Die Nymphomanin
Erzählung1
Träume sind Schäume, sagt der Volksmund. Doch sie stand vor ihm. Leibhaftig und schön. Wunderschön! Er träumte nicht.
Nur wenn er glauben sollte sie wäre die Seine, hätte des Volkes Stimme Gewicht. Doch er glaubte an nichts.
Er überlegte in diesem Moment ob er überhaupt an irgendetwas glaubte, ob er gläubig sei oder Atheist, leichtgläubig oder ein trockener Realist. Die Gedanken zuckten wie Blitze durch seinen Kopf. Er lächelte. Sie sah es und lächelte zurück. Feuer, schrillte eine Sirene hinter seiner Stirn. Die Farbe davor veränderte sich. Er sah plötzlich aus wie eine reife Tomate. Auch das war ihr nicht entgangen...
Wer noch nie vor dem Computer saß, kennt nicht den Stress der durch die Flut der Bilder, das Sortieren und immer erneute Suchen nach Fotos, den scheinbar stillen Computerfreak erschüttert. Zu umfangreich ist der Bilderberg, den wir in der digitalen Welt auftürmen. Und täglich wächst er weiter. Wer kennt all die Ordner, weiß wo was gespeichert ist? Die permanente Suche ist die Unendliche Geschichte unserer Zeit. Dabei sind wir doch genetisch auf das Speichern von Bildern programmiert, viel realer als ein Großrechner, der Bilder in Zahlen verwandeln muss.
Der Mann sortierte die Bilder des ihn so sehr erregenden Moments. Die junge Frau war nicht groß. Zierlich, doch nicht ausgehungert wie die lebenden Kleiderbügel auf den Laufstegen der Mode. Auch ihre Bewegungen waren nicht so künstlich. Sie schob beim Gehen den Unterleib etwas vor, nicht viel, nur ein wenig. Es erinnerte ihn an den Gang einer Schwangeren. Doch sie hatte keinen sich wölbenden Bauch und, wie er jetzt verwundert feststellte, auch keine wirkliche Taille. Der Rumpf wirkte verkürzt, weil ein tiefes Dekolletee den wundervoll üppigen Busen so präsent machte, dass alles andere zur Hintergrundmusik wurde. Doch das hatte ihn nicht von dem schönen, blond umrahmten Gesicht abgelenkt, wo er das erotischste Feuer in ihren Augen brennen sah und unter der feinen Nase, glänzende Magentalippen zum küssen aufforderten. Alles war verführerisch an ihr. Das Lächeln; die Bewegung des Kopfes, wenn sie die Haarpracht nach hinten warf; der Gang; die Haltung; die schlanken Beine, die Mann liebkosen muss bis hinab zu den zierlichen Fesseln, den Füßen, Zehen und wieder ganz hinauf bis in den Himmel vollkommener Lust... Der Mann zitterte ein wenig in aufkeimendem Verlangen. Seine Augen glänzten. Sie sah auf ihn hinab und flüsterte: „Männer!!!“
2
Er mochte keine Verallgemeinerungen. Doch das wusste sie noch nicht. Männer hatten bei ihr auch keine andere Begrifflichkeit, wie die Addition zur Mehrzahl. Sie wollte nicht den Einen, sie brauchte alle. Mal im Rudel, mal einzeln, doch selten ein zweites oder gar drittes Mal. Die Ware Mann gehörte zur Gattung der schnell verderblichen Güter. Und bisher war noch keiner ihr so nah gekommen, dass sie ihn hätte schockgefrieren wollen, um ihn bei Bedarf und Lust und Laune aufzutauen. Sie liebte Intimität, doch nicht die, die aus einem Herzen zum anderen wächst, mehr die schnelle, hemmungslose Begierde heraus fordernde und ebenso rasch verebbende Art. Der Morgen danach kennt nicht die Sonne der Verliebten und so wird jeder nächste Tag und Abend zur erneuten Suche nach dem, was satt macht. Und weil die Sättigung keine Zufriedenheit beinhaltet, bleibt es ein gieriges Rennen im Laufrad des goldenen Käfigs der Lust. Die Gitterstäbe sind kalt. Zu kalt für einen heiteren Sommer.
Er wusste, dass er bereits selbst im Laufrad wie ein Gefangener lief, sah den Schmerz in leuchtenden Farben auf sich zukommen, hätte abspringen müssen, doch das war unmöglich. Und es nützte auch nichts, dass sie ihn von sich stieß. Sie war ehrlich. Zeigte ihm ihre Neigung. Erzählte ihre Abenteuer, zählte die Männerbekanntschaften auf, warnte ihn davor ihm weh zu tun. Sie war wirklich ehrlich. Und doch konnte er sie nicht vergessen, verzehrte sich nach ihrer Nähe. Stück für Stück bröckelte alle Selbstachtung von ihm ab. Er wurde hörig, willig, willenlos, ein Spielball für ihre Launen. Doch er bemerkte es nicht...
3
Hätte er sein Gefühl ausschalten können, wie man einen Lichtschalter betätigt, dann wäre ihm bewusst geworden, dass seine Liebe niemals eine größere Resonanz wie die Lust an der Oberfläche ihrer Haut heraufbeschwören könnte. Er hätte die Frau seiner Träume in Traumbildern sehen müssen, als die Spinne über dem künstlerisch geflochtenen Netz in dem er sich verfing. Doch Spinnen kennen nicht die Lyrik der Liebe. Ob lustvoll oder lustlos, wer kann das schon sagen, begehen sie den Akt der Arterhaltung, an dessen Ende sie den unbrauchbar gewordenen Partner verspeisen. Auch das mag lustvoll sein. Doch es ist nicht unbedingt nachahmenswert. Der Mensch kennt subtilere Methoden sich seiner unbrauchbar gewordenen Partner zu entledigen. Die Nymphomanin legt sie auf Halde, spätere Heirat nicht ausgeschlossen. Doch die Etikettierung ist falsch. Hochzeit ist der Untergang einer nymphomanen Frau. Das hätte er wissen müssen, als er sie in seiner liebestollen Naivität bat ihn zu heiraten...