Sinn suchend
Ich weiss ja nicht, wie ihr das seht, aber für mich hat BDSM was mit Sex, mit Erotik, mit Lust zu tun.
Ich könnte meiner Dom-Rolle nichts abgewinnen, wenn sie mir nicht eine tiefe sexuelle Befriedigung geben würde.
Ausgangspunkt meines Dom-Seins ist nichts anders als meine Lust.
Der Kick an BDSM erwächst für den Dom genau daraus, dass er sich nehmen kann, was er will, ohne fragen zu müssen. Mich stimuliert dies ungemein. Der Kick an BDSM erwächst für die Sub genau daraus, dass über sie verfügt wird und sie ungehemmt ihrer Lust nachgeben und nachgehen kann, ohne dass sie sich vor sich selbst für ihre Lust verantworten muss. Es kickt, einmal nicht sein eigenes Handeln kontrollieren zu müssen.
Insofern gründet diese Lust der beiden auf der Unbedingtheit dieser Konstellation. Wenn Dom zuerst diskutieren muss, ankündigen muss, vorbereiten muss oder danach ausdiskutieren muss ("Hab ich dir auch nicht zu sehr weh getan, Schatz?) oder wenn Sub sich vorher versichern muss, dass nichts geschehen wird, was sie sich nicht schon insgeheim wünscht, ist der Kick weg. Dann weiss er im Vorfeld, was er tun muss, dass sie sich wohl fühlt, und er tut es, weil er von ihr geliebt werden will, und sie weiss, dass er nichts mit ihr anstellen wird, was sie irgendwie als unangenehm empfinden wird, und sie wird ihn für seine Rücksichtnahme und Sensibilität lieben.
Das wird aber langweilig.
Weil die beiden ihren Kreis gezogen haben und nicht in der Lage sind, aus ihm herauszutreten.
Soweit zur Theorie des unbedingten Befehlens und des unbedingten Gehorchens.
Sex - zumindest meiner - beginnt in der Phantasie, und das ist wundervoll, denn dieses Unbedingte des BDSM funktioniert in der Phantasie wunderbar.
Soll Lust jedoch körperlich werden, soll sie sich in die Welt hinein inkarnieren, dreht es sich plötzlich um zwei Menschen mit ihren Bedingtheiten, ihren Unfähigkeiten, ihren Ängsten, ihren Körperempfindungen, ihren Kiddies, ihren Nachbarn, ihrem Arbeitgeber,
Und da ist die Unbedingtheit des BDSM zum Fenster hinaus.
Weil die Vorstellung in unserer Phantasie uns so geil macht, versuchen wir natürlich, in der Welt möglichst das zu erleben, was unsere kühnen Träume uns vor unser inneres Auge bringen. Wäre da nicht der Andere, dieser andere geliebte Mensch, den wir nun mal dazu brauchen, Träume Wirklichkeit werden zulassen.
Fällt damit die Lust am unbedingten Befehlen, am unbedingten Gehorchen, in sich zusammen?
Ich denke nicht. Es ist möglich, die Lust an der Unbedingtheit in die konkret erlebte Situation hineinzuretten. Das gelingt dann, wenn die zwei sich gegenseitig Freiräume einräumen, in denen das Unbedingte passieren kann. In der Theorie ist es dann freilich kein Unbedingtes mehr, denn ich kann mein Dom-Sein nur in den Grenzen des Landes ausleben, das meine Sub mir eingeräumt hat. Aber: es riecht und schmeckt immer noch danach, und das reicht mir für meine Lust.
Das Land auszumessen, in dem das Unbedingte seinen Ort haben darf, ist eine Sache, die Paare für sich ausmachen müssen. Und weil die zwei es immer anders abstecken, als die anderen zwei nebenan im Forum, sieht dieses Land je anders aus. Das macht nichts, solange es den je beiden gut damit geht.
BDSM zu leben, heisst die Arbeit am gemeinsamen Land auf sich zu nehmen. Es gibt BDSM-Länder, in denen sieht man Sub glücklich auf einem Bein stehen und an ihrem Daumen nuckeln. In anderen schwingen Doms, jahrelang geübt, fünf Meter lange Bullenpeitschen, in wieder anderen brennen Kerzlein, kunstvoll im Fleisch von Subs Hinterteil drapiert, vielleicht zu ihrem Geburtstag.
Darf also Dom Sub "unsinnige" Anweisungen erteilen?
Tja, welche Instanz entscheidet über Sinn und Unsinn? Das wäre zuerst zu klären, um die Ausgangsfrage beantworten zu können.
Tiefer gesehen sind alle Anweisungen "unsinnig", weil das Leben selbst keinen Sinn hat, ausser dem, dem wir ihm beilegen.
Die Frage nach dem "Dürfen" des Doms ist eine moralische. Sie setzt voraus, dass es so etwas wie eine "Dom-Moral" gäbe, eine Art UN-Charta für Doms, verpflichtend für die Doms dieser Welt. Auch die gibt es nicht.
Dom darf alles, wofür er die Verantwortung übernehmen kann, wofür er bereit ist, den Preis zu bezahlen. Sub darf auch alles - im Extremfall: sich selbst aufgeben und auf Befehl des Doms vom Hochhausdach springen, wenn dies nun ein letztes erfüllendes Aufbäumen ihrer totalen Lust wäre. Der Preis der absoluten Unbedingtheit - und nur so ist sie wirklich un-bedingt -, ist der totale Verlust.
BDSM ist eine interessante, fragile Konstruktion unserer Lüste. Es ist ein So-tun-als-ob, eine Inszenierung, ein Spiel zur gemeinsamen Lust. Es ist der Drang, die Wirklichkeit des Erlebten so zu gestalten, dass die Phantasie des Unbedingten genügend Nahrung bekommt, sich aufrechtzuerhalten und die Lust zu steigern. BDSM ist damit immer eine Lüge, weil es fordert, was es nicht einlösen kann.
Ich für meinen Teil kenne keine lustvolleren Lügen.
stephensson
art_of_pain