Das rechte Maß
Es ist die höchste Kunst im Leben, dass rechte Maß zu finden.
Ich möchte über meine Beziehung schreiben. Nur über meine, ohne eine Wertung damit abzugeben, sondern um eigene Erkenntnisse, Erfahrungen und Fehler zu beschreiben.
Liebe, Sex, Hobbys, Beruf, Kultur, Sport.......
Mein Leben strebt nach Freiheit, nach Entfaltung, nach Entwicklung. Die Beziehungsform ist unrelevant. Jeder Mensch, egal ob mono oder poly strebt nach individueller Freiheit.
Und genau diese Freiheit braucht auf allen Gebieten und in allen Bereichen das rechte Maß.
Denn nur dann kann meine Beziehung in einer Ausgewogenheit bleiben. Wenn ich egal auf welchem Gebiet die Freiheit übertreibe, verlasse ich die ausgewogene Mitte und gehe in Extreme.
Mit 25 Jahren habe ich geheiratet. Eine gute monogame Ehe geführt, bis ich 30 Jahre wurde.
Dann habe ich mich mit meiner Ehefrau gemeinsan für eine Öffnung entschieden. Nicht direkt als offene Beziehung, aber mit der Freiheit, sexuelle Bedürfnisse und Neigungen auch mit anderen erfüllen zu können. Ich persönlich hatte damals eine sehr starke Neigung für BDSM. Also habe ich meine Freiheit genutzt und viele Kontakte gesucht. Ich bin von einem BDSM - Event zum anderen gefahren. Privat oder öffentlich, in Hamburg, in Frankfurt, in Köln, in der Schweiz, in Holland, in Frankreich. Natürlich mit Ehefrau. Sie hat es ja mit getragen, sie hat mir ja die Freiheit zugestanden.
Aber ich habe diese Freiheit wohl falsch verstanden. Denn mein Streben nach mehr, nach höher, weiter, schneller und extremer hat mich unbewusst immer weiter von der Frau die ich liebte und liebe entfernt.
In dem naiven Glauben, dass ich ja die Freiheit hatte, die Erlaubnis, den Freifahrschein zu haben, habe ich das rechte Maß verloren. Ich habe die ausgewogene Mitte verlassen.
Mir war überhaupt nicht bewusst, wie sehr ich meine Ehefrau damals mehrfach verletzt habe, dass ich sie manchmal nur als "Eintrittskarte" für MEINE Freiheit benutzt habe.
Dachte ich doch, ich hatte doch die Freiheit, alles zu tun, was mir Spaß machte.
Und dann, als meine Ehefrau zu mir sagte, es ist nicht mehr zwischen uns wie es wahr und wie es zwischen Ehepartnern sein sollte und dass sie diese Form der Freiheit nicht mehr mittragen will und kann........
erst dann wurde mir mein falsches Verhalten bewusst.
Und sie tut weh, die Wahrheit, es war nicht einfach, zu mir selbst ehrlich zu sein, es schmerzt, die Erkenntnis zu akzeptieren, dass ich nur für MEIN Ego, dass nach Freiheit strebte und dabei das rechte Maß verloren hat, fast die Liebe zerstört habe.
Mir wurde bewusst, dass ich Freiheit mit Freifahrschein verwechselt habe.
Mir wurde wieder bewusst, dass eine Ehe, eine Beziehung von zwei Menschen gestaltet wird. Füreinander und miteinander zu sein. Bedürfnisse und Befindlichkeiten gegenseitig zu akzeptieren, mit Respekt und Achtung voreinander Verständnis füreinander zu haben. Denn es ist die Liebe zwischen zwei Menschen, die eine Beziehung überhaupt erst zur Beziehung macht.
Denn nur die Liebe ist es, die eine Beziehung trägt.
Ich habe mein Streben dann radikal verändert, habe einiges ganz weggelassen und vor allem mit meiner Ehefrau wieder gemeinsam unsere Beziehung gestaltet, so dass auch sie wieder glücklich und zufrieden mit unserer Beziehung sein konnte.
Nun ist unsere Beziehung wieder so, wie sie war und sein soll. Wir beide gemeinsam leben eine Beziehung, die nicht völlig offen ist, aber genug Freiheit und Freiraum für beide zulässt.
Unsere Beziehung kann sich zeitweise öffnen, aber auch wieder schließen. Diesen Rahmen stecken wir gemeinsam ab.
Heute ist Freiheit für mich der ehrliche Wunsch freiwillig und mit Freude eine gute Beziehung mit meiner Ehefrau zu führen. Eine Beziehung zu führen, die Freude macht, in der ich glücklich und zufrieden sein kann und es als wunderbar empfinde, dass meine Ehefrau auch glücklich und zufrieden ist.
Diesen Zustand mit Freude beizubehalten, dass ist meine Entscheidung.
Denn wenn ich meine Beziehung nicht als Freiheit, sondern als Zwang empfinden würde, hätte ich damals die Beziehung beendet, so wie meine Ehefrau sie beendet hätte, wenn ich mein falsches Verständnis von Freiheit damals nicht geändert hätte.
Denn das ist die Freiheit, die ich habe. Zu entscheiden, ob ich in einer Beziehung bleibe weil sie für mich gut und richtig ist oder sie zu beenden, weil sie für mich schlecht und falsch ist.
So gilt es also auch für die Freiheit das rechte Maß zu finden. Und das rechte Maß zu finden ist die höchste Kunst.
lg Ralf
Die Menschen finden die Wahrheit nicht. Die Wahrheit findet die Menschen.
Augustinus