Das Anrecht von Sub
Ich sinne den beiden von hanje zitierten Sätzen nach, die Hartehaende formulierte:
"Ich glaube, Sub hat ein Anrecht darauf, dass der Dom nicht abstürzt. Das motiviert."
Hanje verwechselt
Anrecht mit
Recht. Anrecht bedeutet "Anspruch" oder "Anwartschaft". Nehme ich diese Bedeutung und formuliere Hartehaendes Satz um, lautet er:
"Ich glaube, Sub hat einen Anspruch darauf, dass der Dom nicht abstürzt."
Sub
darf von Dom erwarten, dass er sich nach Kräften bemüht, diesen Anspruch der Sub einzulösen – eben nicht abzustürzen. Subs Vertrauen in Dom gründet darauf, dass er seine Gefühle unter Kontrolle zu halten bemüht ist, denn nur so kann Sub sich fallen lassen.
Natürlich sind Abstürze nicht vorhersehbar – und doch: Dom kann sich prüfen, ob er oder sie in seinem Leben Situationen erlebt hat, die so sehr "an die Nieren gingen", dass ein seelischer Zusammenbruch, ein Ausser-sich-Geraten, eben ein Absturz die Folge war.
Zudem bleibt die Asymmetrie der Dom-Sub-Beziehung: Sub kann – in ihrer passiven Rolle – plötzlich etwas erleiden, das etwas Seelisches aufbrechen lässt, mit dem Sub nicht rechnen konnte. Ein Absturz ist die Folge. Dom dagegen ist schliesslich der Aktive; das, was geschieht, ist ja eine Folge
seiner bewussten Handlungen.
Wenn Dom abstürzt, dann nicht als Folge seiner Handlungen, sondern in der Folge der Reaktionen seiner Sub.
Solche Abstürze sind Verluste der Souveränität des Doms – er ist unsicher geworden ob der Reaktion seines Gegenübers, er hat mit diesen Reaktionen nicht gerechnet.
LeoScorpio etwa schrieb: "Nach dem Treffen brauchte ich eine Weile, um zu "verdauen" was ich miterlebt hatte". Seine Handlungen hatten Reaktionen bei seiner Sub hervorgerufen, die über seinen Erwartungshorizont gingen. Das ist so, wie wenn Buben ein bisschen zündeln und hinterher erstaunt sind, wenn die ganze Scheune in Flammen steht.
frivole erzählte uns: ein Dom "hatte eine brennende kerze umgestoßen, die auf seine gefesselte sub fiel.... folge waren verbrennungen durch das heiße wachs und ein "trauma" (für beide)". Wieder hatte Dom sich nicht bewusst gemacht, dass trotz seiner Umsicht ein Restrisiko ernsthafter Verletzung für Sub bleibt, das Dom
tragen können muss – sonst soll er lieber die Finger von BDSM.-Spielen lassen.
hanje berichtete von einer Dom, deren Fesselungskünsten er entkam und die abstürzte, weil sie sich als Versagerin fühlte. In diesem Fall war der Absturz die Folge eines zusammenbrechenden Selbstbildes der Dame. Auch sie hatte nicht zuvor mit sich selbst geklärt, dass eine Dom auch einmal einen (handwerklichen) Fehler machen darf. Diese Art von Absturz ist allerdings eine alltägliche und hat nichts mit der Reaktion des Gegenübers zu tun. Sie ist in Büros und Schulzimmern genauso zu Hause wie in BDSM-Spielstätten. Auch ein Dom, der sich in der Session etwas beweisen will, sollte sein Dom-Sein überdenken.
Parox' Schilderung seiner Abstürze beschreibt eigentlich keine "Abstürze", denn er leidet daran nicht, sondern nimmt sie sogar als Sprungbrett und Energietankstelle für weitere BDSM-Abenteuer. Seine "Abstürze" sind eine Folge seiner seelischen Verausgabung, sein "Mitfühlen" mit der Sub. Er schafft es (noch) nicht, in seinem Tun die nötige Distanz (nicht: Gefühlskälte!) gegenüber seiner Sub zu wahren.
Wenn wir "Dom" nicht als denjenigen verstehen, der die Peitsche schwingt, sondern als denjenigen, bei dem Sub sich fallen lassen kann, können wir Hartehaendes Gedanken nachvollziehen, dass Sub einen Anspruch darauf hat, dass Dom nicht abstürzt. Genau genommen müsste Dom diesen Anspruch zuerst einmal an sich selbst haben. Und um diesen Anspruch einzulösen,
kann Dom etwas tun. Das Zauberwort heisst "Bewusstseinsarbeit". Je mehr Dom es gelingt, das zu
bejahen, was er tut und welche Folgen, Reaktionen bei Sub, sich daraus ergeben, umso weniger kann er abstürzen. Um zu bejahen, was er tut, braucht er innere Klarheit und Bewusstsein, dass Unvorhergesehenes geschehen kann. Im Übrigen wird sich eine solche Haltung auch wohltuend auf sein restliches Leben auswirken.
Bewusstseinsarbeit geschieht durch eine ehrliche und schonungslose ständige Selbstüberprüfung: Bin ich mir im Klaren, was ich gerade tue? Bin ich offen genug, jegliche Art von Reaktion meines Gegenübers zu tragen und zu bejahen? Kann ich es auch bejahen (nicht: gut heissen!), wenn die Folgen meines Tuns negativ sind?
Diese Bewusstseinsarbeit wird nie "fertig" sein. Subs Anspruch, dass ein Dom nicht abstürzt, wäre also ihr Anspruch, dass er nicht aufhören wird, an sich zu arbeiten, dass die Chance eines Absturzes immer geringer wird. So formuliert stimme ich dem Satz von Hartehaende zu.
stephensson
art_of_pain