Der Stolz und der Sex
Wenn ich die Eingangsfrage von
@MM
richtig verstehe, dann geht es um Mehreres:
1.
Da ist zunächst der Wunsch nach Klärung der Frage: Was ist eigentlich Stolz bzw. worauf kann bzw. sollte dieser sich beziehen, worauf eher nicht.
Generell gefragt: Kann ich überhaupt auf andere Menschen oder deren Handlungen stolz sein?
MMs Haltung dazu ist ein klares Nein.
2.
Dennoch gibt es, gar nicht mal so selten dieses Phänomen, dass Person X stolz darauf ist, Person y zu kennen, Z wiederum platzt vor Stolz über das neue Auto, den neuen Lover oder die so attraktive neue Geliebte, mit der sich herrlich Neid bei anderen erzeugen lässt.
3.
Zum anderen geht es MM - und das scheint mir die eigentliche Frage (allein durch die gewählte Forumsplatzierung) - darum, was „Stolz“ im sexuellen Kontext zu suchen hat, und wieso der Begriff ihr wohl öfter im Bereich von BDSM begegnete, wohl insbesonder bei Berichten von/auf der Sub-Seite.
Meine Antwortversuche:
1.
Na klar bin ich selbst über mich stolz, wenn ich etwas an mir sehr gelungen finde, das ich gemacht/geleistet habe. Also volle Zustimmung im Sinne von MM. Dieser mein Stolz ist, so möchte ich ihn nennen, der erwachsene Stolz.
Was man/ich als Kind hingegen hatte (sprach nicht die Psychoanalyse schon von Stolz beim ersten Kacken auf dem Topf? Ich meine) ist eher der Stolz, der mit Besitz, mit Haben und Weggeben-Können zu tun hat.
Damit bin ich bei
2.
Dieses gesellschaftlich übliche - ganz recht, ziemlich dümmliche wohl, aber doch so menschlich anscheinend naheliegende - Stolzsein darauf, dass z.B. meine Schwester ein Promi ist, dass ich mal im Flugzeug neben Nena saß, dass ich als Arbeiter einen Sohn habe, der Professor wurde etc., sind eigentlich Verhaltensweisen, die mit Besitz und mit Angeben zu tun haben.
Erinnert sei, dass wir in einer Welt leben, in der an vielen Stellen (noch) der Besitz über das Wohlergehen ganz stark entscheidet, zumindest der Ideologie nach. Oft sind auch Besitz und Macht (über Menschen) tatsächlich fühlbare Glücksauslöser für viele Zeitgenossen („Ich bin stolz darauf, dass ich täglich 100 Mitarbeitern Anweisungen gebe.“)
Keinesfalls hat diese Form des - nennen wir ihn „Besitz-Stolzes“ - etwas mit Freiheit zu tun, die bei MM, ganz zu recht, zwischen den Zeilen zweimal anklingt.
Damit sind wir bei der Sexualität.
3.
Wenn zwei (oder mehr) Erwachsene sich aus freien Stücken, nach ihrem Gusto paaren, dann hat da wohl kaum eine der beiden Seiten Anlass, auf irgend etwas an diesem Sex stolz zu sein. Wohl eher befriedigt oder nicht, hechelnd nach mehr oder unschlüssig, zweifelnd usw. Doch auch hier, das stimmt, gibt es oft Stolzsein zu beobachten.
Mir als Mann fällt dazu (auch biografisch
) natürlich sofort der berühmte Stolz ein auf jeden Steifen bzw. überhaupt über jedwede technische Maße des eigenen Penis bzw. Phallus, eine Art „Stolz“, die es so nur bei diesem meinem biologischen Geschlecht geben kann, das der Natur nach wechselnde Aggregatzustände kennt. Nach diesem, nennen wir ihn „kindlichem Männlichkeits-Stolz“, oder einfach Phallus-Stolz, kommt dann als nächstes der jugendliche (männliche) „Stolz“ über erfolgreiche Begattungsakte bzw. Zahl der Orgasmen. Wieder ist ein Mangel (im Vergleich zur Frau) Anlass zu diesem jugendlichen Stolz („ich hab’s der x-mal besorgt“), denn die Lust der Frauen (sprich ihre Orgasmusfähigkeit) ist schon nach Sokrates bei 10 Teilen nun mal neunfach und die des Mannes einfach.
Doch auch hier setzt irgendwannn durch Erfahrung mit dem männlichen Erwachsen-Werden die Erkenntnis ein, dass wohl Stolz weder auf die Funktion des Penis noch auf vollbrachte sexuelle „Leistungen“ angebracht ist.
Anmerkung: Zum Stolzsein auf andere/anderes gehört immer, dass ich es jemand anders erzähle. Wenn ich stolz auf mich bin, fühle ich das, strahle das vielleicht aus, muss davon aber partout kein Wort sagen. Im Gegenteil:
Als stolzer, erwachsener, freier Mann brauche ich doch nicht jedem zu erzählen, worüber oder warum ich stolz auf mich bin.
Mit dem Begriff der Freiheit kommen wir zur - wie mir scheint - eigentlichen Frage von Maria_Magdalena:
.
Was hat „stolz sein“ beim BDSM verloren?
Die Antwort lautet für mich: Eher nichts.
Wenn Sub x stolz Sub y erzählt, sie/er sei „stolz auf sich, nun schon 30 Schläge mit der Neunschwänzigen auszuhalten“, dann ist auch das im tieferen Hintergrund wohl Angeberei, ein irgendwie geartetes Leistungsdenken und Zeichen einer irgendwo zu vermutenden Unsicherheit.
Und wenn Dom A zu seinem/r Sub B sagt, „ich bin stolz darauf, was Du nun alles schon an Schmerz aushältst und darauf, dass Du dies von mir und gar noch mehr willst“, dann ist auch das eher ein Zeichen von Besitzdenken und dem daraus resultierenden (wie oben genannt) „falschen“ Stolz, dem kindlichen nämlich.
Meine Schlussbemerkung daher:
Die Sache mit der gänzlichen Freiheit (für Mann und Frau, Sub und Dom) sowie dem wirklichen Erwachsensein, man kann auch sagen der Autarkie bzw. der gänzlichen Selbstbestimmung, ist, so denke ich, nach wie vor ein schwierig Ding.
Man kann an sich arbeiten, anderen zwar etwas klar machen, besser klarzumachen versuchen, aber kaum andere Menschen ändern. Jede/r geht seinen eigenen Weg, auch die, die ihn abschnittweise (scheinbar) zusammen gehen.
MM ist zu beglückwünschen, wenn sie sich als frei outet und ihre gelebte Sexualität frei von solchen, natürlich gesellschaftlich, familiär, religiös usw. beeinflussten Störungen wie Besitzdenken oder Angeber-„Stolz“ ist.
So sollte es sein. Rein auf (die eigene) Lust ausgerichtetes sexuelles Verhalten, das dennoch nicht nur Lustprinzip ist, sondern gewollt, durchdacht, reflektiert.
Ist aber natürlich nicht immer und überall und nicht bei jedem so Realität. Eher im Gegenteil.
Hier ist nicht das heile Paradies. Wir Menschen machen bzw. haben Fehler und wir sind in unseren Schwächen von vielen Seiten geprägt worden.
Wenn mir also jemand heute mitteilte, er/sie sei „stolz“, nunmehr diese Sexualpraktik auch ausgeübt zu haben, oder dass der/die Partner/in nun das oder jenes mit ihm/ihr veranstaltet habe, oder überhaupt, dass er/sie nun ach so viele tolle Erfahrungen/Lover etc. habe, dann würde ich weniger mit Vorwürfen und Unverständnis arbeiten, als still für mich hin zu denken: „Na ist vielleicht noch nicht so weit. Hat noch etwas (zugegeben zu viel für meinen Geschmack, aber es geht ja hier nicht um Partnerwahl oder Geschmacksurteile) mit Angeben und Besitz am Hute.“
Durch den Kontext, den ich hier versucht habe zu umreißen, würde ich vermutlich dennoch für die Formulierung Verständnis zeigen. Sie ist, genau wie die Haltung, allzu weit verbreitet
Freiheit bringt ja auch sehr viel Verantwortung, ggf Schmerz, auf jeden Fall Notwendigkeiten und Selbsterkenntnis mit sich, das alles ist nicht immer leicht. Und manchen Menschen fällt dies halt besonders schwer. Sie sind dann lieber teilweise unfrei, als die Belastung der eigenen Entscheidungen und Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen.
MM hat also m. E. recht:
Stolz sollte etwas anderes sein als Besitzdenken.
Und einen spezifischen Kontext zum Sex bzw. zum BDSM sehe ich auch nicht gegeben.
HM
PS
Erst nach dem Schreiben las ich den letzten Beitrag von
@*******ain
Ja, das führt noch einmal weiter:
Wenn Du den Begriff der Zähmung gegen den Stolz ansetzt, und an so etwas wie Brechen des Stolzes (Thema eines anderen threads hier) denkst, dann hat Stolz durchaus etwas spezifisch mit BDSM zu tun.
Doch ich verstand MMs Ausgangsfrage nicht dahin gehend.
Und für mich geht es bei Zähmung aber auch bei Hingabe eher um die Gegenpol-Begriffe Freiheit, Autarkie, Willen und Stärke.
All das scheint mir bei deiner Verwendung des Begriffes in Stolz mitgemeint zu sein.