Der entscheidende Punkt:
@******i67mich stört nur das Viele polyamor immer nur mit Sex in Verbindung bringen.
Mich auch, und andere Polys wie Hexe_Aruna ebenso. Und das aus gutem Grund: Sex ist meistens Teil einer erwachsenen Liebesbeziehung und ein wesentlicher Unterschied zwischen einer Freundschaft und einer Beziehung, aber diesen Unterschied nur auf Sex zu reduzieren ist hirnrissig. Insofern ist die Behauptung, es ging Polys vor allem um Sex, gleichwertig mit der Behauptung, es ginge in jeder Liebesbeziehung nur um Sex. Man kann diese Weltsicht natürlich haben, aber die meisten Leute würden da vehement widersprechen. Warum kommt so eine Aussage also überhaupt?Der Knackpunkt ist, dass sexuelles Begehren außerhalb einer bestehenden Beziehung etwas Wohlbekanntes ist: Jeder, der in unserer Kultur lebt, weiß, dass es so etwas gibt. Dass jemand, der in einer Beziehung ist, für eine weitere Person echte romantische/partnerschaftliche Liebe empfindet und nicht nur sexuelles Begehren, das ist ein in unserer Kultur wenig verbreiteter Gedanke. Vor allem kollidiert dieser Gedanke mit dem Ideal der romantischen Liebe, das in unserem Kulturkreis an allen Ecken und Enden verbreitet wird - nicht zuletzt in tausenden Filmschnulzen, Liedern und Kitschromanen, in denen alles auf magische Weise gut wird, sobald man nur den passenden Menschen trifft. (Und nebenbei bemerkt: Film- oder Buchromanzen verhalten sich zu Liebe in etwa so wie Pornos zu Sex.) Ganz abgesehen davon ist die lebenslange Monogamie auch noch das Ideal der Religion, die unseren Kulturraum über lange Zeit stark geprägt hat (oder Monogamie ist zumindest auf Platz 2 nach der lebenslangen Enthaltsamkeit).
Polyamorie verstößt damit gegen DAS dominierende Narrativ der partnerschaftlichen Liebe in unserer Gesellschaft. Natürlich stecken viele Menschen sie dann in das einzige ihnen bekannte Schema, das bei oberflächlicher Betrachtung zu passen scheint: sexuelles Begehren einer dritten Person. Um beispielhaft für viele Beiträge eine Aussage zu zitieren:
Das "Kind" muß aber einen Namen haben und da klingt es doch wesentlich besser, wenn gesagt wird man liebt mehrere, als das man sie nur für Sex begehrt......
Und natürlich gehen manche so weit, vehement abzulehnen, dass die Polyamorie etwas anderes ist oder auch nur sein kann als solch ein sexuelles Begehren - sie hat einfach keinen Platz in deren bekanntem Weltbild. Ohne damit jemandem zu nahe treten zu wollen: In dieser Hinsicht ähnelt diese Reaktion der Weigerung einiger fundamentalistischen Christen, Homosexualität (und auch Bisexualität) als etwas natürlich Vorkommendes zu akzeptieren, sondern es zur Erkrankung, zu teuflischem Einfluss oder etwas Ähnlichem umzudeuten. Letzteres ist offensichtlicher Unfug, weil Homosexualität so häufig aufzufinden ist. Ersteres ist auch Unfug, aber nicht ganz so offensichtlich, weil man Polyamorie eben deutlich seltener begegnet.Ergänzend zu diesen Ausführungen noch ein paar Antworten zu Details:
@******i67:
dann wäre meine (ehemalige) beste Freundin und ich im Prinzip auch schon polyamor
Nach meiner Definition wärt ihr das dann, wenn ihr eine über die Freundschaft hinausgehende Beziehung miteinander angestrebt/versucht hättet. Aber die Abgrenzung ist nie beliebig trennscharf (deswegen wissen manche Paare auch nicht genau, ab welchem Zeitpunkt sie "wirklich" zusammen waren).@********_fun:
Ich meine: es gibt eigentlich unvereinbare Bedürfnisse in jedem Menschen welches in Beziehungen eine Rolle spielt, nennen wir sie der Einfachheit halber: "Sicherheitsbedürfnis" und "Abenteuerlust"
Meine Erfahrungen und Einblicke in die Polyamorie haben sich nicht zwischen den Polen "Abenteuerlust" und "Sicherheitsbedürfnis" abgespielt, sondern zwischen "an Konventionen angepasst " und "den eigenen Wünsche entsprechend". Nota bene: Das sind nicht für alle Menschen entgegengesetzte Pole, aber für Menschen, die nicht-platonische Liebe für mehrere Menschen zugleich empfinden, schon. Meine Partnerin hat sich nie nach Abenteuern umgeschaut und hatte nicht vor, eine weitere Beziehung zu beginnen. Sie hat sich einfach intensiv in jemanden verliebt, ohne dass ihre Zuneigung für mich abgenommen hätte. Abenteuerlust spielte dabei keine Rolle - und ja, ich kann das sagen, denn wir tauschen uns sehr viel darüber aus, was wir grade denken und fühlen.
@*******_65:
verschwiegen wird, das menschen zuhause sitzen, rotz und wasser flennen, innerlich sich zerreissen, weil der lebenspartner woanders sich seinen spass gönnt. [...]
man hat seine eigene gefühlswelt kastriert, um mit bedacht, reflektiert und mit empathie, sich sein eigenes gefängnis gebaut, um seine eigene gefühle im zaum zu halten....
wenn ein mensch an seinem ego arbeiten muss, um ein lebensentwurf auszuleben, dann verleugnet sich dieser mensch selbst!
Also, ich hab noch nie Rotz und Wasser geflennt - am Anfang war ich ein bisschen unsicher, wie oft, wenn ich mich in eine völlig neue Situation begebe, inzwischen freue ich mich für meine Liebste und wünsche ihr einen schönen Abend. Der ist übrigens nicht nur ein "sich Spaß gönnen" - das wäre eine offene Beziehung. Sondern es ist ein Abend "Zeit mit einem geliebten Menschen verbringen" und damit in meinen Augen viel mehr als nur Spaß.man hat seine eigene gefühlswelt kastriert, um mit bedacht, reflektiert und mit empathie, sich sein eigenes gefängnis gebaut, um seine eigene gefühle im zaum zu halten....
wenn ein mensch an seinem ego arbeiten muss, um ein lebensentwurf auszuleben, dann verleugnet sich dieser mensch selbst!
Versteh' mich nicht falsch: Viele Menschen würden Rotz und Wasser flennen, weil sie einfach anders ticken als ich (nicht besser oder schlechter, sondern einfach anders). Aber zu behaupten, dass das bei allen Menschen so sein muss, nur weil man es nicht anders kennt, finde ich eine reichlich verengte Sichtweise.
Und was das Ego angeht: Ich finde es nicht verwunderlich, dass das Ego meckert, wenn man sich von dem Gedanken "ich habe und bin doch alles, was mein Partner jemals wollen kann" verabschiedet. Es meckert ja auch oft, wenn man feststellt "okay, jemand erledigt diese Aufgabe besser als ich". Menschen denken sich die Welt gerne so zurecht, dass sie als Gesamtpaket das Tollste sind, was da draußen rumläuft. Wenn es Selbstverleugnung ist, sich selbst in einem realistischeren Licht zu sehen, dann braucht diese Welt mehr von dieser "Selbstverleugnung"
@****ner
Ich für meinen Teil muss nicht jede Fähigkeit drauf haben und dieses Thema klingt für mich verdammt nach sich nicht entscheiden zu können/wollen.
Zustimmung! Man muss nicht jede Fähigkeit besitzen. Und ja, wenn ich zwei Menschen liebe und mit beiden Menschen eine Beziehung haben möchte, dann will ich mich nicht entscheiden müssen. Ist doch logisch, oder? Ungewohnt ist nur der Gedanke, dass das tatsächlich für alle Beteiligten funktionieren kann.