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Semester of Love

Semester of Love
Liebe und verliebt sein war schon immer etwas Schönes.
Gewissermaßen ein Schwank eines heute alten Mannes aus seiner Jugend *smile*



©
Beim Kofferpacken schellte gegen halb elf das Telefon: "Du kommst auch wirklich morgen?" vergewisserte sich eine eindringliche Betti.
"Ich warte auf dich!" seufzte sie in einem Ton, den ich als Sehnsucht interpretierte.
Eine Nacht trennte mich von ihr, die schnell vorüberging.
Die Morgensonne sorgte für das passende Feeling. Ein richtiger Urlaubssonnenaufgang. Es würde ein schöner Tag werden.
Nachdem ich ausnahmsweise eine größere Kleinigkeit gefrühstückt hatte, führte mich mein erster Weg zu Monique, meiner Mitfahrerin laut Mensamitfahrzentrale.
Über die Sprechanlage war ihre Phantasien weckende Stimme zu vernehmen: "Till, bist du das? - Ich komme sofort."
Momente später stand sie vor mir: Schlank, blonde Lockenmähne, braune Haut. Eine auffallende Erscheinung, in einer engen schwarzen Jeans und einem weißen T-Shirt. Die Weste darüber wirkte einsichtig kontrastierend. Ich nahm ihr die Reisetasche aus der Hand, wobei die silbernen Reifen an ihrem Unterarm gegeneinander schlugen und das Kettensortiment um ihren Hals klapperte. Außerdem schnupperte ich ihre herrliche Fahne, die aus einem ganzen Spirituosenladen zusammengemixt zu sein schien.
Ich öffnete höflich die Beifahrertür, und sie verabschiedete sich fürs erste: "Du bist mir ja nicht böse, wenn ich schlafe?"
War ich natürlich nicht.
"Wenn du kotzen musst, sag bitte rechtzeitig Bescheid", ermunterte ich sie zwischen Schwerte und Lüdenscheid Nord, als sie für kurze Zeit die Augen öffnete, um sich zu wenden.
Wenigstens konnte ich jetzt ihr Gesicht sehen.
Auf der A 3 (fast schon in Würzburg) erwachte sie, und ich musste für eine Frühstückspause am Rasthof im Spessart anhalten. Sie studierte Lehramt, Mathematik und Deutsch, und wollte sich für ihre Diplomarbeit anmelden. Dass jemand mit dem Studium fertig ist, war für sie kaum vorstellbar.
Nach einem extra starken Kaffee und einem Knäckebrot ohne alles ging es mit einer aufgeweckten Monique weiter. In Ulm fand ich es schade, dass sie mich verlassen wollte (musste). Sie besuchte einen alten Schulfreund. Mir wünschte sie viel Spaß mit meiner Kommilitonin. Trotz des Umweges fuhr ich bis in die Stadt, wo wir uns nett voneinander verabschiedeten: "Vielleicht treffen wir uns in Münster mal wieder", sagte sie und postierte sich an eine Bushaltestelle. Sie wollte mir nicht noch mehr Umstände bereiten.
Ich tankte nach und ärgerte mich über den Leihwagen. Bei dem Verbrauch wäre ich mit meinem wahrscheinlich schon da gewesen, falls er nicht auf halber Strecke liegen geblieben wäre.
Auf der A 8 ging es über das platte Weißwürstelland weiter gen Süden, der Metropole mit den großen Biergläsern entgegen.
Monique, deren Schnapsgeruch verflog, wurde als Beifahrerin von einem rothaarigen Mädchen abgelöst, das die ganze Zeit über in meiner Phantasie im Kofferraum mitgefahren war.
Da mich selbst beim passieren der Bayerischen Landeshauptstadt trotz Fön, Freitag und Nachmittag größere Staus in Ruhe ließen, musste ich guter Laune sein. Über mir der obligatorische blau-weiße Himmel, vor mir der Blick auf die schneebedeckten Alpen, die auf der dreispurigen Strecke Richtung Salzburg näher rückten. Ich nahm den kürzesten Weg über Kufstein, von wo aus es drei Viertelstunden zu dem Ort dauerte, in dem ich mein Glück zu finden hoffte. Neben mir die Reste des Schnees, die leider mehr braunem Matsch als Winterzauber glichen.
Es ging am wilden Kaiser vorbei nach St. Johann. Danach ein paar winkelige Kurven, und ich hatte es geschafft. Auf dem Schild am Straßenrand hieß es schwarz auf weiß "Kirchdorf". Ich folgte der Hauptstraße, eigentlich der einzigen Straße, zum präzis ausgeschilderten Zentrum, wohin ich nicht mal brauchte. Vorher verwies ein mich entzückender Pfeil in eine rechts einmündende Einfahrt, auf dem "Pension Eva" stand. In einer Art Miami Vice-Kehre bog ich ab, und 200 Meter weiter befand ich mich vor einem weißen Häusl, vor dem der mir wohlbekannte rote Fiesta neben einem grünen Polo mit münsterschem Kennzeichen stand. Hier musste ich richtig sein, dachte ich und stieg aus.
Auf der Terrasse stolperte mir die Eva entgegen: "Sie kommen doch wohl nicht aus Münster? - Wir hatten sie eigentlich vor zwei Tagen erwartet, und jetzt ist ihr Zimmer vermietet", musste ich zu meinem Entsetzten erfahren. Außerdem war Fräulein Claas im Augenblick außer Haus, und zwar mit einem anderen jungen Mann, dem, dem das grüne Auto gehörte.
Trotz dieses misslungenen Einstandes ließ ich mich nicht bekümmern und mir von der guten Frau in einer anderen Pension ein Zimmer vermitteln, was sogar funktionierte.
So lernte ich das Zentrum kennen und quartierte mich neben der Kirche und einem rustikalen Friedhof ein. Immerhin konnte ich so von Frauen ungestört für mein körperliches Wohlbefinden sorgen.
Gegen halb sechs wagte ich einen neuen Versuch bei Betti. Wieder schnitt mir diese Eva Weg und Wort ab: "Die Bettina ist jetzt mit ihrem Gast auf ihrem Zimmer, wenn sie möchten, sage ich Bescheid, dass sie hier sind."
Ich mochte dieses wohl. Nachdem sie die Treppe hoch und wieder runter geturnt war, durfte ich zum Zimmer "eins" im ersten Stock hinauf.
"Hallo, Till! Da bist du ja!" wurde ich von Betti fröhlich begrüßt und in den Arm genommen. Sie stellte mir Holger Formann vor, der großspurig auf ihrem Bett saß und mich musterte, als ob ich einer Erzählung aus 1001 Nacht entsprungen wäre. Wenigstens brauchte ich mich nicht umzudrehen. Danach folgte der Floskel- und Informationsaustausch. Nachdem die Punkte "gute Fahrt" und "peinliche Unterbringungsaktion" abgehandelt waren, ging es um die Ausgestaltung des Abends. Herr Formann, den ich nach zwei Minuten unter der Kategorie Schwätzer führte, freute sich wie ein Kind, die Bekanntschaft des sagenumwobenen Gerd Hubers aus Innsbruck zu machen, der angeblich kleiner als Betti sein sollte. Besonders belustigte ihn, dass dieser gestern hier gewesen sein musste und eine rote Rose mitgebracht hatte, weshalb Bettis Zahnbecher nun eine Blumenvase war. Auf jeden Fall war es längst beschlossene Sache, dass wir gleich alle zusammen Essen gingen.
Bis dahin ließ es sich herrlich über den armen Gerd lästern. Da der Zwerg reichlich auf sich warten ließ, beschlossen wir vorauszugehen, nach angemessen erscheinender Frist von 10 Minuten. Er war beruflich als angehender Steuerberater offenbar äußerst termingebunden. In den Genuss von Bettis Bekanntschaft war er im letzten Winter beim Skifahren in Kitzbühel gelangt.
Während sich unsere Dame hübsch machte, gingen Formann und ich herunter. Unsere liebe Eva, die bei Bettis Herrenbesuchen sicherlich die Umfunktionierung ihres Hauses befürchtete, bot uns diesmal ein Bier an, was wir aber dankend ablehnten. Wir wollten auf der Terrasse warten. Dort plante Formann, mich ungestört über meine Reisemotive auszuhorchen. Nur, dass ich beim besten Willen nicht willens war, ihm diese zu offenbaren.
"Die Rose hat der Gerd bestimmt nicht ohne Grund mitgebracht?" begann er elegant.
"Anzunehmen, pauschal fallen mir nicht viele Anlässe ein, einer Frau eine rote Rose zu schenken", erwiderte ich blöd, bestrebt, mir nichts anmerken zu lassen.
"Als wir heute Nachmittag spazieren waren, hat sie mich gefragt, ob ich versuchen wollte, herauszukriegen, wie viel er monatlich verdient", quaterte er als nächstes.
"Interessant."
"Meinst du, dass Bettina sich ernsthaft für ihn interessiert?"
"Gute Frage", sagte ich, obwohl ich das schon gerne gewusst hätte.
"Gestern müssen sie sich wohl trotz der Rose gestritten haben, deshalb wundert mich, dass er heute kommt und dass sie nach seinem Einkommen gefragt hat."
"Abwarten, womöglich bedeutet sein Zuspätkommen sein Nichterscheinen." Mein gestriges Gespräch mit ihr vermochte ich nun unter völlig neuen Aspekten einzuordnen.
Formann horchte auf: "Und, würde dich das freuen?"
"Ehrlich gesagt ist mir das ziemlich egal."
"Bist du nicht wegen Bettina gekommen?" wurde er nun indiskret direkt.
"Nee, wegen des Schnees, was der Gerd gleich nur schwer behaupten kann. Außerdem, so gut sieht sie ja nun wirklich nicht aus."
Formanns Sherlock Holmes Miene erlosch schlagartig, trotzdem konnte er sich das Lachen nicht verkneifen.
"Ich hab der Eva gesagt, wo wir hingehen, falls der Gerd doch kommt", erschien Betti und beendete unseren netten Plausch. Sie hakte sich zwischen uns beiden ein, und zu dritt schlurften wir zum Ortskern. Gleich neben meiner Pension gingen wir in den Gasthof zur Post.
Die beiden entschieden sich für Fisch, ich bevorzugte Hirschragout. Betti, die meines Wissens nur Silvester Alkohol trank, bestand obendrein auf einer Karaffe Wein. Zeitgleich mit den Getränken erschien der Höhepunkt des Abends. Gerd Huber kreuzte entsprechend seinem Stand als Weltbürger mit Sakko und Krawatte auf.
Betti smilte, wir schmunzelten.
Sie stellte uns vor.
Er sagte: "Hallo, Holger, ich bin der Gerd."
Er sagte weiter: "Hallo, Till, ich bin der Gerd."
So machte er sich das erste Mal zum Affen.
Wild winkend, gestikulierend, wie Tarzan in New York, lockte er die Bedienung. Er hatte Hunger. Er bestellte sich das Tagesmenü.
Zu unserem Leidwesen musste er mit dem von Betti am weitest entfernten Platz vorlieb nehmen. Sie saß neben mir, und Formann ihr gegenüber.
Sein beabsichtigt affektiertes Gehabe wirkte auf uns eher amüsierend als imponierend. Wir hatten nicht den Eindruck, den Gerd Huber vor uns zu haben, sondern einen dressierten Hampelmann, der von einem Managerbenimmkurs getürmt war. Vielleicht verwechselte er unsere zwanglose Runde mit einem Kundentermin. Allerdings fragte ich mich, ob er seine grässliche Angewohnheit, lautstark über seine eigenen Witze zu lachen, auf einem Seminar beigebracht bekommen hatte.
Der weitere Abend verlief nett. Formann unterhielt Herrn Huber, und Betti streichelte mir unterm Tisch die Schenkel. Nach ihrer Karaffe drohte sie gänzlich darunter zu verschwinden. Als sie Formann die Zunge herausstreckte, verboten wir ihr, zum Dessert einen Seimknödel zu essen.
Formann erwies sich als richtiger Scherzkeks. Er verstand sich außerordentlich gut mit Gerd, der gekonnt seinen vergoldeten Élysée-Füller befummelte. Sämtliche Punkte der Lästerliste aus Bettis Zimmer rasselte er für ihn scheinbar ernst gemeint erneut herunter, ohne sich das Geringste anmerken zu lassen. Alle fünf Minuten schaute er unbemerkt mit einem verzogenen Grinsen zu mir herüber. Zum Schluss fiel ihm ein: "Da kann ja sogar Bettina über dich drüber weggucken."
Für den morgigen Tag beschlossen wir einen Ausflug nach Bozen. Da Betti ja wusste, in fünf mündliche Prüfungen zu müssen, wollte sie sich neu einkleiden. Und die Damen aus dem Kitzbüheler Skiclub hätten gesagt, dass man dort so gut einkaufen kann.
Gegen 23.00 Uhr löste sich unser Kreis auf. Schweren Herzens ließ ich Betti mit Formann und dem Hampelmann ziehen.
Ich überquerte den Dorfplatz zu meiner Notunterkunft, in der man mich in einer Art Abstellkammer untergebracht hatte. In dem Bett fanden meine Füße sogar Platz, ohne das Fenster zu öffnen. Während ich den Sternenhimmel durch dieses Fenster beobachtete, resümierte ich den Tag. Eine amüsante Woche bahnte sich an. Bloß ich war mir nicht siegesgewiss.
Gerd gegenüber, der in der Tat gekünstelt wirkte, rechnete ich mir aufgrund der Indizienlage gute Chancen aus. Obwohl, Betti schien er zu imponieren, was nicht nur mit seiner Größe zusammenhängen konnte. Keineswegs unterschätzen durfte ich den überraschend großen Einfluss von Formann. Dieser könnte gefährlicher als Gerd werden. Schlimmstenfalls gab er meine Bemerkung über ihr Äußeres an sie weiter. Dann wäre die Sache eine echte Herausforderung. - Er kam bestimmt auf seine Kosten. Für die Rolle des Moderators war Thomas Gottschalk nicht besser geeignet.
Morgen fiel die Entscheidung, und deshalb hielt ich es für ratsam, mich auszuschlafen.

Die Aufstehenszeit von 6.45 Uhr gehörte nicht zu den Dingen, die für ein reizvolles Urlaubsflair am ersten Morgen vor Ort sorgten. Dafür sorgte sich meine Verlegenheitswirtin umso besorgter um mich. Sie weckte mich rechtzeitig, bot mir ein salonfähiges Zimmer an, was ich mir nicht zweimal sagen ließ, und erklärte sich bereit, meine Sachen herüberzutragen.
Die Frühaufstehaktion entpuppte sich als absolut überflüssig. Formann und Betti ließen weit über das akademische Viertel auf sich warten. Unter dem Aspekt, mit 100%iger Sicherheit aneinander vorbeizufahren, hielt ich es für unratsam, ihnen entgegen zu gehen. Ich schaute mir den benachbarten Friedhof an, der in der eisigen Morgendämmerung romantisch wirkte, obwohl dort so mancher lag, der in jungen Jahren am Berg den kürzeren gezogen hatte.
Als ich meine Besichtigungstour abbrach, bog Bettis Fiesta auf dem Kirchplatz ein. "Du möchtest bestimmt vorne sitzen", verwies mich Formann akzentuiert auf den Beifahrersitz, als ob er hinzufügen wollte, dass ich dort näher bei Bettina wäre. Zum Glück hielt er bis Innsbruck weitgehend die Klappe, außer dass er mehrfach versuchte, die unnachahmbare Lache Gerds zu imitieren, natürlich vergeblich.
Ich durchsuchte Bettis Handschuhfach und fand etliche Kassetten mit der dubiosen Aufschrift "Love Songs".
"Von wem sind die denn?" fragte ich neugierig.
"Die hat mir der Gerd nach Münster geschickt."
So, so!
Ich schob eine in das Kenwood-Radio. Betti wurde verlegen.
Das wäre ich an ihrer Stelle auch geworden, denn nach dem ersten Vorspiel war Gerd Huber höchst persönlich zu vernehmen: "Hallo Bettina, wie geht's denn so", und ein wenig später: "Mein Lieblingslied, nur für dich."
"Beeindruckend!" nahm ich diskret das exquisite Stück heraus. "Hat man(n) damit Erfolg, so was zu verschenken?" fragte ich doppelt neugierig geworden.
"Nicht, wie du das jetzt, glaub ich, meinst. Aber nett fand ich das schon."
Ich war erleichtert und wurde frech: "Darf ich die mir mal ausleihen?"
Auf der Rückbank grunzte es.
Betti sagte: "Wenn ich die wiederkriege."
In Innsbruck folgten wir der gestrigen Gerdschen Beschreibung zu seinem Domizil, die mit dem Hinweis endete, auf die vierte Schelle von unten drücken zu müssen. Wir standen vor seiner Tür und fragten uns, warum er nicht "die oberste" gesagt hatte. Er erschien dann und bestand darauf, mit seinem Auto zu fahren. Wir hatten nichts einzuwenden, da laut Formann Bettis Fiesta genauso ausgenudelt wie sie selbst war.
Diesmal beharrte Formann, vorne zu sitzen. Er und Gerd hatten sich schließlich gestern angefreundet. So konnte ich ungestört hinten in der Enge mit Betti die Fahrt über den Brenner genießen. Sie war scheinbar nicht ausgeschlafen, da sie sich quer über die Rückbank legte und meine Knie als Kopfkissen missbrauchte. Auf der italienischen Seite phantasierte sie, dass sie einmal in einem Ferrari über die alte Passstraße fahren möchte. "Till, fährst du den für mich?" überging sie arglos den vorderen Missmut.
Unter dem Genörgel des Herrn Huber über die Südtiroler, von denen er seine Arbeitskollegin Marina vehement differenzierte, passierten wir am späten Vormittag das dunkelblaue Bozener Ortsschild, und kurze Zeit später verschwand unser Calibra in einem der durchnummerierten Parkhäuser.
Die erste Station war der Marktplatz. An einem der Straßencafés stoppten wir zum Espresso- und Cappuccinotrinken. Gerd entschuldigte sich für ein wichtiges Telefonat. Er wollte uns den Anmut der Marina nicht vorenthalten. Kurzfristig versuchte er ein Arrangement zwecks Meetings zu engagieren. Dies war für Formann das Signal, die Highlights der Hinfahrt zu rekonstruieren: Allesamt Äußerungen Gerds, die darauf warteten, veralbert zu werden. "Du bist richtig blöd, lass endlich den Gerd in Ruhe. Sei bloß froh, dass er das nicht alles mitkriegt!" gab es einen ernsthaften Tadel von Betti.
Wir erfuhren, dass die Bozener Schönheit terminlich beschränkt war, wir aber um die Mittagszeit Gelegenheit bekämen, sie in ihrem Stammlokal anzutreffen. Dabei geriet Gerd abstrus ins Schwärmen. Er schaute mich mit einem dreimal heißeren Kupplerblick an, als Formann heute Morgen bei der Platzverteilung in den Autos.
Betti bestand auf einem ersten Inspektionsrundgang durch die Geschäftswelt, um sich einen für die Vorauswahl unentbehrlichen Primäreindruck zu verschaffen, den man in der Mittagspause ausdiskutieren könnte. Zu unserem Leidwesen stellten wir Herren fest, dass die Damen aus dem Skiclub mit ihrer Einkaufsempfehlung recht hatten, da die Schaufenster-/ Innenstadtflächen-Relation im Vergleich zu ähnlichen Orte immens hoch war.
Es kristallisierten sich zwei Gruppen: Gerd umkreiste die Impressionen von Moschino und Simonetta sammelnde Betti, während Formann und ich im dezenten Abstand folgten. So hörten sie unsere sie betreffenden Bemerkungen nicht.
Punkt 14.00 Uhr manövrierte uns Gerd in eine Hinterhofabsteige, Marinas Stammlokal. Dort scharten sich tumultartig auffällig gut gekleidete Vertreter der italienischen Seite um den Weinausschank. Wir bekamen Marina tatsächlich zu Gesicht, eine einigermaßen hübsche, schlanke Brünette, Ende 20, deren Herkunft aus gutem Hause Betti äußerst imponierte. In einer von den Frauen unbemerkten Minute bemerkte ich auf Anfrage Gerds, dass ich Marina, die Formann mit einer guten Acht skalierte, nicht von der Bettkante stoßen würde, obwohl sie nicht der Typ Frau sei, neben dem ich morgens aufwachen wollte. Formann flüsterte in mein Ohr: "Der kann mir erzählen, was er will, aber die ist eine Nummer zu groß für ihn."
Die gnädige junge Frau hatte nur wenig Zeit für uns, sie musste zur Harfenprobe. Formann und ich bedauerten das weniger, weil uns das Surrounding eine Spur zu südländisch war. Für den Lunch wechselten wir in eine Spaghetti-Pommesbude des gehobenen Anspruchs, in der die uns entgegengebrachte Gastfreundlichkeit erheblich abnahm, als ich mich an Stelle von "pagare" mit "zahlen" artikulierte.
Der nachmittägliche Ausflug in Bettis Schaufensterwunderland war wesentlich komplizierter als der erste. Die umfangreiche Kollektion der Vorauslese wollte nun einzeln durchprobiert werden. Trend-Setter war eine Kombination aus blauem Kostümchen und weißer Bluse, wobei die unlösbare Frage in kurz oder lang bestand. Denn niemand konnte vorhersehen, welche Räumlichkeiten sie bei der Benutzung dieser Kleidungsstücke vorfinden würde. Davon hingen nämlich die Manipulationsmöglichkeiten der Beinverschränkungen beim Sitzen ab.
Während Formann sich minütlich mehr langweilte, strengte sich Gerd an, jede Kreation schöner als die vorherige zu finden. Ich bemühte mich, eine Spur von Sachlichkeit zu wahren und sie von einer aparten weißen Seidenhose mit dunkelblauem Oberteil zu überzeugen, worin sie wirklich hübsch war. Sogar so hübsch, dass Gerd einige Fotos von ihr machte, als ob er Karl Lagerfeld persönlich wäre.
Vorsichtshalber nahm sie einen langen Rock dazu, für den er es sich nicht nehmen ließ, ihr den passenden Gürtel zu schenken. Ein Schleimer der alten Schule! Weiter kümmerte er sich rührend darum, dass die Sachen im Laufe der Woche umgearbeitet würden. Er visierte eine Transportlösung über Marina, seinen Arbeitsplatz und natürlich sich selbst an.
Da wir es versäumt hatten, bis zur Ladenschlusszeit herumzutrödeln, wollte Betti weiter passende Schuhe suchen. "Da wir ja schon mal hier sind!" Obwohl ich kein gutes Gefühl hatte, sie mit dem Hampel alleine in der fremden Stadt umherziehen zu lassen, beschloss ich, mit Formann ein Bier zu trinken. Mir taten mittlerweile die Füße weh. Wir beide konnten uns nicht des Eindruckes erwehren, dass Gerd sich freute, uns los zu sein, wozu mir der alte Spruch von Lars Aust einfiel: "Mach du mal die Vorarbeit, ich mache dann den Rest."
Wir stießen auf unser Traumpaar an. Formann ermittelte, dass ich in Münster keine feste Partnerschaft pflegte, aber einer Beziehung grundsätzlich nicht abgeneigt gegenüberstände.
"Stört dich eigentlich gar nicht, dass die beiden jetzt alleine herumturteln?" ging die gestrige Leier von neuem los.
"Doch! Ich finde nämlich, dass Betti einen Besseren verdient."
"Ja?" blitzten seine Augen, "wen verdient sie denn besseren?"
Ich überlegte absichtlich lange: "Ihren Traumprinzen vielleicht?"
"Soo? Und wer soll das sein?"
Ich lehnte mich geheimnisvoll in meinen Sessel zurück und sagte: "Gib dir keine Mühe. Ich werde nicht gestehen, dass ich es auf sie abgesehen habe."
Er grinste: "Ok. Themenwechsel!" prostete er mir zu, und wir begannen ein echtes Männergespräch: Philosophisch spekulierten wir über das Spektrum diverser Qualitätsniveaus von Hubers Marina.
Unsere Schuhpurchaser ließen sich Zeit. Je länger sie fortblieben, desto intensiver fürchtete ich, dass sie diese vergessen haben könnten. Oder waren sie in einem dunklen Hinterhof steckengeblieben?
"Ich kucke mal, ob die beiden vorne stehen und uns nicht gefunden haben", schlug Formann vor, der sich weniger um Betti als um seine Heimreise sorgte. Die Befürchtung, dass Gerd uns stehen lassen könnte, falls er nur ansatzweise mitbekommen hatte, was wir über ihn geredet hatten, war sicherlich nicht unberechtigt.
Zwei Minuten später war unsere Viererrunde vereint. Wir einigten uns, schnellstens nach Hause zu fahren, da der Tag doch lang geworden war.
Auf dem Weg zum Parkhaus traute ich meinen Augen nicht. Ich musste mit ansehen, wie Gerd vor mir mit Betti Arm in Arm stolzierte.
"Hatte ich den Kerl etwa unterschätzt? Hätte ich die beiden nicht alleine lassen sollen?" spukte es durch meinem Kopf, bevor ich beim Auto den vorläufigen Höhepunkt erleben durfte: Er betitelte sie mit "Schatz". Wenigstens tat Formann einmal etwas Sinnvolles, indem er darauf bestand, wegen seiner Größe vorne sitzen zu müssen.
Da der Aufenthalt im Einkaufsparadies selbst für Betti anstrengend war, war ich beim Fahren wieder Kopfkissen. Ansonsten verhielten sich alle eigenartig schweigsam. Lediglich Gerd sah ab und an nach hinten herüber. Jeder war mehr mit sich und seinen Gedanken beschäftigt.
Ich war mir nicht sicher, ob ich sie verloren hatte. Vermutlich dachte sie jetzt, während ihr Kopf auf meinen Knien lag, darüber nach, für wen sie sich entscheiden sollte. Ich umfasste sanft ihren rechten Arm und streichelte darüber, worauf sich die Finger ihrer linken Hand in meinen Oberschenkel drückten.
An der Grenze löste sich für kurze Zeit die gespannte Atmosphäre. Formann gab einige Anekdoten alter Reiseerlebnisse zum Besten.
Auf der Abfahrt nach Innsbruck wurde wiederum kaum gesprochen. Gegen neun Uhr waren wir bei Gerds Wohnung. Weil Betti sich zu müde fühlte, sollte ich mit ihrem Auto weiterfahren. Während ich den Sitz einstellte, beobachtete ich durch das Seitenfenster, wie sie sich verabschiedeten. Er umarmte sie und küsste ihren Mund.
Bis Kirchdorf nahm sie ihre Standardstellung quer auf der Rückbank ein. Sie stellte sich zumindest schlafend. Auch von Formann war nicht viel zu hören. Mehr als mehrdeutige Gesten fiel ihm diesmal nicht ein.
Vor der Pension Eva entließ ich meine Fahrgäste. Er entfernte sich sofort, aber Betti nahm sich Zeit für einen ausführlichen Abschied. Sie umarmte mich und gab mir einen Schmatz auf die Wange: "Ich besuche dich morgen als erstes, dann schauen wir mal weiter. Ich weiß nämlich nicht genau, der Gerd hat mich gefragt, ob ich am Nachmittag mit ihm nach Salzburg zu einem Geschäftstermin fahren möchte."
Danach ließ sie mich los und verschwand im Haus, von wo aus sie mir ein letztes Mal zuwinkte.
Mit gemischten Gefühlen ging ich durch das Dorf. Ich wollte sie auf keinen Fall unter Druck setzen. Sie sollte sich selber entscheiden. Gegebenenfalls würde ich Sportsmann sein und Wien kennenlernen.
Die Temperatur war weit unter null Grad abgesunken. Ich fror.
Der Kirchplatz war dunkel, meine Pension ebenfalls. Ich bezog mein neues Zimmer und versank im Bett. Das mich seit Bozen ängstigende Bild von Betti und Gerd verflüchtigte sich. Ich fühlte ihren Kopf auf meinen Beinen liegen, als ob wir weiter die Brennerautobahn entlang fuhren. Noch nie hatte ich mich nach jemandem so gesehnt.

Fortsetzung folgt...

(P.S.: Dieser Text ist ein Auszug aus einem etwas längeren Buch ...)
Mehr, immer mehr, bitte ... *kopfkino*
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