Unser Partner vergisst den Jahrestag. Der Kollege versorgt uns ungefragt mit Ratschlägen. Die Mutter kritisiert unsere Frisur. Wenn unser Glück davon abhängt, dass die Menschen in unserem Umfeld sich so verhalten, wie wir uns das wünschen, dann sind Enttäuschung, Frustration und Streit vorprogrammiert.
Dabei liegt die Ursache für unser Unglück oder unser Gefühl meist nicht so sehr in dem Verhalten unseres Gegenübers, sondern darin, wie wir eine Situation interpretieren.
Unser Partner / Bekanntschaft hat zum Beispiel wie in Deinem Fall vergessen sich zu melden. Grund für Ärger und Streit könnte die folgende Interpretation sein:
“Wenn ich meinem Partner / Freund / Bekannten wichtig wäre, würde er an mich denken und sich melden. Er tut dieses und jenes nicht, also interessiert er sich nicht (richtig).” Diese Gedanken und die Schlussfolgerung hieraus sind verletzend
Vermutlich können einige die Enttäuschung und den Schmerz hinter diesen Worten fühlen und nachvollziehen. Doch wichtig ist: Es sind nur Mutmaßungen, die in unserem eigenen Kopf entstehen. Es sind unsere eigenen Annahmen und nicht das Verhalten des Gegenübers, die weh tun. Zudem ist es ein anmaßendes Verhalten gegenüber des anderen, ihm / ihr etwas zu unterstellen, vom dem wir nicht wissen, ob es denn wirklich so ist.
Im Umkehrschluss kennen wir das alle selbst und sind dann entsprechend auch frustriert, wenn uns jemand etwas vorwirft, was nicht stimmt, sondern nur uf Vermutungen basiert.
Wir haben die Macht, uns mit unseren Interpretationen, Erwartungen und Urteilen selbst ins Unglück zu stürzen.
Wir nehmen an, zu wissen, was unser Gegenüber denkt und warum er sich so verhält, wie er sich gerade verhält. Aber, Pustekuchen, wir wissen es eben nicht, solange wir nicht Klarheit erlangen.
Vielleicht kennst du das von dir selbst? Manchmal empfinden wir uns in solchen Momenten als besonders schlau: Wir meinen, „hinter” das Verhalten des anderen zu blicken und entlarven zu können, was dieser “eigentlich” meint. Aber, nur in wenigen Fällen behalten wir recht.
Manchmal meinen wir sogar, es besser zu wissen als unser Gegenüber selbst.
Solche Interpretationen haben eine große Macht: Unsere Gedanken verändern sofort spürbar, wie wir uns fühlen und wie wir dem anderen gegenübertreten. Dabei spiegeln unsere Interpretationen viel mehr unsere eigenen Unsicherheiten und Ängste, als dass sie etwas über die tatsächliche Motivation unseres Gegenübers aussagen. Und das Verkennen einfach nicht nur viele, sondern die meisten und nur die wenigsten die reflektiert genug sind, erkennen dies.
Schlimm finde ich, dass viele Menschen von einer Art “böswilligen” Motivation ausgehen.
“Mein Gegenüber denkt nur an sich selbst”.
“Er / Sie ist ein ewiger Besserwisser”.
“Er / Sie meint, sie /er hätte den guten Geschmack für sich gepachtet” etc.
Das wir aber immer nur auf der Lauer sind und unbewusst nach dem nächsten “Fehler”, dem nächsten “Angriff” und dem nächsten “Beweis” suchen, dass wir vermeintlich nicht geliebt und wertgeschätzt werden, erkennen nur die wenigsten.
Was uns hierbei oft nicht bewusst ist: Wir verletzen uns dabei selbst. Alle Pfeile, die wir auf andere schießen, kommen bei uns selbst an:
Wenn ich davon ausgehe, dass mein Gegenüber nicht so reagiert wie ich es erwarte, interpretieren ich nur wie wertlos man sei – dann lebe ich in einer sehr einsamen und traurigen Welt.
Dabei sind wir Menschen größtenteils mit uns selbst beschäftigt. Wie wir selbst, so leben auch unsere Mitmenschen in ihrer eigenen Gefühls- und Gedanken-Welt. Wir wissen nicht, aus welcher Situation sie kommen und was sie gerade beschäftigt: In den allermeisten Fällen hat ihr Verhalten daher wenig bis nichts damit zu tun, was sie über uns denken oder wie sie uns gegenüber empfinden. Wie es ja in den allermeisten Fällen so ist, ist das was wir anderen z.B. vorwerfen, oft ein Spiegelbild wie wir selbst sind oder vor dem wir Ängste haben etc.
Es liegt daher an uns, wie wir das Verhalten des anderen auffassen: Jemand anderes wäre an unserer Stelle vielleicht froh und dankbar, wenn der andere sich nicht jeden Tag mit endlostexten meldet oder wenn er weniger zurückhaltend agiert oder was auch immer. Und das bedeutet eben nicht, dass wir uninteressanter sind oder weniger gemocht werden. Wenn wir also unser Umfeld mit Wohlwollen und Empathie betrachten, entscheiden wir uns dafür, eben glücklicher zu leben.
Das Geheimnis ist einfach; Das Verhalten anderer nicht persönlich nehmen.
Wenn wir also schon uns selbst und das Verhalten anderer beurteilen, warum entscheiden wir uns nicht für einen wohlwollenden und empathischen Blick auf die Welt?
Unser Gegenüber könnte sich gerade mit anderen Dingen des Lebens unwohl fühlen und ist deshalb bei anderen vermehrt zurückhaltend achtend.
Vielleicht würde eine Umarmung und die Frage “Wie geht es dir denn heute?” die harte, kritische Schale auflösen und ein Gespräch mit mehr Verbindung und Wärme möglich machen. Wenn dies nicht möglich ist, kann auch eine bewusste Distanzierung mit entschiedener Abgrenzung eine Lösung sein. Ob dies jedoch die bessere ist, insbesondere dann, wenn der andere uns etwas bedeutet, ist nicht immer einfach. Denn oft treffen wir Entscheidungen aus dem Impuls heraus ein Verhalten oder agieren zu verurteilen, obwohl wir überhaupt nur selten wissen, was der tatsächliche Grund für diese oder jenes Verhalten oder agieren ist. Für mich sind es schwache Charaktereigenschaften die wir im Grunde überhaupt nicht benötigen.
In jedem Fall geht es darum, zwischen dem Gegenüber und uns selbst bewusst und entschieden eine innere Trennlinie zu ziehen: Das Verhalten anderer nicht persönlich zu nehmen, ist ein weiterer Schritt zu mehr Gelassenheit und Glück.
Doch natürlich haben Menschen und Situationen eine Wirkung auf uns. Wenn uns etwas nicht guttut, dann ist es unsere Entscheidung, wie wir darauf reagieren: Wir können weder die Situation, noch unser Gegenüber ändern. Wir können nur unsere eigene Haltung und Reaktion beeinflussen.
In dem Moment, da wir dies erkennen, können wir uns aus der Opferrolle heraus bewegen und die Verantwortung für unser Glück übernehmen. Dazu gehört, dass wir unsere Interpretationen und Urteile nicht einfach hinnehmen, sondern zu unserem eigenen Wohl überprüfen. Und im Zweifelsfalle uns selbst und der Situation lieber mit Humor begegnen als mit Vorwürfen.
Vielleicht finden wir beispielsweise durch Nachfragen heraus, dass unser Partner gerade berufliche Sorgen hat, die Mutter / Geschwister schwer krank oder die Katze auf dem Küchentisch gekackt hat. Vielleicht ist er auch einfach jemand, dem grundsätzlich “Feiertage” nicht wichtig sind und dem sie durch die festgelegte Verpflichtung eher unnatürlich vorkommen…..….was weiß ich wie viele Gründe es gibt.
Eventuell entspricht es auch eher seiner Auffassung von Romantik, die gemeinsame Liebe im Alltag in vielen kleinen Dingen zu feiern. Hier könnten Verständnis und Humor zu mehr Leichtigkeit verhelfen: Zur “Strafe” für die Vergesslichkeit eine ausgelassene Kissenschlacht – das gemeinsame Lachen wird der Liebe sicher eher gerecht, als wenn sich einer von beiden beleidigt zurückzieht. Denn das machen die meisten.
Innere Distanz zur eigenen Interpretation heißt die Devise.: Wertfrei Wahrnehmen statt impulsiv reagieren.
Es geht nicht darum, das Interpretieren rigoros zu verbieten – das wird uns nicht gelingen. Es macht uns das Leben nur etwas leichter, wenn wir unseren Urteilen nicht blind folgen, sondern diese zunächst einmal achtsam wahrnehmen. Einen Moment innehalten, um alle Gedanken und Gefühle, die in einer bestimmten Situation auf uns einprasseln, wertfrei wahrzunehmen, ohne dem ersten Impuls zu einer Reaktion zu folgen.
So geben wir uns einen Moment, in dem wir sortieren: Welche Gedanken beschreiben die tatsächliche Situation – ohne Wertung? Und in welchen Gedanken inszeniere ich mein eigenes “Kopfkino” – mein inneres Drama aus Annahmen, Unterstellungen und Abwehrmechanismen? Welche Gefühle begleiten meine Interpretationen und Vorwürfe? Gibt es weitere, weniger verletzende Möglichkeiten, diese Situation zu interpretieren?
Welche Informationen fehlen mir, um meine Interpretationen zu überprüfen – vielleicht kann ich mein Gegenüber einfach fragen, was er genau mit seinen Worten meint oder warum er sich gerade auf eine bestimmte Weise verhält – und so meine spontanen Urteile und die damit einhergehenden Verletzungen sofort auflösen?
Es lohnt sich, in emotional aufwühlenden Situationen einen Moment Abstand zu gewinnen, um das eigene Innenleben achtsam wahrzunehmen. In dem wir uns selbst beobachten, geben wir unseren Gedanken und Gefühlen mehr Raum und gewinnen gleichzeitig durch die innere “Draufschau” mehr gelassene Distanz und Sicherheit: Unsere Gefühle können uns nicht mehr ohne Weiteres umhauen.
Wenn der innere Sturm sich etwas gelegt hat, können wir auf unser Gegenüber zugehen, unsere Gefühle und Sorgen mitteilen und lieber Fragen stellen, anstatt uns in wilden Interpretationen zu verlieren. So schaffen wir eine Verbindung, die auf Ehrlichkeit gründet und auf dem (Selbst-)Vertrauen, dass wir für unsere Bedürfnisse die Verantwortung übernehmen und uns selbst versorgen können.
Wenn die Gefühle hochkochen und wir in unserem eigenen Interpretationsfilm gefangen sind, ist es schwierig, inneren Abstand zu unseren Bewertungen und Urteilen zu wahren.
Ich weiß, das ist in der Tat nicht einfach und selbst den vermeintlichen lebenserfahrenen gelingt dies nur sehr sehr selten, bisweilen meist gar nicht.
Jedoch ist es aus meiner Sicht, ein recht einfacher, aber guter Weg.
In diesem Sinne, einfach Fragen statt zu Interpretieren und zu erwarten.