Gut möglich, dass wir in dieser Diskussion früher oder später das Thema verlassen, dann sollten wir tatsächlich auf PN ausweichen, genauso, falls es privater werden sollte
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Dieses Streben nach aufrichtiger Liebe als zentrales Motiv im Leben, das du beschreibst, finde ich nämlich umgekehrt auch sehr spannend, weil meine Weltsicht ziemlich anders aufgebaut ist und ich bisher noch nicht mal auf die Idee kam, diesen Aspekt in den Vordergrund zu rücken - aber wie du bin ich auch immer neugierig darauf, mich bereichern und verändern zu lassen :). Für mich gibt es im Leben eine Reihe von Motivationen, bei denen das Streben nach (unvollkommener, weil menschlicher) Liebe nur einen eher kleinen Teil ausmacht. Mir geht es vor allem darum, innerlich fürs Alter vorzusorgen, für den Tag, an dem ich alt bin, in einem Pflegeheim sitze, durch die ungeputzten Scheiben hinausblicke und mich an mein Leben erinnere. Möglichst viele, möglichst intensive Erinnerungen, möglichst viel inneres Wachstum, damit ich diesem Tag, an dem alles endet, halbwegs abgeklärt entgegensehen kann - denn ganz am Ende, wenn wir vor dem dunklen Tor stehen, sind wir alle allein und nehmen nur das mit, was wir an Erinnerungen besitzen.
Wenn ich einmal gehe, möchte ich als reiche Frau gehen. Dazu gehört die Erinnerung an Liebe genauso wie die an Hass, die an Zärtlichkeit genauso wie die an Grausamkeit, an Geburten und Fürsorge genauso wie die an Tod und Lieblosigkeit ... ein bunter Teppich soll es werden, mein Leben. Kein blindes Streben nach immer größeren Extremen, die abstumpfen, im Gegemteil, ein zauberhaftes Gewebe aus leisen Tönen und greller Intensität.
Für mich ist BDSM ein Teil von vielen in diesem bunten Teppich. Intensiver Schmerz, langsam und schnell gesteigert, hastiges Atmen, ein plötzlicher Anflug von Todesangst beim Asphyx, aufgelöst durch zärtlichste Küsse ... Hingabe, Angst ... Herrschaft, absolute Verantwortung über einen anderen Menschen, der Rausch des Sadismus, der Macht, die intensivste Wahrnehmung eines anderen Menschen, wenn man alles an ihm auslöscht und in den Hintergrund drängt, was über die Wahrnehmung dieses einen Augenblicks hinausgeht ...
Gut, ich habe auch negative Erfahrungen mit BDSM und andersgearteter Sexualität gemacht. Selbstaufgabe auf Subseite, Missbrauch durch Leute, die es für normale Vanilla-Sexualität hielten, mein Nein zu ignorieren, wenn ich noch halb geschlafen habe, ich habe mit Leuten geschlafen, obwohl ich es nicht wollte, weil ich nicht mal nein sagen konnte ... Aber auch diese Erfahrungen sind Teil meines bunten Teppichs geworden, sie machen mir immer noch manchmal Angst, wenn ich einschlafen will, ich hoffe, dass diese Angst im Lauf der Jahre immer mehr nachlässt, wie es schon in den vergangenen Jahren war. Weder war alles schön noch ist alles schön.
Aus dieser Haltung heraus, mein Leben ist ein bunter Teppich, an den ich mich erinnern will, erlebe ich auch viele Dinge, ohne dass ich daraus etwas für mein Wachstum lerne, einfach nur, weil sie mir Spaß machen bzw. sehr intensiv sind. Natürlich könnte ich meditatives Tai Chi machen, wenn ich meinen Körper spüren will, aber ich mag auch Airsoft und Ballern und durch einen Wald rennen und mich verschanzen und die Kameradschaft meiner Mitkämpfer spüren. Einfach, weil es Spaß macht, ganz Aggression, ganz Angriff zu sein, oder mit der Tarnung zu verschmelzen und leise zu atmen und wie ein Beutetier zu hoffen, dass der Feind mich nicht sieht. Das ist intensiv. Ich könnte Yoga machen oder ins Fitnessstudio gehen, um meinen Körper in Form zu halten, aber ich gehe tanzen, weil ich dabei manchmal in diesen Rausch verfalle, der sich ein bisschen anfühlt wie der Rausch beim BDSM. Und wie schön es ist, eine Katze auf dem Schoß zu haben und zu streicheln, die dabei laut schnurrt ... Kaum zu beschreiben. Dieses Gefühl von Glück auch ein bisschen zu erleben, wenn ich Miao mache und im Rollenspiel versuche, auch mal eine Katze zu sein ... Krücke? Nicht mehr als alles andere im Leben. Und es macht mehr Spaß, als die Wohnung zu putzen oder nett zu Leuten zu sein, die ich nicht ausstehen kann ^^.
Wenn ich mir mein Leben ansehe, dann finde ich viele Dinge, die ich mag, viele Erfahrungen, nach denen ich strebe ... Aber Liebe ist und bleibt für mich tatsächlich nur eine von vielen. Etwas, was total schön ist, o ja, aber ... als zentrales Motiv? Das verstehe ich nicht so ganz. Oder aus Mangel an Liebe? Kannst du das noch mehr erklären?
Zur Gewaltfrage: Was hältst du von Aggression statt Gewalt als Begriff? Das ist für mich irgendwie weniger wertend und beschreibt die Vorgänge, die enthalten sein können, für mich auch ganz gut. Aggression ist erst mal einfach eine Kraft im Menschen, die uns voranstreben und kämpfen lässt, und sie ist m. E. untrennbar mit dem Gegenpol Passivität verknüpft und etwas unheilbar Menschliches. Wenn man also die Polarität Aggression-Passivität intensiv erleben möchte, kann das durchaus eine Motivation für BDSM sein. (Oder für Schach.) Wobei das m. E. natürlich nicht alles ist, was darin enthalten ist, aber das stärkere Element von Aggression ist für mich schon ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal für BDSM-Sexualität und Vanilla-Sexualität.