"Gefährliches" Halbwissen
Schon interessant, wie viele Möglichkeiten es gibt, alles so zu erklären, wie es einem passt. Und dass sich, selbst im heutigen Informationszeitalter, noch Ansichten aus der Urzeit hartnäckig halten...
Dabei sind viele (natürlich nicht alle) Aspekte der Anziehung (benutze dieses Wort - als Summe aller genannten Attribute) schon teilweise seit langem ziemlich genau erforscht.
Bei der zwischenmenschlichen Anziehung spielen natürlich viele Faktoren eine Rolle, das dürfte nur für die maximal Oberflächlichen hier eine Neuigkeit sein.
Die sog. "Chemie" wird hier jedenfalls ziemlich wirr definiert. Einige haben schon tolle Antworten gegeben. Doch es scheint mir, dass viele nicht zwischen Sympathie, Chemie, Anziehung oder Attraktivität genau unterscheiden können (oder wollen). Einiges davon ist übrigens auch abhängig von bisher nicht genannter Faktoren: Zeit, Ort, Laune, Stress, etc...
Das "sich riechen können" ist in den meisten Fällen mit Chemie gemeint. Das wird von einem so gut wie nicht manipulierbarem Sinn bestimmt: dem Riechen eben. Im Gegensatz zum unzuverlässigsten Sinn, dem Sehen (!!! - tja, was sind Fotos wirklich wert, vor allem heutzutage, wo sich alles verschönern lässt?), ist das Riechen kaum zu beeinflussen.
Und dann die Pheromone: diese sind nach aktuellem Stand der Wissenschaft das letztendlich Entscheidende. Das ist die eigentliche Chemie...
Will jetzt nicht jede einzelne esoterische oder missverstandene Argumente dieses Threads diskutieren, sondern nur ein paar Aspekte nennen, die zum Nachdenken anregen sollen:
• Da die oben genannten "chemischen" Kriterien biochemische Vorgänge sind, sind sie NICHT online feststellbar! Ich kann zumindest noch keinen Geruch oder Pheromone bei Joy riechen...
• Aussehen I: Es gibt sogar recht objektive Kriterien für Schönheit. Die sind allerdings hauptsächlich vom Zeitgeist, der Kultur und der Mode abhängig. Die Mode- und Werbe-Industrie weiß das sehr genau. Zusätzlich kommt noch die (meist unbewusste) Prägung durch Eltern, erste Partner, positive oder negative Erfahrungen mit bestimmten Typen, hinzu.
• Aussehen II: Selbst wenn man die Einschränkung auf ganz bestimmte optische Elemente gelten lässt: Es geht hier vorrangig um Sex. Ich kennen bis heute keinen bestimmten optischen Typus, der ohne Ausnahme sexuell eine Offenbarung ist...
• Halo-Effekt: Ein sog. Bestätigungsfehler, der allgegenwärtig ist: Man schließt von bekannten und/oder sichtbaren Kriterien auf die nicht sichtbaren/unbekannten.
Denke ich muss keine Beispiele geben, warum dies gerade bei Menschen oft fatale Fehlurteile mit sich ziehen kann. Sind wir nun Individuen oder nicht?
• Aussehen III (in Verbindung mit Halo-Effekt): Das Argument, dass es hier um Sex geht und deshalb das Aussehen wichtiger ist, finde ich ziemlich spooky.
Wahrscheinlich will niemand hier schlechten Sex haben - aber sind alle bspw. blonden, langbeinigen und blauäugigen Frauen wahre Sexgöttinen? Oder alle Männer mit Muskelpaketen, Bart oder Doppelkinn Super-Doms?
(Wer hier mit Ja! antwortet, bitte schreibt mich nicht an...)
Da ich den Halo-Effekt kenne, kann und will ich niemals nach wenigen Sekunden urteilen - ausser es passiert etwas oder ich sehe etwas offensichtlich sehr Negatives. Zum Beispiel kein Lächeln bei der Begrüßung oder augenscheinliche Lügen (Größe, Gewicht, Alter) im Profil (wobei selbst das selten ein KO-Kriterium wäre).
• Aussehen IV: Das Auge isst mit. Wenn man bei dieser Platitüde schon Essen bemüht, dann stelle ich mal die Frage, wie man sehen kann, wie z.B. Trüffel schmecken, wenn man sie nie probiert hat?
Die Beeinflussbarkeit des Auges und andere Urteilsfehler habe ich ja schon erwähnt.
• Jeder hat andere Trigger, die eine Anziehung bewirken oder eben nicht. Das ist ja auch ok so. Allerdings sollte man sich auch hier bewusst sein, dass sich das ändern kann, von einzelnen oder mehreren Kriterien bestätigt oder vermindert werden kann, es auch hier auf den Kontext und das Timing ankommt und etlichen anderen, oft zufälligen, Kriterien.
Selbst scheinbare NoGo-Kriterien können durch besonders tolle andere egalisiert werden. Alles natürlich in den persönlichen "Schmerz"grenzen.
• Sympathie: Die Wahrscheinlichkeit, dass man jemanden geil findet, steigt natürlich bei vorhandener Sympathie. Doch es kann auch ohne und sogar mit dem Gegenteil funktionieren, aber wohl eher selten oder in bestimmtem Spielarten.
Tja.
Summa summarum heißt das, dass man die "Chemie" erst feststellen kann, wenn man alle diese Kriterien überprüft und abwägt. Allerdings hat niemand von uns so viel Zeit, also wird es oberflächlich bleiben und es wird Streuverluste geben.
Was ich allerdings empfehle, ist hin und wieder seine Auswahlmethoden in Frage zu stellen oder zumindest zu überprüfen, und auch mal zu experimentieren oder bekannte Muster zu ignorieren (was ich in allen Bereichen des Lebens empfehlen kann).
Ich date Frauen nicht, weil sie allen meinen Kriterien entsprechen, die gibt es sowieso nicht. Ich lasse mich auch gerne mal überraschen von einer Frau, die auf den ersten Blick vielleicht nicht sofort eine Erektion auslöst (beim Mann ja bekanntlich das ehrlichste Meßverfahren
), sich aber bspw. durch die Unterhaltung, optisch interessanter "Makel", bestimmter Formulierungen oder aber Phantasien auszeichnet. Und live dann toll lacht, gut riecht, frivol grinst oder toll küsst. Oder eben das Gegenteil von all dem.
Chemie ist keine exakte Wissenschaft.
Aber ganz bestimmt auch nicht Esoterik oder nicht beeinflussbar.
Und die Fähigkeit, genauer urteilen zu können, ist erlernbar...