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Lucrezia. Oder: Zur falschen Zeit am falschen Ort

Lucrezia. Oder: Zur falschen Zeit am falschen Ort
Die Tage in der Marche waren gedehnt vom Nichtstun und vom Ernst der Stille. Träge und faul waren sie - und voll süßer Träumereien und bekömmlichem leichtem, süßlichem Wein und schmackhaftem Weichkäse. Ich war stundenlang in den spröden, ausgelaugten Hügeln unterwegs, jedesmal freudig erregt, wenn sich überraschend ein Blick auf die Adria darbot: Groß, glatt, silbern, glänzend war sie, als würde sie mich immerzu anlächeln. Eine treue Freundin - ja, das war sie und ist es bis heute geblieben, auch wenn meine Loyalität ihr gegenüber oft zu wünschen übrig ließ und lässt ...
Am faszinierendsten aber war der wolkenlose Himmel, sagenhaft und genauso ungeheuerlich seine Tönungen zwischen rosa, violett, grün, blau, golden - ein Fest für die Augen - was für ein Geschenk ist es doch, sehen zu können!
Weit davon entfernt mit germanischer Saturiertheit und fetter D-Mark wie das Gros der Touris vermeintlich etwas vom Dolce Vita einkaufen zu können, wurde ich zu der Zeit damals (Anfang 20) beinah aufgerieben zwischen meinem preussischen Erbteil mit der mein Leben bestimmenden Ordentlichkeit, Pünktlichkeit und Artigkeit, mit diesen anderen Worten für Angst vor dem Leben und Rudern, um nicht unterzugehen, auf der einen Seite und der Unbekümmertheit, Leichtigkeit, dem Geschehen-Lassen und dem lautstarken Theateraufführen meines mütterlich romanischen Erbteils auf der anderen Seite.
Selbst heute noch kommt es mir so vor, als stünde Italien nicht nur für die Unschuld meiner Kindheit, sondern als wäre es ein Mahnmal dafür, dass es das Paradies doch gibt, aus dem ich wie wir alle vertrieben wurde und doch in Wahrheit nie da war. Sehnsucht und blaue Blume. Und so bin und bleibe ich genauso wie hier auch in Italien lediglich ein unbeteiligter Zuschauer, ohne wirklich dazuzugehören.

Aber warum erzähle ich das so ausschweifend? Wieso war ich eigentlich Ende der 80iger in Italien, in diesem kleinen Dorf zwischen San Urbino und Pesaro, gerade als in Deutschland die Mauer im Bergriff war zu fallen? - Weil mein Vetter Fabrizio heiratete.
Bei diesem Anlass begegnete ich Lucrezia zum ersten Mal. Wobei "begegnen" eine viel zu hoch gegriffene Vokabel für das ist, was tatsächlich geschah. Ich stierte sie zunächst einmal einfach nur wie ein völlig verblödeter Idiot an, eine Sensation, die Göttin schlechthin meines jungfräulichen Gemüts, eine Fata-Morgana, eine Fee aus Tausendundeinernacht, viel zu unglaublich, um überhaupt wahr sein zu können, eine Sinnestäuschung, ja doch, eine Geistestrübung, der Wein, das Flair, mussten meine Denkfähigkeit nicht nur herabgesetzt, sondern schlicht ausgeschaltet haben, denn ... Engel gibt es schließlich so wenig wie Feen!

Das Abendessen war bereits vorüber und mit einigen anderen der lockeren Gesellschaft saß ich auf der Terrasse mit etwas Hochprozentigem in der Hand. Und plötzlich war sie da - es könnte durchaus sein, dass sie geradewegs vom Himmel gefallen ist! Nein doch, natürlich spielt mir die Erinnerung einen schönfärberischen Streich ...
Dennoch: Plötzlich war sie da! Im Vollbesitz dramaturgischer Inszenierung und Brillanz zog sie augenblicklich alle Aufmerksamkeit auf sich.
Ein atemberaubendes Wesen. Nicht von dieser Welt. Gerade, hoch, aufrecht, mit stolzem etwas schleppendem Schritt schwebte sie an mir und den anderen vorbei - und ich nichtssagender Strich in der Landschaft gab mich allen Ernstes der Versuchung hin, ich könnte ihr auffallen!?
Ich weiß noch wie heute, dass sie ein helles, kurzärmliges Männerhemd trug, denn es war ihr viel zu weit und viel zu breit geschnitten, das sie aus dem Bund einer Karottenjeans heraushängen ließ und ihre nachten Füße - ein absoluter Stilbruch zur Feierlichkeit! - steckten in absatzlosen Riemchensandalen. Nun, wer ein Übermaß an natürlicher Schönheit mitbringt, kann es sich getrost leisten, jovial aufzutreten und trotzdem für Hyperventilation zu sorgen.
An einem Korbsessel angekommen, drehte sie sich geschwind um 180 Grad, ließ sich rückwärts hineinfallen und verlangte neugierig um sich schauend, ein Glas Spumante mit Orangensaft - ich muss nicht betonen, dass ihr daraufhin nicht nur von einer Hand das gewünschte Getränk offeriert wurde ... was sie übrigens nicht im Geringsten aus dem Konzept ihrer Selbstherrlichkeit brachte, sondern eher als Selbstverständlichkeit hinnahm - offensichtlich hielt hier eine Prinzessin Hof, rücksichtslos gegenüber Pamela, der Braut, die weiß Gott auch nicht ohne war ...
Die junge Frau war mir sofort unsympathisch, ihre Schönheit hin oder her, man muss wissen, was sich gehört!
Obwohl ihr Gesicht unter dem vollen, hellbraunen Haar - wahrhaftig eine Löwenmähne! - ja zugegeben verblüffend ebenmäßig war, wollte ich partout nicht auf den schönen Schein reinfallen. Unzweifelhaft hatte ich noch nie - ich musste es mir eingestehen - und live und in Farbe - eine schönere Frau gesehen (gut, ich war auch noch nicht viel rumgekommen, aber trotzdem) und bin noch keinerso schönen bis heute begegnet (gut, jetzt bin ich rumgekommen und kann es zurecht behaupten!).
Diese Lucrezia. so hieß sie, so wurde mir geheimnisvoll flüsternd zugetragen, war eine Person, ein Muster, als wäre sie leibhaftig das klassische Modell für alle jemals gemalten und in Stein gehauenen Göttinnen gewesen. Einer trauernden Göttin freilich. Mit Marmorstirn. Im Gefängnis ihrer Schönheit, denn noch kurzem schon saß sie verlassen und für sich allein. Ihre langen, geschwungenen Brauen fielen an den Schläfen scharf nach unten ab, als würde sie trauern, ein Archetypus der Trauer und Traurigkeit ... dazu waren ihre Lider dunkelblau mit Kajal vertieft, Lippenstift hatte sie dagegen nur sehr sparsam aufgetragen. Viel hatten ihre geschwungenen, wie gezeichneten Lippen auch nicht nötig, groß und kühn wie ihr Mund nunmal war, beleidigt schwermütig auch, so war ihr Gesicht überdies - vielleicht sollte ich deshalb treffender von "Antlitz" sprechen?
Welches Geheimnis birgt diese Frau?, fragte ich mich und: Ist in dieser kalten Statue etwas wie Süße? Güte? Ein Verständnis für andere?
Dann geschah das Unglaubliche: Ich war ihr aufgefallen und sie fixierte mich! Ausgerechnet! Mich! Diesen anderen, der auch wie sie in einem Korbsessel Schutz und Verstecken gesucht hatte ... Sie schenkte mir zur Kontaktaufnahme und noch mehr zur Herstellung eines Bündnisses ein Lächeln. Ein immer noch zögerliches, nicht ganz sicheres Lächeln. Doch ihr herrliches, ungetröstetes Gesicht hellte sich auf und lange verweiltes es verträumt um ihre nocturnen (keine Ahnung, ob es dieses Wort im Deutschen gibt? Falls nicht, gibt es es ab jetzt) Augen und um die erhabenen Kurven ihres Munds. Das Lächeln passte aber irgendwie nicht in ihr Gesicht, es war zu gespielt, zu unecht, ein Fremdkörper - nein, es war nicht gespielt, es war echt, aber es passte nicht in die strenge, tragödienschwangere Landschaft ihrer Züge, das fühlte überdeutlich ... nein, sie schauspielerte nicht!
Als unsere Blicke noch ineinander badeten, wurde sie von der alternden Karikatur eines Playboys mit gefärbten schwarzen Haaren, Spitzbauch, Coyboystiefeln, einem beigen Anzug mit knallroter Krawatte zum Tanzen aufgefordert. Befreit, erlöst, offen, lächelte sie, als sie dieser Dean Martin für Arme über die Platten des Terrassenbodens abschleppte ...

Mein Gott! Wie konnte sie sich nur auf so einen billigen Stenz einlassen!?!? Sporca puttana!
Und ein Spruch meine Nonna Valentina fiel mir ein: "Schau' dir an, mit wem die Leute ins Bett steigen und du weißt, mit wem du es zu tun hast!"
Recht hatte sie, so recht. Doch es tat entsetzlich weh ...

Aber was soll ich sagen ... zu meiner Schande, zu meiner Beschämung!? Sie tanzte mit ihrem Vater, einem genauso angesehenen wie einflussreichen Anwalt, wie ich gleich darauf erfuhr als wir uns offiziell vorgestellt wurden.
Als ihre lange, feingliedrige, kräftige Hand in meiner lag, war mir, als könnte ich ihre Seele spüren ... ein Gedanke, den ich mir mit weiteren noch weitergehenden verbot, denn diese Frau war eine Nummer zu groß für mich, war zu schön, zu perfekt - und wer oder was war ich schon im Vergleich zu ihr ...!?
Erleichtert war ich, als ich auf ihre Fragen wahrheitsgemäß antworten konnte, keinesfalls bleiben zu können, sondern zurück nach München an die UniBW müsse ... "Peccato, schade", antwortete sie (und erst heute höre ich darin den nicht unterdrückten Seufzer) und dann ging sie zu irgendwelchen anderen und ich zu meinem Korbsessel, gottfroh als Hosenscheißer, dass es das "Schicksal" gut mit mir gemeint und mich ihr entzogen hatte.

Doch halt! Nicht so schnell! Gemach! Die Geschichte ist noch nicht ganz zu Ende.

Anfang 2001 war ich wegen des Jugoslawienkriegs für ein halbes Jahr mit der Nato in Rom stationiert. Und eben mein Vetter Fabrizio wies mich darauf hin, das Lucrezia als Professorin am Konservatorium Accademia Nazionale di Santa Cecilia Geige und Komposition unterrichten würde, gab mir ihre Nummer, sie würde sich sicher freuen, wenn ich mich meldete ...
Gesagt, getan - sie erinnerte sich tatsächlich an mich, man glaubt es kaum.
Aus dem Mädchen war unterdessen ein Frau geworden - klar, nach 15 jahren, wie könnte es auch anders sein!? - aber ihre Gesicht und ihre Züge waren schärfer geworden, kantiger, eckiger, härter auch und vor allem war sie extrem und erschreckend dürr geworden ...
Nach dem Austausch von unseren Lebensläufen in gelöster und unaufgeregter Stimmung, vertraute sie mir schließlich an, dass sie an Gebärmutterhalskrebs erkrankt sei ... und dann sagte sie einen Satz, der mein Blut bis heute gefrieren lässt:
"Gianni, bis im nächsten Leben dann also, sei aber bitte diesmal pünktlich!"
Es sind die,

welche sich ihrer selbst versichern müssen indem sie ihre leidende Seele immer und immer wieder befragen, hervorzerren, nötigen und quälen, nur um sich selbst nah zu sein. Nur um sich gewiss zu sein: ich war, ich bin.
Das Schreien, Klagen und die Tränen der Seele in Kauf nehmend, hinnehmend, annehmend.

Die Schwärmer welche es lieber mit den Göttern halten. Im Wissen um deren Kraft, deren überbordende Lust an der Liebe, an der Schönheit, am dem Leben.

Die Träumer, übermütig danach trachtend sich der Götter Spiel zu Eigen machen.
Sie verschließen die Augen, sehen nicht, wollen nicht sehen, dass die Götter nur spielen. Spielen, im sicheren Vertrauen auf ihre Unsterblichkeit.
Sie dagegen, wie wir alle auf der Erde kriechende Sterbliche, müssen Federn an die wächsernen Flügel heften um dem Gefängnis zu fliehen.

Die Phantasten, welche breitwillig auf jeden Götterfunken, je heller desto bereitwilliger, anspringen. Ihn ergreifen, drehen, wenden, Luft auf ihn pustend bis er augenblendend erglüht und die Geschichte, von welcher doch nur die erste Zeile geschrieben ist, weiterschreiben. Sich verlieren, träumen, fliehend ihrer Welt, tief eintauchend in die Welten jenseits.

Sie sind es, welche zeigen was es heißt Mensch zu sein, wie ein Leben gespürt werden könnte.
Sie sind es, welche gemieden werden, in der Gewissheit
um ihr zerbrechen.

Und so schwärmen, träumen, lieben und leiden sie. Ewig Suchende, danach trachtend das Leben mit beiden Händen voll auszuschöpfen.



Vielen Dank lieber bubulle für Deinen Text.
Dir nur das Beste.

Designeson
Wahre und weise Worte, @*******son , die zugleich die Höchststrafe beschreiben.

Ja, das Leben ist wunderschön, aber zu den geschilderten Bedingungen kaum zu tragen, nicht zu ertragen ...
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