Mammakarzinom
I.Wird Ania, wie ich sie kenne, wieder unvermittelt in der Sommersonne loslegen sorglos zu lachen? Irgendwann nach der Op, nach der Therapie, wenn sie wieder da ist und alles überstanden hat? Würde sie mich wie gewohnt nach dem Lachausbruch in der Stadt, in der Natur, beim gemeisamen Einkaufen, beim Fahrradfahren, beim zusammen Kochen, beim Bude auf Vordermann bringen, mitten in der Nacht mit glänzenden, halb geschlossenen Augen verschmitzt und spitzbübisch anschauen? Würde sie dann weiterhin wie gewohnt ihren Blick senken und ihre Mundwinkel herausfordernd kaum bemerkbar nach unten ziehen?
Eine Einladung, die nur ich verstehen würde, mit der sie mich in sechs Jahren kampf- und versöhnungserprobter Beziehung erwartet, um sie zu nehmen, um ihre Brüste, eine davon, weil eine nicht mehr da sein wird, zu liebkosen, die entstandene Lücke zu umschmeicheln als wäre meine bloße Begierde, die dann ins Leere laufen wird, ein Ersatz? - Oder wird es dazu nicht mehr in der bekannten zauberhaften Weise kommen, weil wir unsere Unbekümmertheit ein für allemal verloren haben und sich etwas Unerwünschtes und Unerwartetes mit kalter Macht zwischen uns gezwängt hat, quasi eine ihrer Brüste geklaut hat?
Wird es nicht eine reine Posse, wenn sich meine Hände an eine Glück und Wonne verheißende Brust voller Weichheit und Wärme erinnern, die einmal dagewesen ist und dann ins Nichts greifen werden?
Meine Finger und meine Lippen werden stattdessen über eine halbmondförmige Narbe fahren, die einen nichtgeometrischen Schnitt abbilden, von dem Ania sicher nicht will, dass ich ihn erkunde. Bedeutet die Wölbung ihrer schweren Brust zu suchen, ihr nicht zu beweisen, dass sie ab sofort und für immer als Frau unzureichend sein wird? Wir nicht jeder Sex auf untröstliche Weise genau das unterstellen, auch wenn ich sie weiterhin liebe und begehre, selbst wenn ich sie auf ihre inneren Werte und ihren Charakter und ihr Wesen aus Güte und schier unermesslicher Geduld beschränkte, nämlich eine Mitleidsgeste?
Ein Schatten von blaßer Haut, der sich beinah durchsichtig über ihren nunmehr knabenhaften, schmalen Brustkorb spannt. Wird sie sich nicht nur noch bei ausgeschaltetem Licht zeigen wollen, sich auzuziehen wagen und werde ich mich nicht nur verstohlen getrauen, sie mir auszuschauen? Wird ihre Haut roséfarben oder weiß sein? Wird ihre Haut straff oder ein faltenverworfenes Gebilde sein?
Werde ich ihr noch etwas anderes Wahres oder Wichtiges sagen können, ohne dass alles zur Farce verkommt, weil und wenn sie Schmerzen hat und leidet?
Es wird ein Moment der Pflicht sein, des Erbarmens, des Betrugs, wenn wir so tun, als habe sich nichts geändert, wenn wir miteinander schlafen.
Gerade weil meine Hände, meine Lippen, mein ganzer Körper gleichsam magisch auf die Lücke auf ihrer Brust ausgerichtet sein werden im So-tun als fehlte gar nichts - aber wie sonst soll ich die Schreckensangst demütigen, meine mehr als ihre - als mit alles vergessen machendem Sex, denn nur der Körper liefert dem Geist und der Seele die Bestätigung, alles sei in Ordnung, liefert Gefühle zum Anfassen und Begreifen? Alles andere Geschwafel von Wesen, Charakter, inneren Werten ist Schall und Rauch, wertlos, weil Ania sich genauso wertlos fühlt und nicht wissen wird, wie es weitergeht, wenn nicht ihr Körper ihr Kontinuität verspricht? Weil ihr Vertrauen in die Beständigkeit dessen, was ist und wer sie ist, verspielt hat, denn auf ihren Körper, der den Krebs beherbergt und für den Tod steht, ist kein Verlass mehr - wie ihr also vermitteln, dass auf mich Verlass ist? Nur da zu sein, wird wohl kaum reichen und sie verbissen zu beschlafen erst recht nicht.
Geplant habe ich noch zwei, drei Fortsetzungen, bis ich alles ausgedrückt habe, was ich ausdrücken will und eine stringente Geschichte daraus entstanden ist