Nach über 10 Jahren therapeutischer Arbeit mit unterschiedlichsten Menschen glaube ich inzwischen, dasss so ziemlich jede und jeder von uns aus den eigenen kindlichen Prägungen die eine oder andere emotionale oder soziale Störung mitgenommen hat... Die meisten merken ganz einfach nicht, wie viele ihrer täglichen Entscheidungen und Handlungen im Grunde nur dazu dienen, sich vor der Konfrontation mit ihren wahren Gefühlen, Gedanken oder Sehnsüchten zu schützen...
Spätenstens im Feld der Liebe und der Lust allerdings fällt uns dies allzumeist schwer auf die Füße.
Meiner Erfahrung nach gehen emotionale Verbundenheit ebenso wie erotische Lust uns immer unter die Haut. Und genau das sollen sie ja auch. Schließlich ist es ja genau das, was die Freude, die wir dabei empfinden, so intensiv werden lässt.
Nach meinem heutigen Erfahrungsstand kann ich sogar sagen: Je tiefer wir aufmachen, desto intensiver und erfüllender ist auch das Empfinden.
Dumm nur, dass dort, unter unserer Haut, auch all die weggeschobenen, verdrängten, niemals wirklich geheilten Traumata unserer bisherigen Lebensgeschichte liegen... Öffnen wir uns nun einem Menschen in der Liebe oder Lust, dann kann es leicht passieren, dass urplötzlich so eine unserer alten Wunden wieder offen liegt. Etwas, das wir selbst oder der/die andere gesagt oder getan haben/hat, weckt in unserem Unterbewussten die Assoziation an vergangene Erfahrungen, die uns nicht gut taten. Und ZACK, sind wir wieder drei, fünf, sieben oder fünfzehn Jahre alt...
Ich bin inzwischen zu der (zugegebenermaßen eher unromantischen) Erkenntnis gekommen, dass wir in der Liebe oder Lust im Grunde nur die Wahl haben, uns in Erfahrungen zu begeben, die uns wahlweise heilen oder aber retraumatisieren. Ich glaube, dass ausnahmslos jedes tiefe Einlassen auf einen Menschen geradezu zwingend dazu führt, dass diese Beziehung in uns alte Wunden berührt. Und das tut weh. Jedes Mal.
Ob dieser Schmerz, den wir früher oder später unausweichlich erleben, jedoch ein Schmerz der Heilung ist oder aber nur eine bestehende Wunde vertieft wird, hängt stark davon ab, wie reflektiert, wie selbst-erfahren und wie offen wir mit diesen emotionalen Erfahrungen umgehen.
Für die meisten Menschen sind alle Arten von Gefühlen ebenso wie alles, was mit Lust und Sex zu tun hat, schwer schambesetzt. Das führt dazu, dass viele Menschen im Umgang damit eine Strategie wählen, die sie "Ich mache das halt mit mir selbst aus...!!!" nennen. Meist bedeutet das allerdings übersetzt: "Ich hab keinen Bock darauf, mich mit diesem Scheiß auseinander zu setzen. Darum sehe ich zu, dass ich mich mit allem möglichen ablenke, um bloß nicht daran zu denken...!!!"
Kein Wunder also, dass so viele Menschen sich selbst und einander immer wieder so furchtbar und vor allem furchtbar unnötig verletzen...
Das Bild mit dem Schutzhelm finde ich charmant. Aber nicht ganz treffend. Denn wir wollen ja bei unserem Erfahrungen in der Liebe und Lust möglichst nackt sein und möglichst roh, um unser Erfahren und Erleben so intensiv wie möglich genießen zu können... Also nichts mit Helm und Schutzanzug... Trotzdem aber (bestenfalls...!) unterwegs mit einem Maß an Energie, Drive und Flow, das im wahrsten Sinne atemberaubend ist...
Um in dem Bild zu bleiben, sitzen wir also bei 100 km/h nackt im Sattel...
Wow...! Was für ein Trip...!
Umso wichtiger ist es daher, dass wir sowohl uns selbst als auch das Spiel der Lust als auch das Feld unserer Gefühle wirklich gut kennen, wenn wir uns miteinander auf diese Art von Unter-die-Haut-Trip begeben.
Gerade weil Liebe und Lust gar nicht anders können, als an unsere alten Wunden zu rühren, halte ich es sehr hilfreich, dass wir das, was wir in diesem Feld erfahren und erleben, bewusst und aufmerksam reflektieren. Gesegnet sind jene, die einen Liebesparner oder eine Liebespartnerin haben, der/die hierfür offen oder sogar darin erfahren ist. Auch Freunde können hilfreiche Gesprächspartner oder -partnerinnen sein. Wobei es hilft, wenn diese Freunde selbst einen möglichst offenen, entspannten und bewussten Umgang mit ihren Gefühlen und mit ihrer Sexualität haben. Und dann gibt es da natürlich auch noch uns Therapeuten oder Coaches aller Arten Geschlecht oder Couleur.
Für arbeite seit inwischen über 10 Jahren als Coach und Therapeut in der Königsklasse "Liebe, Partnerschaft und Sexualität". Ich empfinde es immer wieder als zutiefst berührend, zu beobachten, wie Menschen, die ich seit einer Weile als Coach begleite, nach und nach immer selbst-bewusster werden und agieren. Wie sie damit beginnen, ihre eigenen Gefühle zu erforschen und mit ihren Liebespartner:innen zu teilen. Wie sie dafür eintreten, was ihnen wirklich Spaß macht, und sich dabei immer weniger fragen, ob das nun okay, angemessen, un-verschämt, männlich, weiblich, zu wenig, zu viel oder zu sonstwas ist. Diese Menschen verändern im ersten Schritt ihre Beziehung zu sich selbst und darauf aufbauend ihre Beziehung zu anderen Menschen in ihrem Leben, nicht zuletzt ihren Liebes- und/oder Sexualpartnern (m/w/d).
Ich persönlich spreche vor allen Dingen mit meiner Liebespartnerin immer wieder und sehr offen über unsere gegenseitigen Erfahrungen, Gefühle, Ideen oder Wünsche mit- oder aneinander. Auch und immer wieder in Sachen Lust und Sex. Ich gebe zu, dass nicht jedes dieser Gespräche einem Sommerspaziergang gleicht. Manche sind zwischendurch emotional durchaus ein bisschen anstrengend. Da wir aber schon so viel vollkommen offen und transparent miteinander geteilt haben, ist da inzwischen ein recht solides Fundament des Vertrauens in uns selsbt, in einander und in unsere Partnerschaft. Von Jahr zu Jahr werden unsere gegenseitigen Offenbarungen leichter und vergnügter. Weil wir beide spüren, was uns dies über die Jahre gebracht hat: Wo andere Paare es als normal ansehen, dass die Lust aufeinander im Laufe der Jahre mehr und mehr schwindet, stellen wir fest, dass unser Sex mit jeder unserer gegenseitigen Offenbarungen tiefer und erfüllender wird.
Wie heißt es schließlich so schön in diesem alten Sprichwort: