Der ICD-10 wird in Fachkreisen alleine gar nicht mehr verwendet, sondern nur noch kommentiert. In den Kommentaren ist der Leidensdruck für die meisten psychischen "Störungen" der entscheidende Faktor. Ist dieser nicht vorhanden, wird es auch nicht als Störung, und damit nicht als Bestandteil des ICD-10 betrachtet. Weil damit geklärt ist, dass gar keine Behandlung notwendig ist.
Insofern ist die reine Auflistung des ICD-10 unvollständig. Er alleine scheint alles als Krankheit aufzuführen, was dort steht; kommentiert ergibt sich aber ein, das eben skizzierte differenzierte Bild.
Dann noch zum Begriff "Perversion".
Es gibt vier Perversionen, die schon seit Jahr und Tag als genau solche bezeichnet wurden und werden:
• Sex mit Toten
• Sex mit Tieren
• Sex mit Kindern
• Sex mit Hilflosen (z.B. geistig Behinderten).
Darüber hinaus galt eine Perversion laut Freud jeder Sex, der nicht die Vermehrung als Ziel hat.
Inzwischen hat sich im Lautsprachbereich jene Definition durchgesetzt, dass pervers ist, was von der Gesellschaft als pervers empfunden wird, also zu sehr von der Norm abweicht und deswegen als "verkehrt" empfunden wird.
Das ist der Grund, warum Homosexualität lange Zeit als Perversion bezeichnet wurde, weil sie wider die Natur, also "verkehrt" wäre.
Bei BDSM kann man das spätestens seit "Shades of Grey" hinreichend streichen, da inzwischen die Mehrheit der Gesellschaft diese Form der Sexualität nicht mehr als "verkehrt" einstuft. Das öffentliche Bild diesbezüglich hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt.
Das heißt nicht, dass BDSM bereits zum Mainstream mutiert wäre. Es ist weiterhin ein heißes Eisen, etwas das eher unter vorgehaltener Hand zugegeben wird, als dass es zum Party-Smalltalkthema taugen würde. Es hat immer noch einen Hauch von etwas "Verbotenem", etwas "Verruchtem".
Das haben viele andere sexuelle Praktiken aber auch. Und genauso wie viele andere Formen der Sexualität ist dies nun eine davon, ohne dass sie noch als Perversion wahrgenommen wird.
Was die frühkindliche Prägung angeht, ist sich die Wissenschaft noch nicht ganz einig. Es gibt Studien die eine Korrelation herstellen, andere wiederum nicht. Wie sich unsere Sexualität konkret bildet und ausbildet, ist immer noch eins der großen Geheimnisse, der die Psychologie nachforscht.