Je veux
.Je veux
Nach dem Aufwachen war der Schmerz verschwunden. Das war der erste Moment kleinen Glücks an diesem Tag.
Mit einer Tasse frisch gemahlenen Kaffees trat er nackt auf den Balkon, den die Morgensonne gerade begann, mit ihrer warmen Zunge zu erkunden. Ruhe lag noch über dem Viertel, gegenüber deckte jemand den Frühstückstisch hinter durchsichtigen Gardinen, die fünf verrückten Hühnerdamen im Hof des Nachbarhauses glucksten unbekümmert vor sich hin und der noch kühle Nordwind strich über seine Haut und durch seine Beine. Die Sinnlichkeit, die die sich zusammenziehende Haut seines Beutels sein Rückenmark hinaufsandte und dort mit den wundersamen Signalen aller sich aufstellenden Härchen auf seinem Körper verheiratete, fühlte sich an wie belebendes Wasser, und er badete mit geschlossenen Augen in ihr.
Ein Ei schlug er in die Pfanne, und er verlor die kleine Wette mit sich selbst: daß er es nämlich perfekt rund hinbekommen sollte. Doch das Ei machte, was es wollte, und zum Teufel: es war ein wunderbares Ei, Symmetrie war ihm egal, und noch schöner war es mit dem krausen Grün, das er darüber streute.
Gevatter Zufall ließ er freie Hand bei der Auswahl eines - seines - Liedes an diesem Morgen, und nie hatte er besser daran getan: Was sein Innen anfüllte, drang nun aus dem schwarzen Kasten in die kleine Welt seines Wohnzimmers, leise zunächst, doch dann lauter, lebendiger, kraftvoller, und er hoffte, seine Nachbarin würde ihm verzeihen oder doch wenigstens ebenso ein Stück Lebenslust durch die Wände aufsaugen. Je veux de l'amour, de la joie, de la bonne humeur! Er tanzte mit hochaufgereckten Armen, und er lachte, und das Leben fühlte sich schön an, so schön, so vital, daß man sogar über tausend halbe Kilometer die noch Müßiggehenden aus den Betten und zu den blühenden Pfingsrosen scheuchen konnte, und Freude ist ein Bumerang: Je veux! Je veux! Je veux! Moi aussi!
Später auf den Wiesen am Fluß streichelten die Margeriten und die Scharfgarbe und der Spitzwegerich seine nackten Schenkel, und ein erster Mohn hob seine blutroten Schmetterlingsflügel in den Wind und war verliebt in die Möwe, die sich mühelos tragen ließ, ja: wohin? Er hätte mit ihr fliegen wollen, über die altehrwürdigen Weiden am Fluß, die Hügel auf der anderen Seite mit ihren blühenden Büschen, den Wald, der wilde, aromatische Harzigkeit und einen Hauch Sommer atmete, Seen, Länder... Je veux!
Die Menschen, die seinen Weg kreuzten, zu Fuß spazierend oder laufend, auf dem Rad, vemeinte er seine Energie aufsaugen zu spüren, und er hatte mehr davon, nicht weniger, nein, immer mehr wuchs in ihm, und er gab und pfiff: Je veux! Das Schäkern mit der Bäckersfrau war pure Lebenslust, er schenkte ihr Leichtigkeit und sie ihm ein Stück Kuchen und ihr gewiß schönstes Lächeln an diesem Tag.
Und er wußte, seine Königin würde kommen, eines Tages, der ebenso voll von Wundern und Liebe und Lebenslust und vielleicht kleinem schmerz und Tod und Mühsal sein würde; sie würde kommen, und er würde ihr ein Ei in die Pfanne schlagen, und es wäre nicht rund und doch wunderschön, und sie würden es nackt essen und sich vorher lieben, zärtlich, intim, nah, einander schenkend, bar aller Scham und Ängste. Liebend.
Je veux de l'amour, de la joie, de la bonne humeur!
Moi je veux crever la main sur le coeur!
* Zaz: Je veux
Gewidmet all denen, die französisch in ihren Herzen sind.
Und denen, die es gerade nicht sein können.