Zu wenig

Ich will meine Augen nicht öffnen. Denn wenn ich sie öffne, ist alles vorbei.
Dann werde ich nie wieder deine Hand in meinen Haaren fühlen. Dann werden deine Lippen nie wieder meine Stirn küssen.
Du wirst den Kopf einer anderen auf deiner Schulter ruhen lassen.
Du wirst ihre Wange streicheln, mit ihr lachen und die Grenzen eures Verstandes ausloten.
Sie wird dir all das geben, was du brauchst.
Ich kann es nicht.
Für gestern war ich genug, für heute reicht es aus, für morgen bin ich zu wenig.

Bitte gaukle mir Liebe vor, solange meine Augen geschlossen sind.
Sag mir, dass du mich liebst.
Schenke mir diese Illusion.
Und morgen, wenn ich mich aus deiner Umarmung löse – ich verspreche es dir – ziehe ich weiter.
In eine Welt die mich ohne Halt in die Unendlichkeit des Verlassenseins hinabzieht. Und freiwillig und ohne Vorbehalt werde ich in ihr ertrinken.

Rabengold - Juni 2022