diesem Thread etwas interessant ist, dann die Frage, was in den Seelen der Threaderöffner vorgeht.
Ich nehme meine Wortbuntstifte, male mir ein Bild:
"Dominant und devot" - in dieser Forumsabteilung von uns für sexuelle Vorlieben gebrauchte Begriffe - werden in den Berufsalltag hineingezogen ("Der tagsüber dominante Chef" - "Der tagsüber unterwürfige Angestellte").
Nehmen wir noch einen Satz aus einem Posting dazu: "Wir persönlich finden – in unserer Beziehung -das Fehlen von Dominanz und Unterwürfigkeit als die schönste Art des Umgangs miteinander.", dann wird klar, dass die beiden ein Problem mit
Macht haben. Sie haben offensichtlich die Welt als geprägt von Macht und Ohnmacht, von Herr und Knecht, von Befehlendem und Befehlsempfänger erfahren, und zwar
negativ. Deshalb wollen sie in ihrer Liebe ein Machtgefälle partout ausgeschlossen wissen. Macht ist böse. Sie drängt zwar immer wieder ans Licht, aber unsere Beiden sind stolz darauf, "den Balanceakt auf dem schmalen Grat zwischen Dominanz und Unterwürfigkeit sicher" zu "meistern". So streben sie nach ihrer Meisterschaft.
Welt soll so sein, dass man "schnurren" kann, also wie es die Katze tut, wenn sie sich behaglich fühlt. Da braucht sie ihre Krallen nicht auszufahren. Braucht nicht auf Mäusejagd zu gehen, denn sie hatte eben ihren Teller Whiskas.
Die TE sind Idealisten. Sie sind nicht blind gegenüber der Welt (deshalb nennen sie sich auch "Realisten"), aber sie sehen dringenden Verbesserungsbedarf an dieser Welt.
Sie sind wie der, "der in der Arbeit fassungslos daneben steht wie ein Vorgesetzter seine Kollegen und auch Ihn behandelt, und die Welt nicht versteht". Sie verstehen die Welt nicht. Denn in der gibt es neben Schnurren auch Geschrei, Entsetzen, Missverständnisse, Kämpfe, Schüsse, Tränen und Schmerzen.
Sie verstehen nicht, wie man die "böse" Macht auch noch ins sexuelle Spiel mit einbringen kann. Noch schlimmer wäre es, wenn jemand auf Grund seiner sexuellen Neigung, etwa derjenigen, "dominant" zu sein, auch noch im beruflichen Alltag einen Vorteil daraus schlagen könne, etwa, indem er Führungspositionen einnimmt und dann womöglich auch noch mehr Kohle verdient.
Der Kampf gegen "dominant und devot" wäre damit ein Kampf, der darauf zielte, das diagnostizierte Grundübel unserer Welt - dass Menschen Macht haben und Menschen sich ohnmächtig fühlen - an der Wurzel zu packen.
Sie haben hier im JC ein "und trotzdem"-Profil erstellt. In diesem "und trotzdem" steckt, fast schon trotzig, ihr Idealismus, ihr Glauben. Denn dieses "und trotzdem" signalisiert: Wir haben unseren festen Standpunkt, unt trotzdem wir sind offen dafür, dass andere anders sind. Das unterscheidet uns von anderen, die auch ihren Standpunkt haben, aber nicht offen für andere Meinungen und Haltungen sind, das macht uns zu den besseren Menschen.
Sie retten sich ins "Altmodische", unter dem sie das Verlässliche verstehen, und halten sich für "fortschrittlich", weil sie den Fortschritt darin sehen, die Welt von der Herrschaft des Widerspiels von Macht und Ohnmacht zu befreien, und hier auch tätig wirken wollen.
Sie sind Missionare, aus tiefster Überzeugung und den mit besten Absichten.
Sie meistern die dunkle Seiten in ihn ihnen, die Laster, den Alkohol, den Tabak. Sie sind Asketen.
Sie träumen von Menschen, "die lieben können" und signalisieren damit ihre Überzeugung, dass dies eine Menge Menschen nicht können. vielleicht wären es sogar die "Dominanten" und die "Devoten", denen die Liebe abgeht. Sie lehnen Menschen mit "Besitzansprüchen" ab - und welcher Dom hatte nicht mal den Gedanken, wie schön es wäre, wenn seine Sub sein "Besitz" wäre?
In jedem Idealismus steckt, gleichsam als dessen Ursprung, eine Verletzung. Der Idealismus nährt sich aus dem festen Willen, dass diese Verletzung niemals mehr sein dürfe.
Der Idealist erkennt meist nicht, dass dieses "niemals mehr" seine Form von unterschwelliger Gewalt ist, die sich oft in der Vehemenz zeigt, mit der er seine Ideale verteidigt und durchzusetzen versucht. Deshalb kann es beim Idealisten geschehen, dass er zum Fanatiker wird. Dann sterben auch manchmal, wie die Geschichte zeigt, Menschen, die sich seinem Gutsein, seinen Idealen nicht unterordnen wollen.
Seitdem ich dies erfuhr, sind mir die weniger "Guten" manchmal lieber.
stephensson
art_of_pain