Fragwürdige Bindungstheorien
Ich denke, die tiefgreifenden Veränderungen im Hinblick auf gängige Annahmen von Kinder- und Eltern-ROLLEN (ein zentraler Begriff der Soziologie) innerhalb der Familie haben zwei wesentliche Ursachen: Erstens einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft und zum anderen einen Wechsel im Hinblick auf das, wie "Familie" heute gelebt wird.
Was heisst Paradigmenwechsel?
Also man sieht heute die ganzen Bindungstheorien viel kritischer, manche halten sie sogar in ihrer Schematisierug für schädlich. In keinem Forschungsgebiet z.B., der Entwicklungspsychologie oder der Neurologie des Kleinkindes gab es in den letzten zehn Jahren mehr neue Forschungsergebnisse als hier. Gemeinsam ist denen, bei aller wissenschaftlichen Pluralität zumindest die radikale Infragestellung und Negation der bisherigen alten Paradigmen wie "Mutterinstinkt", die gängigen Annahmen über Erstgeborene, Einzelkinder, Nesthäken usw.. Man muss einfach sehen, dass viele dieser heute antiquiert wirkenden Annahmen die Funktion hatten, die Wahrnehmung der Beteiligten zu STRUKTURIEREN, d.h. wenn ich gehört oder gelesen habe, dass "Erstgeborene in der Regel eben so und so seien", dann nehme ich das in einer Art sich selbt erfüllenden Prophezeiung auch so wahr und ignoriere andere, ebenfalls vorhandene Dispositionen.
Zweiter Punkt: Wandel des Familienbildes
Hier justiert sich die öffentliche Meinung seit Beginn der familienpolitischen Debatte, die Frau von der Leyen angestoßen hat, gerade komplett neu. Deutschland wandelt sich nun vom familienpolitischen Entwicklungsland zu einem modernen pluralen Gemeinwesen. Die den meisten Beobachtern antiquiert vorkommenden Ansichten zur allein gültigen Mutterrolle einer früheren TV-Moderatorin und eines radikalen Bischofs sind da ja nur der verzweifelte Versuch, hier Dämme der Tradition gegen den strukturellen Wandel zu errichten. Schrille Töne sind da stes vorprogrammiert...
Der wichtigste Befund hier lautet: Familien- und Elterschaft wird immer individualisierter, sie differenzieren sich in verschiedenen Mileus aus. Die gerade herausgekommene Sinus-Studie "Eltern unter Druck", zu beziehen unter
http://www.kas.de ist jedem zu empfehlen, der Kinder hat.
Wer in dieser Diskussion zur Verbissenheit neigt, sollte sich eher selbstkritisch fragen, ob das beobachtete "Andere" eben nicht in erster Linie als Angriff auf eigenen Konstruktionen von Identität erlebt werden, die in der Moderne eben fast nur noch über das Element der ABGRENZUNG erfolgen. Hier liegt die eigentliche Krux, dass diese Diskussion oft so schnell unsachlich wird. Leider.