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Frau zweiter Klasse

**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
Ich sitze am Pokertisch und starre in meine Karten wie ein Huhn auf Drogenentzug. Irgendwie muss ich mich ablenken. Alkohol hilft, und der Buddy des Hetero-Mannes mixt wirklich cooles Zeug. Es hilft. Es hilft nicht genug, aber es hilft. Wenn ich genug davon getrunken habe, werde ich bereit sein für eine verzweifelte Tat. Ich werde Felix vor versammelter Mannschaft zur Rede stellen. Ihm meinen Drink über den Kopf schütten, oder ins Gesicht, ihn anschreien, oder ... oder ... ich setze mich einfach auf seinen Schoß, oder ich knie mich vor ihm hin, und nehme seinen Schwanz in den Mund, das mag er schließlich, dann soll es auch die ganze Welt mitkriegen, wieso ist mein Glas schon leer, ich brauche Nachschub ...

Neben mir am Tisch sitzt eine blasse Frau, die ich bisher nur vom Sehen kenne.

Jessy.

Sie kippt einen Drink nach dem anderen hinunter und wirkt nicht besonders glücklich dabei.

"Hast du Liebeskummer?", frage ich sie, als mich eine finstere Ahnung beschleicht. Das Leben ist manchmal beschissener als jede ausgedachte Geschichte behaupten dürfte.

Jessy schüttelt den Kopf und nickt dann. "Alles scheiße."

"Sehe ich auch so."

Dieser wirklich sehr tiefgehende Gedankenaustausch großer, origineller und weltverändernder Wahrheiten reicht aus, damit sie mich von dem Status einer beinah Fremden zum Status einer Vertrauensperson befördert. Sie lehnt ihren Kopf gegen mich und seufzt tief. Ihr plötzliches Vertrauen überfordert mich und ich tätschele ihr hilflos die Schulter.

Wenn ich diese Geschichte erzählen würde, würde niemand mir glauben, aber ... nachdem ich diese Runde am Pokertisch gewonnen habe, stehen zwei Mitspielende auf und verlassen den Raum. Okay, ja, das ist jetzt nicht so außergewöhnlich, ich weiß, aber ... Während wir uns noch umschauen, wer Poker spielen kann und vorbeikommt, um die zwei freien Plätze zu belegen ...

Also ...

Es sind Felix und seine Freundin. Sie wirft Jessy und mir einen beruhigten Blick zu, in dem eine gewisse Erleichterung sieht. Stimmt ja. Sie weiß, dass Felix Jessy knallt, aber ich bin für sie eine völlig Fremde. Felix folgt ihr in den Raum, setzt sich mit betont unschuldigem Gesicht an den Tisch und mustert Jessy, mich, die anderen mit einem Blick, der ...

Man würde nichts merken.

Scheiße, wie gut kann dieser Typ mit seinem Gesicht lügen?

Er sitzt da, neben seiner Freundin, er sieht zu, wie Jessy sich an meine Schulter schmiegt, wie sie beinah auf meinem Schoß sitzt, und ... Er tut so, als würde er uns kaum kennen. Auch keine künstliche Distanziertheit oder so. Er behandelt uns einfach genauso wie alle anderen hier im Raum. Keinerlei Bedeutung, kein Garnichts.

Ich springe auf. "Bitte entschuldigt mich kurz." Mein Stuhl knallt nach hinten auf den Boden, aber es kümmert mich nicht. Auf meinen zu hohen Absätzen finde ich irgendwie den Weg zur Tür, stakse über den Flur und gehe eine Tür weiter in den Raum, der leer ist. Dort setze ich mich auf einen Stuhl. Dieser Raum ist eigentlich nicht für die Gäste gedacht, aber ich ertrage es gerade nicht mehr, zurück unter die normalen Leute zu gehen. Das hier ist ein Alptraum. Man kann Menschen nicht mehr glauben. Niemandem mehr. Ich will mehr Alkohol, ich will kotzen, ich will ...

Ich will, dass Felix kommt und mich endlich vögelt. Er ist der einzige, der die Macht hat, diesen Alptraum zu beenden. Ich ertrage es nicht länger. Wenn ich jetzt zurück in die Halle gehe ... Mit wem kann ich dann noch reden? Menschen sind bedrohlich, sie sind falsch, sie lügen, sie sind entsetzlich, und ich bin nicht länger die wertvolle Frau, die ich früher einmal hätte sein können, ich bin nur noch Abfall, ich existiere überhaupt nicht, Felix hat mich ausgelöscht, er hat all diese Hingabe von mir genommen und ihr jeden Wert genommen, sie ist unsichtbar, ich existiere nicht länger ...

"Da bist du ja", sagt Jessy. "Ich hab dich vermisst."

Ich dich nicht, wäre die ehrliche Antwort gewesen. Ich habe weder sie vermisst noch irgendjemand anders. Mein ganzes Sein ist in einem Alptraum gefangen. Es gibt nur eine Person, die mich daraus erlösen kann, und das bist nicht du.

Aber vielleicht ist sie in einem ähnlichen Alptraum gefangen wie ich.

Ich leiste keinen Widerstand, als sie sich auf meinen Schoß setzt und sich ankuschelt. Sie scheint Liebe zu brauchen, genau wie ich. Ich umarme sie und atme ihren weichen Frauenduft ein, diese Mischung aus Puder, Haarspray, Parfüm und dem natürlichen Duft ihrer Haut. Wie schön sie ist. Wie kostbar und wertvoll, ganz egal, wie sehr sie verletzt wurde. Sie verdient doch auch, dass man achtsam und ehrlich mit ihr ist, gut und liebevoll, warum ist sie in diesem Moment so weich und verloren?

Als sie mich küsst, küsse ich sie zurück, und als sie ihre Hand in meinen BH schiebt, stöhne ich auf.

"Du wirst mir helfen müssen." Sie kichert. "Das ist mein erstes Mal mit einer Frau, und ich weiß noch nicht richtig, wie das geht."

Ach du scheiße. Ich nämlich auch nicht.
******ter Mann
1.388 Beiträge
Schönes Kapitel, zeigt mir wieder warum mir offener Umgang und ehrliche Verhältnisse so wichtig sind.
Beziehungen (egal welcher Art) in denen es Situationen gibt in denen man sich nicht zueinander bekennen kann haben in der Regel immer eine begrenzte Lebensdauer.

Erst recht weil meine devote Seite schwach ausgeprägt ist kommt bei mir ein Verhalten wie in dieser Situation überaus respektlos an - eine schlechte Grundlage für eine Beziehung.
********lara Frau
6.538 Beiträge
Zwei Blinde - oder Geblendete - die sich gegenseitig den Ausgang zeigen wollen...
**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
Die Situation hat etwas Surreales, aber Jessy mit ihrer schmerzhaften Verletzlichkeit ist körperlich real. Sie fällt zweimal fast von meinem Schoß. Ich frage mich mehr und mehr, was wir hier tun. Jessy ist eine schöne Frau, aber ehrlich gesagt begehre ich sie nicht. Ich weiß nur nicht, wie ich ihr das sagen soll. Während ich noch nach Worten suche, schlägt sie mir vor, dass wir uns in das Separee zurückziehen. Genau. Der kleine Raum mit roter Beleuchtung, bereitliegenden Seilen und anderem Zeug. Eigentlich nur ein Scherz, der das Partymotto aufgreift, aber ...

Jessy und ich versuchen es. Wir versuchen es wirklich, ja? Wir knutschen weiter, auch wenn es mir zu feucht ist, wir streicheln uns und ich ziehe ihr pflichtgemäß das Höschen aus, weil sie das von mir zu erwarten scheint, aber danach weiß ich nicht weiter. Meine Fingernägel sind zu lang, solche Finger stecke ich garantiert nicht in sie hinein, damit tu ich ihr bloß weh, außerdem riechen meine Hände dann komisch. Ihre Perle ist relativ klein und versteckt, und ich weiß ja von mir selbst, wie ich es hasse, wenn jemand einfach so darauf herumdrückt.

Aber was macht man stattdessen?

Irgendwo habe ich gelesen, dass Frauen besser als Männer wissen, was eine andere Frau will. Nun ja. Die Frage ist nur, was mir das hier nützt, denn ... Wenn ich Sex habe, dann will ich üblicherweise einen Mann. Er soll wie ein Mann riechen, er soll einen harten Schwanz haben und ich will spüren, dass er den in mich reinstecken will. Das ist jedes Mal tierisch anturnend. Weil ich eine Frau bin, kann ich nichts davon zur Verfügung stellen, und das führt diesen mutmaßlichen Wissensvorsprung ad absurdum. Wie also soll ich Jessy befriedigen?

Sie reagiert heftig, sie stöhnt, aber ... mein Gott, ich habe auch schon vorgetäuscht, wenn die Situation sich komisch anfühlte, und die hier ist eindeutig creepy. Spielen wir uns hier gegenseitig etwas vor, weil wir die andere nicht enttäuschen wollen? Plötzlich kommt mir eine Erleuchtung. Jessy ist devot. Sonst würde sie nicht mit Felix solche Dinge machen. Ich greife nach den Seilen und wickele sie ihr um die Handgelenke. Ein wenig ungeschickt fühle ich mich dabei, aber ich weiß ja von der anderen Seite her, wie es sich anfühlen soll.

Jessys Reaktion zeigt mir, wie richtig ich lag. Ihr Stöhnen hört sich echter an, weicher und genüsslicher. Ich streichele ihr probeweise über den nackten, weichen Po und schlage zu. Sie stöhnt heftiger. Hah! Ich habe rausgefunden, wie es geht. Jetzt kann ich sie glücklich machen. Service-Sub at her best.

Anschließend mache ich mich mit Jessy auf den Weg zum Roulette-Tisch und hole uns zwei Cocktails. Als ich mit zwei Gläsern in der Hand zu ihr zurückgehe, trifft mich Felix' Blick. Er will mich. In der Sekunde, in der ich nicht mehr daran gedacht habe, dass ich ihn will, hat sich die Erde ein Stück weitergedreht, und jetzt sieht er mich mit diesem Blick an.

Er wird sich bei mir melden, das spüre ich. Und das ist ein Sieg, denn es bedeutet, dass nicht ich mich bei ihm gemeldet habe. Das gibt mir ein wenig Würde zurück, selbst wenn ich den Kampf am Ende verlieren werde.
**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
Natürlich sage ich ja, als Felix mir schreibt, dass er mich treffen will. Ein Teil von mir hungert seit einem Jahrzehnt, war weggesperrt hinter Stacheldrahtzäunen und giftverseuchten Burggräben, und dieser Teil hungert noch immer. Ich will mich hingeben. Und ich bin zu verhungert, um auf Widerhaken und Gift im verlockenden Köder zu achten, wenn man mir die wahre Form meines Seins zum Greifen nah vor die Nase hält.

Als ich an meinem Januarnachtbild weitermale, weine ich gegen meinen Willen. Wie rein ich dort aussehe. Wie unschuldig und schön dieses Etwas ist, was da in mir aufwacht. Von diesem Mondlicht-Gefühl ist nichts übrig geblieben. Devot sein bedeutet Schmutz, denn wenn ich es nicht wäre, hätte ich keinen Grund mehr, Felix heute zu treffen. Ich würde mich nicht mehr von ihm quälen und beschämen lassen. Stattdessen wäre ich eine anständige und gute Frau, die es wert ist, dass ein Mann sie mit Respekt behandelt und abends beim Einschlafen im Arm hält. Etwas so Harmloses, wonach ich mich inzwischen mehr sehne, als ich in Worte fassen kann.

Frau zweiter Klasse.

Natürlich bin ich zehn Minuten zu früh am Treffpunkt, den dieses Mal ich vorgeschlagen habe. Während die Sekunden von den umstehenden Bäumen tropfen, fließt Honig aus dem Herzen in meinen Unterleib und brennt sich tiefer hinein. Meine Augen leuchten so sehnsüchtig, glühend und hungrig, dass ältere Männer mit ihren angeleinten Hunden schlucken und ihre Schritte verlangsamen, um konzentriert nicht zu mir hinüberzusehen. Schließlich sehe ich gar nicht mal schlecht aus, so abgemagert und hilflos, wie ich mich inzwischen fühle. Manche Männer stehen auf diesen Typ Frau.

Nicht zum ersten Mal frage ich mich, warum ich das Spiel nicht einfach beende. Ich es schließlich durchschaut. Felix wird nie eine richtige Partnerschaft mit mir beginnen. Ganz egal, wie sehr ich mich danach sehne, und ganz egal, was er früher erzählt hat ... Er kann lügen, ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Worte sind nichts wert, und darin liegt ein fieser, grausamer Schmerz, der sich von meinem Herzen durch meinen Unterleib bis noch viel tiefer in mich hineinzieht.

Während ich über diese Frage nachdenke, kommt Felix um die Ecke gebogen. Alles in mir zieht sich zusammen. Der Tag meiner Niederlage ist gekommen. Ich werde mich hingeben, ganz egal, was mein Kopf für Einwände hat. Mein Körper hat es längst entschieden. Wie unendlich süß sich die Explosion nach all der Zeit des Wartens und des Schmerzes anfühlen wird!
******ter Mann
1.388 Beiträge
Ein Gedanke der mir kommt: man sollte deutlich zwischen Devotion und emotionaler Abhängigkeit unterscheiden.

Wenn ich mich richtig erinnere war dies doch auch ein Hauptkritikpunkt an 50 Shades - das diese Themen vermischt werden und die Abgrenzung zwischen sauberem BDSM und dier Ausnutzung einer emotionalen und materiellen Abhängigkeit nicht deutlich genug wird.
**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
Ganz langsam lasse ich den Blick von seinen Schuhen über seine Stoffhose zu dem hellgrauen Pullover gleiten, in denen er so normal und nett aussieht. Ich erkenne seinen merkwürdigen Schritt, bei dem er das rechte Bein ein klein wenig nachzieht, was man gar nicht bemerkt, wenn man sich von seinem festen, direkten Blick ablenken lässt. Diese verborgene Schwäche rührt mich jedes Mal.

„Na, wie geht es dir?“, frage ich und lächele ihn an, während eine neue Welle von Schwindel und Schwärze mein Blickfeld überschattet. Ich hätte gestern oder heute wohl doch etwas essen sollen.

„Du siehst wunderschön aus!“ Er umarmt mich, greift beiläufig nach meiner rechten Brust und drückt mir ein paar Küsse auf den Mund.

Mein Unterleib verlangt mit einer solchen Intensität nach ihm und seinen Schlägen, dass ich schon jetzt weinen könnte. Wie jedes Mal fühle ich beim Einatmen seines Aftershaves, wie meine Worte mir entgleiten. Die Berührung seiner Hand auf meiner Taille lässt alles andere auf dieser Welt verschwimmen. Es spielt keine Rolle mehr. Er ist zurück bei mir, mein grausamer, sadistischer heimlicher Geliebter. Ich werde kein Wort darüber verlieren, wie sehr ich in der Zwischenzeit gelitten habe, denn das könnte diesen Augenblick zerstören.

„Ich liebe dich“, flüstere ich und wundere mich über die seltsamen Blumen in meiner Seele, die bei seinem Spiel mit meinem Herzen aufblühen und mein Blut wie Lava erglühen lassen.

Wir gehen in das Café, in dem ich als Kind im Sandkasten gespielt habe und Jahre später nach der Chorprobe mit meinen Schulfreund:innen Bananenweizen getrunken habe. Es hat sich über die Jahre kaum verändert. Die Schwalben nisten noch immer in einem Loch in der Wand, gut verborgen vom wilden Wein. Sie fliegen wieder und wieder dorthin zurück, um ihre Jungen zu füttern. Sind es noch die gleichen Schwalben wie in der Zeit des Bananenweizens?

An diesem Ort spüre ich deutlicher als sonst, was ich verloren habe. Es ist dieses Recht, in Gegenwart anderer Menschen den Kopf aufrecht zu tragen. Dieses Gefühl, in der Disco Menschen zu begegnen und einfach erzählen zu können, wie mein Tag war oder was für Pläne ich habe, anstatt jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, damit niemand merkt, was Felix und mich verbindet. Das verdrehte, giftige, hässliche Lügenband zu ihm schneidet mich von anderen Menschen ab.

Hinter Felix, am Rand des gepflasterten Hofes, befindet sich eine Sandkiste mit Plastikspielzeug, in der die Kinder der Café-Besucher herumtollen und ihren Eltern ein wenig Entspannung und Frieden erlauben. Als kleines Mädchen habe ich dort jeden Sonntag eine Sandburg gebaut. Vor zwei Jahren haben die Café-Menschen daneben noch eines von diesen Schaukeltieren auf einer Spirale und daneben eine Holzwippe gebaut. Fast schon ein kleiner Spielplatz. Irgendwie ist es schade, dass diese Dinge in meiner Kindheit noch nicht zur Verfügung standen.

Ein kleines Mädchen im roten Kleid kommt angelaufen und setzt sich auf die eine Seite der Wippe. Die braunen Sitzschalen bieten auf jeder Seite Platz für ein Kind. Anscheinend hat man hier die Variante mit mehr als zwei Mitspielenden nicht vorgesehen. Das Mädchen umklammert die Griffe fest und hüpft mehrfach auf und ab. Nichts passiert. Sie stemmt die Hacken in den Boden und hüpft noch einmal hoch. Fast gelingt es ihr, zu fliegen, aber dann stürzt ihre Seite der Holzwippe brutal auf den Boden zurück und ich zucke mit ihr zusammen. Das muss doch wehgetan haben! Aber die Kleine ist eine Kämpferin. Als Nächstes versucht sie, sich auf die Sitzschale zu knien und das Gleichgewicht nur mit den Händen zu halten. Wie schön es ist, so jung zu sein, denke ich lächelnd. Schließlich hat sie es geschafft und balanciert für wenige Augenblicke auf der Sitzschale, bevor sie zu sehr schwankt und sich lieber wieder festhält.

Felix räuspert sich und macht mir damit klar, dass mein Schweigen schon zu lange dauert. Natürlich muss eine devote Frau still sein, wenn ihr Herr das von ihr verlangt, sie darf zum Beispiel keinesfalls zu seiner festen Freundin laufen und Klartext sprechen, aber offenbar bin ich ihm in diesem Augenblick zu leise.

Ich neige den Kopf, um mich dafür zu entschuldigen.

Unser Ritual verlangt, dass ich ihm jetzt von der Idee für eine neue Perversion erzähle, die mir in den vergangenen Wochen gekommen ist. Solche Dinge fallen mir als Künstlerin natürlich leichter als einem ernsthaften Mann wie ihm, der von seiner mit Vanilleblüten bedeckten Freundin nie die Möglichkeit erhielt, das Pflänzchen seiner sadistisch-kreativen Ideen zum Blühen zu bringen.

Aber was soll ich ihm heute vorschlagen?
********lara Frau
6.538 Beiträge
Du erinnerst mich an den Vergleich, den ich vor ein paar Tagen artikulierte, nachdem ich mit meinem Sklaven über Grenzen und Horizonte sowie die Vorteile des Switchens sprach:

Es ist wie eine Wippe. Mal ist der eine oben, mal der andere. Indem der eine nach unten geht, fliegt der andere nach oben, ohne dadurch die Lust des unteren zu schmälern, denn er weiß: Bald ist er wieder der obere.
Bei jedem Wechsel begegnen sie sich auf gleicher Höhe...

Wie das kleine Mädel zeigt - auch alleine muss man sich nicht langweilen.
******ter Mann
1.388 Beiträge
Bei der Analogie der Wippe kann ich nicht ganz mitgehen.
Die Freude eines Sub oder Switchers am unten ist ja nicht das Wissen wieder nach oben zu kommen, eher ist es das Gefühl des nach unten rauschens (wie in einer Achterbahn oder einem Freefall-Tower auch).
Und wenn wir dabei sind - ein guter Dom ist dann derjenige der den Fall auf der anderen Seite kontrollieren und sichern kann, indem er sein abstoßen / aufsteigen anpasst, gleichzeit aber auch genau diese Kontrolle genießt.
********lara Frau
6.538 Beiträge
@******ter Beziehe das unten und oben nicht einfach nur auf Top und Bottom...
Aber ich will hier nicht diskutieren inmitten der wunderbaren, spannenden, seelischen Analyse.
**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
„Ich habe kürzlich ein sehr komplexes Buch von Ursula Le Guin gelesen. 'Planet der Habenichtse'. Ein echter Klassiker in der anspruchsvollen Science Fiction“, erzähle ich und sehe, wie er verwundert die Augenbrauen hochzieht.

Die Kellnerin kommt, ein junges Mädchen mit geflochtenen Zöpfen, einem glatten Pony und einem Haarreif. Sie bringt Hefeweizen für Felix und Kirschsaft für mich. Wir prosten uns zu, während sie am Nachbartisch die Bestellung der Mutter des kleinen Mädchens aufnimmt. Alles ist wie immer. Trotzdem seufze ich und schäme mich vor den Geistern meiner früheren Freund:innen. Haben wir damals wirklich die Nächte mit Bananenweizen und Cola-Rum damit verbracht, uns gegenseitig zu erklären, wie die Welt funktioniert und welche Rolle die Kunst darin zu spielen hat? Habe ich damals wirklich von einer aufregenden Zukunft geträumt, die ich jetzt anscheinend ja endlich gefunden habe...

„Le Guin entwickelt in diesem Buch ein gut durchdachtes Modell einer anarchistischen, geldlosen Gesellschaft, in der jeder und jede Einzelne optimale Bedingungen finden soll, um sich und die eigenen Anlagen zu entfalten“, erzähle ich weiter von meinen Science Fiction-Roman, der scheinbar überhaupt nichts mit unserer SM-Beziehung zu tun hat. Damit durchbreche ich das Ritual.

Felix lacht rau. „Ich kann dir sagen, dass eine solche utopische Gesellschaft nie funktionieren wird.“

„Warum nicht?“ An diesem Ort merke ich stärker als seit Monaten, wie sehr mir die philosophischen Nachtgespräche mit meinen Leuten fehlen.

„Es ist der menschliche Faktor“, sagt Felix. „Eine utopische Gesellschaft kann nur dann funktionieren, wenn alle Menschen Heilige sind. Die Realität ist anders. Da will immer irgendjemand Alphamännchen sein und strebt nach Macht.“

„Meinst du nicht, dass Machtstreben manchmal einfach dazu dient, irgendetwas zu kompensieren? Dass jemand, der im Einklang mit sich selbst lebt, so etwas gar nicht mehr nötig hat?“

Es geht mir nicht darum, dass ich diese Ansicht tatsächlich vertrete, oh nein – ich mag lediglich das dialektische Spiel zweier gleichstarker Geister. So, wie es bei meinen alten Freund:innen gewesen ist, vor Exfreund Nummer 3, in diesen nie endenden WG-Nächten mit Rotwein aus Senfgläsern und Bonnie Tyler, in denen die Luft schwer wurde vom süßen Geruch nach verbranntem Seil. Diese Nächte fehlen mir.

Felix lacht wieder, ein klein bisschen abfällig und in diesem arroganten Tonfall, dem ich so verfallen bin. „Du bist sehr naiv, wenn du dir so etwas einreden lässt, Kleines. Das Streben nach Macht ist ein Teil der menschlichen Natur. Wenn jemand Macht möchte, dann sucht er sie um ihrer Selbst willen. Damit will er auch gar nichts kompensieren. Es gibt einfach Befriedigung. Schau dir mich an: Glaubst du wirklich, ich hätte es so jung an die Spitze meiner eigenen Firma geschafft, wenn ich damit nur etwas hätte kompensieren müssen? Ich bin Chef über fast 40 Mitarbeiter, und ich bin stolz darauf. Ich habe etwas geschafft, was sonst fast niemand in meinem Alter geschafft hat.“

Dem kleinen Mädchen mit dem roten Kleid ist es inzwischen gelungen, sich auf die Sitzschale der Wippe zu stellen. Es hält mit weit ausgebreiteten Armen rudernd das Gleichgewicht, bevor es schnell einen Sprung zur Seite macht und sich mit den Händen abfängt. Ein prüfender Blick zu den anderen Gästen und zu seiner Mutter, bevor es erneut auf die Sitzschale steigt und sich aufrichtet. Dieses Mal klappt es etwas schneller.

„Dieses Machtstreben... Du sagst, es ist ein Teil der menschlichen Natur“, hake ich nach. „Ist das wirklich so? Gibt es einem Menschen Befriedigung, wenn er Macht über andere hat? Ich verstehe es nicht ganz. Was soll an realer Macht so geil sein, dass man sie unbedingt braucht?“

„O Gott, du kannst Fragen stellen!“ Mein geliebter Gebieter lacht amüsiert über sein kleines Dummchen. „Ja, natürlich ist das so. Machtstreben ist menschlich. Das ist auf eine Weise erregend ... Das kann man gar nicht in Worte fassen.“

Meine Hände zittern. Tausend Schmetterlinge fliegen in meinem Bauch umher. Das hier ist es, worum es in Wahrheit geht. Die ganze verdammte Zeit. Wilde Erregung brennt in mir, deren Ursprung ich nicht greifen kann.

„Ganz normale Macht? Jetzt nicht im BDSM oder so, sondern im realen Leben?“, hake ich nach, um ihm seine Brücke zu bauen.
**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
„Oh ja!“ Er beginnt damit, eine Geschichte aus dem Büro zu erzählen, davon, wie er es einem missliebigen Kollegen so richtig heimgezahlt hat, indem er ihn vor den Mitarbeiten lächerlich dastehen lässt. Die Geschichte könnte amüsant wirken, aber irgendwo in meinem Hinterkopf klingelt ein kleines Glöckchen. Durch das, was Felix da erzählt, wird er nicht anziehender für mich.

Wie bekämpft man eine Lüge? Mit der Wahrheit?

Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie das kleine Mädchen im Sandkasten nach einem vorsichtigen Blick zur Mutter die kleinen Sandalen auszieht und nur auf Strümpfen versucht, über die schmutzige Wippe zu balancieren. Langsam und vorsichtig setzt sie einen Fuß vor den anderen, immer wieder bereit, nach unten zu springen. Manchmal hält sie inne und rudert mit den Armen. Sie ist so niedlich! Ich könnte ihr stundenlang zusehen, wenn ich mit Patrick nicht gerade über die allerwichtigsten Dinge in meinem Leben diskutieren würde.

„Gibt Macht dir wirklich die gleiche Art von Befriedigung, die ich empfinde, wenn ich einen Sonnenuntergang sehe, eine Tauperle auf einer Blume, oder auf einem Bild den letzten, wichtigsten Strich gemalt habe, nach dem ich weiß, dass das Bild eine Seele bekommen hat?“, wiederhole ich meine vorige Frage, nachdem Felix seine Geschichte beendet hat.

„Oh ja!“ Felix lächelt endlich wieder dieses böse Lächeln, das mich so erregt. Meine Unterleibsmuskeln ziehen sich zusammen und ich bekomme schon wieder fast einen Höhepunkt. Ganz langsam atme ich ein und aus und lasse das Gefühl wirken.

Das kleine Mädchen in ihrem roten Kleid balanciert immer weiter nach oben. Die unbeschuhten Kinderfüße erreichen den Mittelpunkt der Holzwippe und erspüren, wie sich der Schwerpunkt verlagert. Ganz langsam wippt die Kleine vor und zurück, ertastet mit weit offenen Augen und ausgestreckten Armen, wie sich der Boden unter ihren Füßen verschiebt. Manche Dinge gelingen nur, wenn man zu denken aufhört und vertraut.

Ein seltsamer Frieden breitet sich in mir aus. „Dann ziehst du eine solche Befriedigung auch aus unserer Affäre?“, frage ich und öffne meine Lippen, um seine Antwort in mich hineinzutrinken.

Felix erschrickt und schüttelt hastig den Kopf. „Um Gottes Willen, Tara, was redest du da! Das ist doch etwas ganz anderes. Wenn ich da Macht über dich habe, ist das doch nur ein Spiel! Nur BDSM! Das muss man doch immer ganz sauber trennen. Spiel und Realität. Wenn ich dir wehtue, dann ist das doch immer nur ein Spiel!“

Ich presse die Lippen zusammen. Meine Haut erbebt bei der Erinnerung an diese Spiele, sehnt sich nach Striemen und blauen Flecken, die so tief sind, dass sie bis zu unserem nächsten Treffen halten. Ich will ihn. Nach wie vor. Obwohl seine Worte nicht zur Wirklichkeit passen.

„Tu nicht so, als hättest du keine reale Macht über mich“, sage ich und schaue ihm tief in die Augen. Er soll sehen, dass jedes meiner Worte voller Hingabe ist. „Du wertest mich Tag für Tag herab. Du spielst mit meinen Gefühlen und erzählst mir immer neue Lügen über deine Freundin, um mich zu demütigen. Du tust mir jeden Tag aufs Neue weh, weil du dich nicht meldest und ich dich nicht anrufen kann, es ist jedes Mal ein Gefühl, als ob es mir das Herz zerreißt. Mehr Demütigung, mehr Schmerz könnte ich nicht mehr ertragen, glaube ich, aber du hast mir die Kraft zum Aushalten gegeben. Ist das nicht die ultimative Macht für dich? Ist das für dich nicht ... unglaublich ... erregend?“

Meine Stimme ist warm und rauchig. Es ist die Stimme einer Frau, die ihrem Geliebten das Letzte schenkt, was sie noch besitzt.

In Felix' Augen flammt nackte Panik auf. Müsste er sich über meine Worte nicht freuen? Fast bin ich erstaunt, aber nur fast. Für eine halbe Sekunde wendet er den Blick ab und ich erschauere. Meine Pussy verrät mit ihrer überfließenden Freude, dass er recht hatte mit seinen Worten:

Macht hat auch auf mich eine unglaublich erregende Wirkung.
********lara Frau
6.538 Beiträge
Auch den Schmerz kann man sich schönreden...
Wunderbar ausgedrückt!
**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
Viele Jahre später werde ich erfahren, dass es verschiedene Formen von Devotion gibt. Ich werde einen Vergleich zur Homosexualität ziehen. Manche Menschen sind bi und abenteuerlustig. Frauen knutschen durchaus gern mal mit einer anderen Frau rum, aber für die Beziehung und eine feste Partnerschaft wollen sie doch lieber einen Mann.

Mit dem Machtgefälle ist es ähnlich. Die meisten Menschen bevorzugen es, wenn ihr BDSM punktuell stattfindet. Klarer Anfang, klarer Ende. Die ganze Zeit zu dominieren muss entsetzlich anstrengend sein.

Aber für einige Menschen … und zu meinem Entsetzen fürchte ich, dass ich zu ihnen gehöre … für die ist es anders. Wenn man bei dem Vergleich zur Homosexualität bleibt, dann sind das die Frauen, die sich in andere Frauen verlieben. Und wenn man liebt, dann will man mehr als nur ein bisschen Sex hier und da. Dann wird ein Kuss (oder das Machtgefälle) zum Ausdruck großer Liebe, die auch jenseits des Schlafzimmers verbindet.

Für mich funktioniert Liebe anders als für die meisten. Ich fühle mich verloren, wenn ich im Alltag nicht spüre, dass mein Geliebter Anspruch auf mich erhebt. Es liegt etwas Wunderschönes in der Vorstellung, dass ich ihm wichtig genug bin, mir hin und wieder 'Vorschläge' für meine Unterwäsche zu machen, sich kleine Aufgaben für mich auszudenken und Tag für Tag zu vergewissern, dass ich ihm gehorchen werde. Natürlich brauche auch ich Augenhöhe, Respekt und die Möglichkeit, Konflikte auf der Sachebene zu klären. Aber für mich ist diese Augenhöhe eine Abweichung vom Alltagszustand, genau wie für andere Menschen das Machtgefälle die Ausnahme darstellt.

In meinen devoten Tagträumen verdiene ich durchaus eigenes Geld. Ich bin frei für das Leben als erfolgreiche Unternehmerin, für spontane Reisen nach London und Sauna-Tage mit Artemis im Luxustempel ihrer Wahl. In diesem Leben koche ich fast jeden Abend für meinen geliebten Mann. Nicht, weil ich das muss, sondern weil ich es darf. Ich denke mir regelmäßig neue Delikatessen aus wie Kürbis-Möhren-Suppe mit Ingwer, Muskat, Orangenschale, Mangostückchen und einem Hauch Basilikum, zu der ich die Baguettescheiben mit einer Spur Zitronenöl im Backofen kross werden lasse.

Er freut sich darüber und zeigt es, indem er mich fest genug an sich zieht, dass sein Unterarm mir am Hals für einen Moment die Luft abdrückt. Dabei spüre ich, wie sein Schwanz an meinem Rücken hart wird, und ich sehne mich bereits nach dem süßen Moment des Schlafengehens, auch wenn nach dem Abendessen jeder noch ein paar Stunden für sich allein hat.

In meinen Träumen ist es eine legitime Option, dass mein Gefährte auf dem Sessel sitzt und mein Essen genießt, während ich es mir auf einem Kissen zu seinen Füßen gemütlich mache und er mir zwischendurch die Haare krault. Es sind Momente großer Zärtlichkeit. In meiner Vorstellung ist dieses Machtgefälle nichts, was einseitig ihm das Leben erleichtert, sondern eine zutiefst romantische, unkonventionelle Art, sich gegenseitig Tag für Tag aufs Neue zu zeigen, dass man sich liebt. In beide Richtungen.

Erlebt habe ich es nie.

Rückblickend bedaure ich Felix ein wenig, weil ich ihn bei unserem letzten Treffen auf diese heimtückische Weise beschämt habe. Aber nur ein wenig. Er ist genauso freiwillig in meine Falle getappt wie ich zuvor in seine.

**

Der Weg zum Fluss führte an meiner alten Schule vorbei. Am Stadtpark, in dem ich meine erste Zigarette geraucht hatte. Über eine kleine Brucke, über deren Bach ich als kleines Gör mehr als einmal zu springen versucht hatte und im Wasser gelandet war. An der Pferdeweide mit dem Elektrozaun, neben dem Löwenzahn wuchs, den die Pferde so sehr liebten und den man ihnen auf der flachen Hand anbieten musste, damit sie einem nicht die Finger abbissen. An dem kleinen Damm, der den Fluss begrenzte und über den ich mich auf dem Schulweg immer mit dem Fahrrad gekämpft hatte. Weiter vorbei am Ententeich, an dem ich Weihnachten mit meiner Familie immer die Enten gefüttert hatte, bis wir schließlich unter der Brücke ankamen, hinter der ich fürs Abitur gelernt und das Flussufer im Alter von Fünfzehn mit Kohle und Pastellkreiden gezeichnet hatte.

Dort, unter dieser Fußgängerbrücke, taten wir das, was das Ritual von uns verlangte. Er knöpfte seine Hose auf und schob meinen Rock nach oben, riss meine Arme auf den Rücken und drückte mich mit Stirn und rotem Shirt gegen den staubigen Querpfeiler. Das tat ein bisschen weh, und als er einzudringen versuchte, zerfloss ich bereits.

Da ich dieses Mal keine ungewöhnlichen und kreativen Ideen in das Spiel eingebracht hatte, zog er stattdessen mittendrin seinen Gürtel aus der Hose und schlug damit auf meinen nackten Hintern. Leider nicht mit der Metallschnalle, über deren Spuren ich mich gefreut hätte, aber immerhin schlug er mich. Ihm zuliebe jammerte und stöhnte ich ein wenig und täuschte einen Höhepunkt vor, doch der reale blieb aus.

Auch darin lag ein Sieg.

Am Ende ließ ich meinen Rock herunter und war fertig. Während er im getrockneten Flussmatsch mit seinem Gürtel herumhantierte, um die Hose wieder richtig vor den kleinen Bauchansatz zu schnüren, blickte ich höflich ein klein wenig beiseite.

„Das mit dem Gürtel... Das war eine klasse Idee von mir, oder?“, fragte er schließlich und blickte wie ein Bulldoggenwelpe mit dem ersten Stöckchen im Maul.

Ich lächelte sanft und streichelte über seinen Arm. „Ja, das war total abgefahren von dir.“
**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
--- Klick ---

Nachdem ich an diesem warmen Spätfrühlingstag nicht gekommen bin, füllt sich mein Leben mit Leere. Ich gehe nicht mehr in die Clubs, wo ich Felix begegnen könnte. Alles in mir tut weh. Ich bin immer noch fassungslos, dass …

Ich habe keine Worte dafür, warum ich so fassungslos bin. Aber jemand bietet mir einen mittleren dreistelligen Betrag für mein Januarnachtbild, und von diesem Geld kaufe ich mir einen Rucksack, eine Isomatte und begebe mich bei 40° Celsius auf Wanderschaft in den Schwarzwald. Meine schmerzenden Muskeln schenken mir eine andere Art von Lebendigkeit. Als mich ein Platzregen auf freiem Feld erwischt, verberge ich mich und mein Gepäck unter dem Regencape und bete darum, dass der Blitz nicht mich erwischt. Geh dahin, wo man dich liebt, wispern mir die Regentropfen zu, aber da gibt es niemanden.

Wer könnte eine devote Frau schon lieben?

--- Klick ---

Ein Jahr später lerne ich jemanden kennen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich gründlich verdrängt, dass ich je devot gewesen sein könnte. All dieser Schmutz ist hinter die Mauer gekarrt, mit ihren giftbesetzten Dornen, und ich habe mir erfolgreich eingeredet, normal zu sein.

Mein neuer Partner ist ein guter Mann. Er würde alles für mich tun. Trotzdem kriege ich Panikattacken, wenn ich beim Einschlafen den Kopf an seine Schulter lege. Das hat nichts mit ihm zu tun, sondern mit Exfreund Nummer 3 und Felix. Es ist gefährlich, wenn man weich wird und einem Mann vertraut, diese Lektion habe ich viel zu gründlich gelernt. Härte und Kontrolle sind das Fundament geworden, auf dem ich mein neues Leben aufbaue. Jetzt bin ich nicht mehr devot, und ich träume auch nicht mehr von dieser diffusen Zukunft als Unternehmerin, die ich früher einmal für möglich hielt.

Ich bin normal geworden.

Wenn ich koche, denke ich mir keine aufwendigen Kreationen mehr aus. Für komplizierte Salate und raffinierte Suppen hat mein künftiger Ehemann keine Nerven. Wenn er nach Hause kommt, will er ein Essen, von dem er satt wird und das sich vertraut anfühlt. Zur Belohnung schenkt mir das Universum endlich Liebe, ein Zuhause und Salzkartoffeln mit Spinat und Spiegelei. Ich werde Monat für Monat besser darin, sie zubereiten. Nicht zu weich und nicht zu hart, dazu genau die richtige Menge Salz.

Ironischerweise werde ich von dem langweiligen Essen nicht dünner, sondern dicker, weil ich das Gefühl habe, nie richtig satt zu werden.

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Als mein Verlobter mir erzählt, dass er häufiger devote Fantasien hat, bin ich gern bereit, sie ihm zu erfüllen. Ich habe bei Jessy gelernt, dass ich das kann. Auf seltsame Weise tut es gut, wenn ich dazu beitragen darf, dass ein anderer Mensch auf diese schöne Weise fliegen und frei sein darf, wie ich selbst es ganz sicher nie wieder erleben will.

Aber manchmal, nachts um drei, da hasse ich. Ich weiß nicht, wen oder was. Es ist einfach nur Hass, giftig, verdreht, voller Widerhaken und Falschheit, der wie dunkle, brennende Säure in mir aufsteigt und erst mich und dann diese Welt vernichten will.

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**********lerin Frau
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"Ist alles okay?", fragt Artemis. "Du starrst jetzt schon einige Minuten ins Leere."

"Bitte entschuldige." Ich greife nach den ausgedruckten Blättern und prüfe erneut die erste Seite. Alles verschwimmt vor meinen Augen.

Diese Geschichte hat meine Gegenwart erreicht. Artemis und ich sitzen am Ufer eines Flusses und lassen uns von der Junisonne wärmen. Es ist ein anderer Fluss als der, an dem ich vor Exfreund Nummer 3 davonrannte, und auch ein anderer als der, an dem ich vor vielen Jahren Felix meinen Höhepunkt verweigerte und vortäuschte. Die Junisonne ist genauso schön wie der Januarmond. Dieser Ort birgt weniger Geheimnis, er ist erfüllt vom sanften Lärm der Wellen, der spielenden Kinder und Teenager, dem Lachen der vorbeifahrenden Kanumenschen.

Ein Jahr lang habe ich mit Artemis an meinem Konzept gearbeitet. Wir haben herausgefunden, mit welchen Kund:innen ich am liebsten arbeiten möchte, und überlegt, wie ich sie ansprechen kann. Sie müssen erkennen können, wer ich bin, was mich als Grafikerin unverwechselbar macht. Für eine solche Ausstrahlung muss ich Honig werden, der die Bienen anzieht, damit am Ende beide profitieren.

Mein Ergebnis liegt vor mir, und darauf bin ich stolz. Das Einzige, was ich jetzt noch tun muss, ist den ausgedruckten Antrag zu unterschreiben.

**

Früher, in einer barbarischen Zeit, an Orten des spießbürgerlichen Grauens, gab es den entsetzlichen Brauch, homosexuellen Menschen die Form ihres Seins abzuschneiden. Man brachte ihnen als Teenager bei, dass es falsch sei, wie sie sich verlieben und küssen wollen. Die erste Stufe funktionierte ganz ohne Gewalt. Aber weil es auf die nette Weise oft nicht funktionierte, wählte man hin und wieder brutalere Wege. Der nette Junge, der sich in einen anderen netten Jungen verliebt hatte, wurde mit Elektroschocks gefoltert, während man ihm Bilder homosexueller Paare zeigte. Man wollte ihm Abscheu gegen derartige Perversionen einimpfen, bis er beim bloßen Gedanken an eine derartige Begegnung verkrampfte oder Würgreiz verspürte.

Unmenschlich und abstoßend, das ist völlig klar. Wie kann man anderen Menschen so etwas antun?

In der Welt, in der ich aufgewachsen bin, ist Homosexualität gottseidank erlaubt, aber Frauen sollten nicht devot sein. So etwas tut man nicht. Auf diese Weise fühlt man nicht, das ist Verrat an allen starken und wertvollen Frauen dieser Welt. Und falls diese Missbilligung der Umgebung nicht reicht, nicht dauerhaft genug wirkt, dann ...

Bei mir waren es keine Elektroschocks. Aber ich wurde wiederholt von dem Mann vergewaltigt, den ich geliebt habe, und jedes Mal hoffte ich aufs Neue, dass es danach irgendwie besser würde mit uns. Auf irgendeine perfide Weise verknüpfte ich das mit meiner Sexualität und meiner Art des Liebens, die nicht ganz in den Mainstream passt. Am Anfang hatte es sich gut angefühlt mit diesem Mann, denn ... ich bin devot. Auch, wenn der Gedanke mich heute dazu bringt, mich zu verkrampfen und Würgreiz zu verspüren.

Die Konditionierung, die mir das Universum damals angetan hat, wirkt nach wie vor.

Von Felix lernte ich, dass man Frauen wie mich nicht zu lieben braucht. Der einzige Weg, der Menschen wie mir offensteht, ist heimlich von einem Mann benutzt zu werden, den diese Heimlichkeit erregt. So ein fürchterlicher Preis, wenn ich mich wie jeder andere Mensch nach Liebe, Partnerschaft und einem kuscheligen Zuhause sehne!

Bei mir waren es keine Elektroschocks. Ich habe meine Lektion trotzdem gelernt. Ich bin nicht devot. Ich bin es nicht. Wirklich nicht. Versprochen!

Bitte nicht mehr wehtun ...

**

"Bist du so weit?", fragt Artemis sanft.

Meine Zähne schlagen aufeinander. Der Stift schwebt über dem Papier. Ich atme ganz langsam ein und kämpfe gegen das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
********lara Frau
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Tara - liebe dich selbst!
**********lerin Frau
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"Bist du wieder so weit?", fragt Felix mich liebevoll. Es ist das erste Mal, dass ich ihn in seiner Wohnung besuche; zuvor waren wir in seinem Lieblingsrestaurant. Gerade hat er mich im Stehen in der Tür gefesselt, aber das hat mein Kreislauf nicht gut vertragen. Deswegen sitzen wir gerade auf seinem Bett und kuscheln.

Ich verstecke meine Nase an seiner Schulter. Ein bisschen verlegen bin ich schon. Heute ist das erste Mal, dass ich mich auf diese Weise mit einem Mann treffe, wenn man die Begegnung am See nicht mitzählt. Es wird auch das letzte Mal sein, aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. In meiner Geschichte ließ ich es anders klingen, aber … Irgendein Überlebensreflex ließ mich die Frage nach seiner Freundin viel früher stellen, als meine Erinnerung es mir vorgaukelt. Die falsche Erinnerung zeigt vermutlich, wie wichtig und intensiv die Zeit mit Felix für mich war.

Nach diesem Treffen war es nur noch Schreiben. Austausch von Fantasien. Und nahezu jedes Wochenende die Begegnung in einem meiner Clubs, wo er mich vielleicht mal zum Schmusen in eine Ecke zog, aber nie sonderlich lange, denn es durfte niemand mitbekommen. Und mein dummes, devotes Herz begriff viel zu spät, dass ich hätte weglaufen müssen, weil in dieser Art von strukturellem Machtgefälle ein Gift liegt, das die Seele zerstört.

"Streck deine Hände aus", sagt Felix.

Ich gehorche, und er wirkt aus dem Seil ein ineinander verschlungenes Konstrukt, das sich schrittweise fester um meine Handgelenke zieht. Das Gefühl ist unglaublich aufregend. Schritt für Schritt tausche ich Freiheit gegen Geborgenheit, gegen Lust und Erregung, gegen Kribbeln und eine kühle Umarmung aus Hanf. Ich mag es, wenn ich auf diese Weise geborgen und ausgeliefert zugleich bin.

"Das ist etwas seltsam", sagt Felix plötzlich.

"Hm?" Ich erwache aus meinem verträumten Ausgeliefertsein und sehe ihn unsicher an.

"Das hier ist eigentlich eine Fesselung für jemanden, der sich wehrt und die man dann schrittweise zuziehen kann. Aber du sitzt einfach da."

Ich brauche einen Moment. Unsicher sehe ich ihn an. Er bestimmt die Regeln, und jetzt wirkt er unzufrieden. "Möchtest du ... Möchtest du, dass ich mich wehre?"

"Nein! Äh, ja! Äh ..." Über sein Gesicht huscht etwas, was Rührung oder Überraschung sein könnte. "Tara, mach nichts anders, hörst du? Du darfst dich niemals ändern. O mein Gott, was bist du süß!"

Für eine einzige, unendlich kostbare Sekunde scheint es möglich, dass im Universum ein Platz existiert, an dem sogar eine Frau wie ich für das geliebt werden könnte, was sie ist.

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********lara Frau
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Zitat von **********lerin:
eine kühle Umarmung aus Hanf

Schön Worte!
**********lerin Frau
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Ich bin so jung, dass ich an meinen Fingern nachfühlen müsste, wie viele Jahre ich zähle. Aber das tue ich nicht. Es ist ein sonniger Tag Anfang März und warm genug, dass ich zu meinem Rock keine Strumpfhose mehr tragen muss. Endlich darf ich die neuen Kniestrümpfe anziehen und beweisen, dass ich darin nicht friere. Fröstelnd laufe ich an der Seite des Hauses entlang, die im Schatten liegt, und wünsche mir eine Jacke. Hinten scheint die Sonne. Dort wachsen die Sträucher mit den Stachelbeeren, von denen die Großen sagen, dass sie viel besser schmecken als Gummibärchen, aber damit lügen sie. Hinter den Sträuchern liegt ein Stück Gras, über das Papa manchmal mit dem Rasenmäher fährt, und am Rand des Grases befinden sich kleine Blumenbeete. Papa ist stolz auf die Tulpen.

Links von dem Rasen steht ein kleiner Schuppen, dessen Dach mit Dachpappe überzogen ist. Die sieht ein bisschen aus wie neuer Gehsteigbelag, aber man kann sie schneiden wie das Tonpapier im Kindergarten. Ich habe zugesehen, wie Papa und ein Freund sie auf das Dach des Schuppens genagelt haben. Noch weiter links ist der Sandkasten, und dann kommt die Hecke mit den Johannisbeersträuchern. Vor ihr steht das Außengehege der Kaninchen, und ganz versteckt in der Ecke ist ihr Stall, in dem sie sitzen müssen, wenn wir sie nicht ins Außengehege setzen. Moni und Lisa heißen sie, und sie sind weiß mit schwarzen Ohren und Flecken.

Neben den Johannisbeersträuchern ist ein Durchgang, der zur anderen Gartenhälfte führt. Sie gehört der Nachbarin aus dem Erdgeschoss und ihrer Katze, und ich darf nur dorthin, wenn die Erwachsenen gemeinsam grillen. Die Katze ist kinderscheu, leider, denn ich würde sie gern genauso packen und knuddeln und sanft auf den Übergang von Nacken und Hinterkopf küssen, wie ich es oft mit den Kaninchen tue.

Nachdem ich die Kaninchen gefüttert habe, kämpfe ich mich an den Brennnesseln vorbei zu den Johannisbeersträuchern. Sie tragen keine Beeren, was mich enttäuscht. Mama hat zwar gesagt, dass das um diese Jahreszeit üblich sei, aber woher soll ich wissen, ob das stimmt, wenn ich es nicht selbst überprüfe?

Als ich das erklärt habe, hat Mama gelacht und zugestimmt. Ich solle lieber selbst nachsehen, sagte sie. Man darf den Leuten nicht alles glauben, was sie erzählen.

Aufgrund des akuten Johannisbeermangels bin ich gezwungen, diesen ersten warmen Tag im Frühling auf andere Weise zu zelebrieren. Ich klettere über den Holzstapel hinter dem Schuppen über das große Traktorenrad bis zum Rand des Daches. Eigentlich darf ich von dort aus nicht weiterklettern, angeblich sei das gefährlich, aber die raue Dachpappe bietet perfekten Halt für Kinderhände und die Halbschuhe, auf die ich gern eine Piratenflagge malen würde, was leider auch verboten ist. Das Dach ist viel sicherer als der Boden, finde ich. Die raue Oberfläche schürft meine nackten Knie auf und der süße Schmerz schmeckt nach Lebenshunger und Zukunft. Hier fühle ich, dass ich lebe. Worin könnte mehr Sicherheit liegen?

Ein Windstoß bringt die Blätter der Bäume auf der anderen Seite des Maschendrahtzauns zum Zittern. Er erreicht meine Haare und überzieht meinen ganzen Körper mit Gänsehaut. Die Morgensonne wärmt mir das Gesicht, obwohl ich friere.

Ich strecke meine Arme zur Seite und stelle mir vor, dass ich ein Baum werde. Alles in mir ist Hunger nach Leben und Licht. Ich trinke davon, bis ich satt werde, immer mehr und noch mehr, ich wusste nicht, wie hungrig ich war. Meine Beine auf beiden Seiten des Dachfirstes werden zu Wurzeln, die tief in die Erde reichen, bis ganz nach unten, wo die Lava ist, die die Vulkane später ausspucken. Meine Haare und Finger zittern wie die Blätter der Bäume, die so groß und mächtig auf der anderen Seite des Zaunes wachsen und mich als eine der ihren willkommen heißen.

Ich werde ein Baum, aber damit hört es nicht auf. Das Universum wird größer und größer. Ich bin auch der Schuppen, auf dem ich sitze, und mein Papa, der mir jeden Morgen die Haare kämmt. Ich bin die glitzernde Nachbarin, in deren Gartenhälfte Maiglöckchen und Erdbeeren wachsen, und ich bin die Maiglöckchen in all ihrer klingenden, zarten Lagerfeuerschönheit. Ich bin die kinderscheue Katze, die immer wegläuft, und ich bin die Morgensonne genau wie die Babysitterin, die ihre Pickel jedes Mal an einer anderen Stelle des Gesichtes trägt.

Wie unvorstellbar schön ich in dieser sekundenlangen Ewigkeit geworden bin!

Ich bin ihr, und ihr alle seid ich.

Und ich bin

wirklich

vollkommen

richtig.
**********lerin Frau
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--- Ende der Geschichte ...? ---
**********lerin Frau
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Epilog
Als ich mit dem Schreiben dieser Geschichte begann, wusste ich nicht, wohin sie mich führt und wie sie enden wird. Ich hatte auch keine Ahnung, dass 'Artemis' einen Weg hineinfinden würde, doch diese honigsüße Frau findet immer einen Weg. Trotzdem kristallisierte sich das Ende für mich relativ schnell heraus: Tara und Artemis sitzen am Fluss, und Tara will ihren Antrag unterschreiben, damit sie den Startpunkt in ihr wahres Leben als freie Frau und Unternehmerin findet. Doch es gelingt ihr nicht, denn tief in ihr sitzt dieses hässliche Trauma: Wenn sie geliebt werden will, muss sie vortäuschen, jemand anders zu sein. Ansonsten tut man ihr mehr weh, als sie ertragen kann.

Von dem Fluss-Moment wollte ich eine Brücke zu dem Augenblick schlagen, in dem Tara bei 'Felix' für einen kurzen Moment erahnt, dass ein anderer Weg möglich sein könnte. Die Umarmung von Felix ist zu diesem Zeitpunkt nur noch eine weitere Klick-Erinnerung neben anderen, die Tara für ihren Fadenteppich verwebt hat. Von diesem Augenblick schlägt sie den Bogen noch weiter zurück in ihre frühe Kindheit. Das ist die Zeit, von der sie ganz am Anfang ihrer Geschichte erzählt, in der ihre Eltern sie von zwei Seiten umarmen und aus allen Richtungen Liebe, Glück und Geborgenheit zu ihr fließen.

Doch jetzt ist Tara-als-kleines-Mädchen allein. Sie hinterfragt die Johannisbeer-Wahrheiten, die andere ihr mitgegeben haben. Obwohl es verboten ist, klettert sie bis in den Himmel. Dort findet sie, für einen kurzen Augenblick, eine Synthese aus Hingabe und Allmacht, die tiefer geht als sexuelle Devotion oder berufliche Autonomie.

Als Erwachsene wissen wir, dass Tara zu diesem Zeitpunkt viel zu klein ist, um an diesem Gefühl festzuhalten. Doch man ahnt, so hoffe ich, wo der wahre Ursprung für ihre Sehnsucht nach so unvereinbaren Dingen wie tiefer Alltagshingabe, wahrer Liebe und ausgeprägter Selbstverwirklichung liegt.

**

Ich, die wahre Erzählerin dieser Geschichte, würde euch gern an dieser Stelle ein Happy End schenken. Es wäre leicht, sich eines auszudenken, und ich kann gut genug lügen, dass ihr es mir höchstwahrscheinlich glauben würdet: Tara unterschreibt ihren Antrag auf Gründungszuschuss und schließt endlich mit all den Erinnerungen ab, die ihr wehgetan haben.

Der Moment, an dem Tara ihre 'Gegenwart' erreicht hat, liegt irgendwann im Juni 2018, und sie sitzt mit 'Artemis' am Ufer der Ruhr irgendwo in Essen. Dort waren wir in Wahrheit nie, dort sitze ich nur mit anderen Freund:innen, aber so ein fiktives Happy End braucht sich an der Realität weder zu orientieren noch zu messen. Wenn ihr wollt, stellt euch nach Belieben vor, wie es für Tara weiterging und dass alles gut wurde. Vielleicht beginnt sie sogar eine lesbische Beziehung mit Artemis? Die beiden haben sich auf jeden Fall lieb genug dafür, und 'Artemis' mag, was ich koche.

Für mich, die wahre Erzählerin dieser Geschichte, ist es bereits Dezember 2023. Rein zufällig bin ich fünf Jahre älter als die 'Gegenwarts'-Tara der Erzählung, und ich arbeite seit fünf Jahren als Selbstständige in meinem Traumberuf. Parallelen zu Taras Traum könnten Zufall sein, sind es aber nicht. Einen Antrag auf Gründungszuschuss habe ich im Gegensatz zu meiner Romanfigur allerdings nie ausgefüllt. Keine Ahnung, warum Tara glaubte, so etwas tun zu müssen. Als Kind hat sie auch nicht nach einer Erlaubnis gefragt, bevor sie über den Traktorenreifen auf das Dach des Schuppens geklettert ist. Sie hat es einfach getan.

In meinem eigenen Traumberuf geht es nicht um Grafikdesign, sondern um Worte. Vielleicht war der Fördergeldantrag eine Metapher für das Schreiben dieser Geschichte. Hier habe ich auf einem völlig anderen Level als bisher mit Sprache, Tonalitäten und dem Story-Aufbau gerungen. Es ist die erste Geschichte, die ich nichtlinear erzähle. 'Tara' ist übrigens das, was man in der Literatur-Theorie eine 'unzuverlässige Erzählerin' nennt. Sie schwindelt, wann immer ihr der Sinn danach steht, belügt sich und andere und formt die Welt so, dass sie zu ihrem inneren Erleben passt. Dabei folgt sie einer tieferen Wahrheit als dem, was sich tatsächlich zugetragen hat. Es ist eine Wahrheit, die beim Lesen Konzentration erfordert und sich nur stückweise erschließt.

Wenn ich in der Realität eine Literatin bin, wie kommt es, dass 'Artemis' mir geholfen hat, meine Nische als Unternehmerin zu finden und zumindest manchmal zehnstellige Monatsumsätze zu generieren? Das passt nicht zusammen. Oder schwindele ich da erneut?

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Meine Ehe ging friedlich auseinander. Ich lernte einen verpartnerten Mann kennen, der sich über Jahre hinweg nicht entscheiden konnte, ob er eine polyamore Zweitbeziehung inklusive Alltags-Machtgefälle mit mir führen wollte oder nicht. Damit hat er mir oft wehgetan. Aber obwohl ich von Berufs wegen mit Worten zaubern kann, fehlten sie mir ihm gegenüber stets. Taras 'Konditionierung durch das Universum' sitzt zu tief. Frauen wie ich haben kein Recht auf eine Partnerschaft, in der sie Geborgenheit finden und für das geliebt werden, was sie sind.

Der dominante Mann war genauso sprachlos wie ich. Ohne es zu wollen, taten wir uns oft gegenseitig weh. Es ist schwer, das nicht zu tun, wenn man sein Leben lang gelernt hat, dass die eigene Form falsch ist. Das ist ihm nämlich genauso passiert wie mir, und seine Geschichte tut nicht weniger weh.

Im vergangenen Sommer traf ich einen anderen Mann. Er sieht verdammt gut aus. Anders als viele muss er nicht behaupten, dass er humorvoll sei, denn er bringt mich ständig zum Lachen. Ich fühle mich unglaublich wohl bei ihm. Wenn wir nicht blödeln, reden wir über ernsthafte Dinge, und es ist ihm schon einige Male gelungen, mich mit einer geschickten Argumentation schachmatt zu setzen. Das schaffen die wenigsten, und es hat mich jedes Mal tierisch angeturnt.

Irgendwann sprachen wir das erste Mal über Sexualität. Er sei relativ normal aufgestellt, sagte er mir. Eine dunkle Welle rollte durch mich hindurch und brachte meinen Bauch und mein Herz dazu, sich zu verkrampfen. Ich hätte schweigen können und dem, was sich zwischen uns entwickelte, einfach eine Chance geben. Die Tür in ein gutes Leben stand offen. Aber ich suchte nach Worten, ganz vorsichtig und verlegen, denn er war jemand, bei dem ich mich sicher fühlte und das auch weiterhin wollte.

"Mir ist einmal eine andere Frau begegnet, die sagte, sie sei devot", sagte er prüfend. "Sie sagte, sie mag dominante Männer. Aber damit meinte sie primär Männer, die sich nicht komplett unterordnen und immer darauf warten, was sie vorschlägt. Jemand mit Persönlichkeit, der auch mal klare Kante zeigt und ein eigenes Leben hat."

Mir wurde kalt, aber ich nickte.

"Bei dir ist es anders, oder?", fragte er sanft.

Am liebsten hätte ich den Kopf geschüttelt. Mein Kinn setzte schon dazu an. Ich bin normal, wollte ich sagen. Bitte geh nicht. Lass mich nicht wieder in dieses Loch fallen, in dem anständige Männer an mir vorbeigehen und für mich nur die Lügner, Vergewaltiger und Frauenbetrüger übrigbleiben. Degradiere mich nicht auf diese Weise, bitte nicht! Ich kann normal sein, ich habe es wieder und wieder geübt.

Doch ich habe genickt, und es fiel mir wahnsinnig schwer. Meine Stimme ist beinah weggebrochen.

"Bei mir ist es anders, ja."

In dem Moment bekam ich so viel Angst, dass ich den Kontakt beendete und stattdessen mit dem Schreiben dieser Geschichte begann.

Willkommen in der echten Gegenwart.

Keine Lügen mehr.
**********lerin Frau
1.032 Beiträge
Themenersteller 
--- Und jetzt wirklich Story-Ende ---
********lara Frau
6.538 Beiträge
... und die Wirklichkeit geht weiter ...

Vielen Dank für das Teilen dieser Seelenanalyse. Vielen Dank für die schönen Sätze mit außerordentlicher Treffsicherheit. Ich wünsche dir alles, alles Gute.
*****t38 Mann
94 Beiträge
*hutab* großartige Geschichte!! Habe jedes bittersüße Wort sehr genossen...
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