Du warst im Krieg
Die Kränkungen und Demütigungen unsereins durch die Jahrhunderte haben sich auch in deinem und meinem Aussehen als trotziger Stolz, exotische Hochmütigkeit oder einfach einer Fremdartigkeit eingekerbt - wir gehören nicht dazu und man sieht es uns an. Punkt.Was jetzt aber besonders übel geworden ist, ist, dass auch wir beide nicht mehr zusammengehören. Seit du aus dem Krieg zurückgekommen bist. Seit du aus dem Krieg gekommen bist, bist du nicht mehr derjenige, den ich kannte. Bist du nicht mehr mein Joggele.
Ich weiß nicht, was du alles gesehen und erlebt hast. Ich weiß nicht, was du getan hast oder was dir angetan wurde - du sprichst ja nicht darüber. Vorstellen und ausmalen kann ich mir natürlich gleichwohl vieles.
Ich habe dir Zeit gelassen. Ein Jahr. Ein zweites. Nichts ist passiert, bzw. alles ist bloß noch schlimmer geworden.
Es ist schon spät und wie immer bist du mit irgendetwas Nebulösem beschäftigt: Mit Daten und Fakten um die Geschichte gerade zu rücken, um dich und deine Einheit als Opfer darzustellen, um dich reinzuwaschen - vermute ich, denn du sagst ja nichts und wenn ich dich frage, fährst du mich an und behauptest, jemand, der wie ich nicht dabei war, könne es nie verstehen ...
Es ist schon spät und auch wenn es dich nervt, breche ich jetzt mein Schweigen. Zuviel hat sich angesammelt, jetzt ist es endlich spruchreif - oder anders ausgedrückt: Ich kann nicht mehr so weiter machen!
Ja, du glaubst es nicht, aber die letzten zwei Jahre waren eine große Lehre für mich. Ich habe vieles verstanden - auch wenn du es in Abrede stellen wirst. Aber ich spreche nicht von Taktik und Strategie, von Flankendeckung und Einkesselung, sondern von dir und mir und was der Krieg mit uns gemacht hat; auch wenn ich gar nicht dabei war, hat er doch auch mich in Mitleidenschaft gezogen. Und so blind und oder blöd bin ich nicht, um nicht zu sehen, was er mit dir angerichtet hat!
Ja, Liebster (ob es dir passt oder nicht, ich nenne dich weiter so, auch wenn du von dir selber denkst, meiner Liebe, überhaupt keiner Liebe mehr wert zu sein), ich habe durch dich viel verstanden und erfahren, was ich zunächst nicht verstanden habe und auch nicht habe verstehen wollen - denn wer will sich nicht ausschließich dem Schönen im Leben und auf der Welt zuwenden!?
Nein, mit Feigheit hat das nichts zu tun, auch nicht mit systematischer Ausklammerung der Wahrheit - was du mir sicher jetzt gleich unterstellen wirst - sondern einfach nur damit, dass ich leben will, dass ich - jenseits von deinen Begriffen wie Gehorsam, Befehl, Pflicht, Herrschaft, Gewalt und Militarismus - dass ich leben muss und will. Denn das schulde ich in diesem einen Leben, das mir gegeben ist.
Und wenn ich jetzt unser Schweigen breche mit diesem elendlichem Nebeneinanderherleben, dann ist das genau der Grund: Ich will leben! Im Hier und Jetzt, da, wo kein Krieg ist und wo es keine Soldaten gibt.
Ich sehe dich, ich sehe, wie du leidest, wie es dir nicht gut geht. Aber du lässt mich nicht mehr an dich ran. Ich darf dich nicht einmal berühren, ohne dass du zusammenzuckst. Wir schlafen getrennt. Kennen keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr - jede Gesellschaft meiden wir. - Denkst du im Ernst, es sei normal, dass du keine Erektion mehr bekommst!? Dass du dich vor mir und meinen Berührungen fürchtest!?
Natürlich kommt jetzt dein Totschlagargument, ich sei egoistisch, mir fehle es an Einfühlungsvermögen - nein, mein Schatz, um meinen Faden wieder aufzunehmen, ich will lediglich leben, während du immer noch im Krieg bist!
Und deshalb bedauere ich dich. Das Schrecklichste dabei ist, dass ich so hilfos bin mit meinem Bedauern, dass ich dich so hilflos bedauere.
Immer warst du stark und hast mir Wege gezeigt, mich nicht unterkriegen zu lassen, von nichts und niemandem. Dafür danke ich dir. Du hast mich stark gemacht. Weil du mich mit deinem Verstand hinter die Kulissen hast schauen lassen.
Sag' mir, warum ausgerechnet du jetzt Kulissen vor dir herschiebst? Warum du mir nicht auf dem Weg folgst, mit Überlegen sich überlegen zu machen, immer und überall? Wieso folgst du mir nicht auch jetzt auf diesem Weg?
Weißt du, was ich glaube? Auch auf die Gefahr hin, dass ich dir unendlich weh tu' - aber ich bin überzeugt, dass die Wunden, die du aus dem Krieg mit nach Hause getragen hast, stärker sind als dein Verstand, tiefer und ... und obwohl du diese Wunden verheilen lassen könntest, du willst diese Wunden einfach gar nicht verheilen und vernarben lassen. Und ...
Und dieser Umstand hat dich unsere Liebe gekostet.
Nein, es ist nicht der Krieg. Es ist der Umstand, dass du immer noch im Krieg bist und dass der Krieg leider, so fürchte ich, nie für dich zu Ende gehen wird ...
Du tust mir mehr leid, als ich es sagen kann. Denn es kommt nicht von dir. Es ist der Krieg, der dich zugrunde gerichtet hat, der dich umgebracht hat. Es sind diese verfluchten Strukturen von Befehl und Gehorsam, Herrschaft und Gefolgschaft, von Ehrenkodex und geleisteten Eiden, von Töten und Verletzen, die dich als Mensch ausgelöscht haben.
Nicht dich klage ich an, sondern diese ganze beschissene System, nicht dich verurteile ich, sondern die Kriegstreiber ...
Vielleicht bin ich auch nur zu schwach, und meine Liebe ist einfach nicht stark genug, es mit dem Krieg auszunehmen ... ich weiß nicht ... aber alle meine Bemühungen, dich ins Leben zurückzuholen waren so absolut unfruchtbar. "Keine Lust", "ist doch doof", "bringt doch nichts", "glücklich sind die Unwissenden" - das sind deine Standardausreden geworden, um dich von allem abzuschotten.
Hast du dich eingentlich auch nur einmal gefragt, was du damit in mir anrichtest? Welches Gefühl der Nutzlosigkeit du in mich eingeimpft hast?
Du bist für mich die Verkörperung des Krieges geworden, all dessen, was ich nicht will - du hast mich unglücklich gemacht. Oder der Krieg, oder seine Mechanismen, der Menschen zerstört noch jenseits aller Schlachtfelder und Häuserkämpfe.
Was ist aus deinem Postulat der Freiheit geworden? Bist du eigentlich noch frei für etwas, zu etwas? Zum Beispiel für Verantwortung - also auch für mich? Frei für die Liebe? Eine Zukunft? Eine bessere Welt? Eine ohne Krieg?
Aus Freiheit ist in dir eine Besessenheit gegen alles und gegen jedermann geworden. Du lehnst alles ab. Weil alles für dich wertlos geworden ist. Und du nur noch entweder auf Angriff oder Flucht gepolt bist. Und wenn es faktisch gar nichts gibt, gegen das man kämpfen oder vor dem man fliehen muss, dann scheint es, dass du etwas erfindest.
Und so ist der Krieg auch bei uns angekommen, herrscht zwischen uns: Meine Rolle ist es geworden, der Feind zu sein. Erbärmlich, heimtückisch und grausam.
Ich kann machen, sagen, was ich will, alles liefert dir nur Munition, einen Gegenangriff zu starten. Es nicht gelten zu lassen. Es als lächerlich, nichtig, kitschig, oberflächlich oder sonstwas abfällig niederzumachen.
Was ist so schlimm an meinem Wunsch, einmal wieder tanzen gehen zu wollen, oder zu schwimmen im Fluss, oder wie der Frühling selbst ein fröhlich lachendes Kleid in bunten Farben zu tragen, lachen zu wollen, einen albernen Schabernak zu treiben?
Nüchtern bleibt mir nur, dir entgegenzuhalten, das ist das Leben, so ist das Leben, das ist Frieden.
Sorry, ich verstehe das alles, ich durchschaue, was der Krieg aus dir gemacht hat, aber ich kann kein Mitleid mehr empfinden. Ich wollte dich aus diesem Labyrinth führen, aus der Nacht, aus dem Sumpf, in den Tag, in die Sonne, in Unbeschwertheit, in Leichtigkeit ... aber um es bildlich zu sagen: Du hast meine Hand losgelassen, hast dich sogar regelrecht losgerissen, nur um in die Nacht, in den Sumpf, in das Labyrinth so schnell wie möglich zurückzukommen.
Und so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass du gar nicht rauswillst aus den furchtbaren Geschichten und es sieht so aus, als gäbe es für dich keinen Ausweg. Auch scheinst du Gefallen daran zu finden, dich jeden Freitag mit deinen Veteranen zu treffen, was jedesmal in einem kollektiven Besäufnis endet und du zwei Tage danach noch nach Alk stinkst und von mir zu allem Überfluss auch noch Verständnis forderst.
Mag sein, andere Frauen opfern sich, um zu helfen, aber ich habe begriffen, dass es vergeblich und nicht mein Daseinzweck ist. Du willst nicht mehr leben und willst deine Kraft lieber dafür benutzen, dir selber leid zu tun, dich schließlich selbst zu zerstören - damit kann es meine Liebe leider Gottes nicht aufnehmen. Sie ist zu schwach, ich bin zu schwach. Meine Kraft ist zu Ende. Ich habe keinen Zugang mehr zu dir. Ich will nicht in den Krieg, aus dem allein dein Krieg geworden ist.
Es tut mir entsetzlich leid, aber ich will nicht, dass du auch mich in diesen dunklen Fluss mit dem schwarzen Wasser stößt, damit auch ich dort versinke. Ich will in der Nacht nicht verloren gehen, auch nicht zusammen mit dir.
Meine Liebe hilft dir nicht, professionelle Hilfe lehnst du ab ... ich jedoch will mich auf anderes besinnen, will leben, muss leben ... und mich schaudert eisig, wenn ich dir etwa für die Erkenntnis und alleinige Wahrheit danken soll, dass "only the dead have seen the end of war."