Mehr brandheiße Inhalte
zur Gruppe
Erotische Kommunikation
380 Mitglieder
zur Gruppe
Frivol Ausgehen
5798 Mitglieder
zum Thema
Intimität ohne Geschlechtsverkehr?101
Sexualität ist ja die Gesamtheit unserer Interaktion mit dem…
zum Thema
Die berühmten drei Worte: Ich liebe dich!93
Ich schaute gestern mit einem Mann die Sendung "Jungen gegen Mädchen"…
Das Thema ist für dich interessant? Jetzt JOYclub entdecken

Mammakarzinom

Mammakarzinom
I.

Wird Ania, wie ich sie kenne, wieder unvermittelt in der Sommersonne loslegen sorglos zu lachen? Irgendwann nach der Op, nach der Therapie, wenn sie wieder da ist und alles überstanden hat? Würde sie mich wie gewohnt nach dem Lachausbruch in der Stadt, in der Natur, beim gemeisamen Einkaufen, beim Fahrradfahren, beim zusammen Kochen, beim Bude auf Vordermann bringen, mitten in der Nacht mit glänzenden, halb geschlossenen Augen verschmitzt und spitzbübisch anschauen? Würde sie dann weiterhin wie gewohnt ihren Blick senken und ihre Mundwinkel herausfordernd kaum bemerkbar nach unten ziehen?
Eine Einladung, die nur ich verstehen würde, mit der sie mich in sechs Jahren kampf- und versöhnungserprobter Beziehung erwartet, um sie zu nehmen, um ihre Brüste, eine davon, weil eine nicht mehr da sein wird, zu liebkosen, die entstandene Lücke zu umschmeicheln als wäre meine bloße Begierde, die dann ins Leere laufen wird, ein Ersatz? - Oder wird es dazu nicht mehr in der bekannten zauberhaften Weise kommen, weil wir unsere Unbekümmertheit ein für allemal verloren haben und sich etwas Unerwünschtes und Unerwartetes mit kalter Macht zwischen uns gezwängt hat, quasi eine ihrer Brüste geklaut hat?
Wird es nicht eine reine Posse, wenn sich meine Hände an eine Glück und Wonne verheißende Brust voller Weichheit und Wärme erinnern, die einmal dagewesen ist und dann ins Nichts greifen werden?
Meine Finger und meine Lippen werden stattdessen über eine halbmondförmige Narbe fahren, die einen nichtgeometrischen Schnitt abbilden, von dem Ania sicher nicht will, dass ich ihn erkunde. Bedeutet die Wölbung ihrer schweren Brust zu suchen, ihr nicht zu beweisen, dass sie ab sofort und für immer als Frau unzureichend sein wird? Wir nicht jeder Sex auf untröstliche Weise genau das unterstellen, auch wenn ich sie weiterhin liebe und begehre, selbst wenn ich sie auf ihre inneren Werte und ihren Charakter und ihr Wesen aus Güte und schier unermesslicher Geduld beschränkte, nämlich eine Mitleidsgeste?
Ein Schatten von blaßer Haut, der sich beinah durchsichtig über ihren nunmehr knabenhaften, schmalen Brustkorb spannt. Wird sie sich nicht nur noch bei ausgeschaltetem Licht zeigen wollen, sich auzuziehen wagen und werde ich mich nicht nur verstohlen getrauen, sie mir auszuschauen? Wird ihre Haut roséfarben oder weiß sein? Wird ihre Haut straff oder ein faltenverworfenes Gebilde sein?
Werde ich ihr noch etwas anderes Wahres oder Wichtiges sagen können, ohne dass alles zur Farce verkommt, weil und wenn sie Schmerzen hat und leidet?
Es wird ein Moment der Pflicht sein, des Erbarmens, des Betrugs, wenn wir so tun, als habe sich nichts geändert, wenn wir miteinander schlafen.
Gerade weil meine Hände, meine Lippen, mein ganzer Körper gleichsam magisch auf die Lücke auf ihrer Brust ausgerichtet sein werden im So-tun als fehlte gar nichts - aber wie sonst soll ich die Schreckensangst demütigen, meine mehr als ihre - als mit alles vergessen machendem Sex, denn nur der Körper liefert dem Geist und der Seele die Bestätigung, alles sei in Ordnung, liefert Gefühle zum Anfassen und Begreifen? Alles andere Geschwafel von Wesen, Charakter, inneren Werten ist Schall und Rauch, wertlos, weil Ania sich genauso wertlos fühlt und nicht wissen wird, wie es weitergeht, wenn nicht ihr Körper ihr Kontinuität verspricht? Weil ihr Vertrauen in die Beständigkeit dessen, was ist und wer sie ist, verspielt hat, denn auf ihren Körper, der den Krebs beherbergt und für den Tod steht, ist kein Verlass mehr - wie ihr also vermitteln, dass auf mich Verlass ist? Nur da zu sein, wird wohl kaum reichen und sie verbissen zu beschlafen erst recht nicht.

Geplant habe ich noch zwei, drei Fortsetzungen, bis ich alles ausgedrückt habe, was ich ausdrücken will und eine stringente Geschichte daraus entstanden ist
*******581 Frau
1.029 Beiträge
Sehr berührend. Ich kann Dich sehr gut verstehen.
*******s75 Paar
472 Beiträge
Sie: Sehr einfühlsam geschrieben.
II.

Anias Brust schwitzt immer noch Blut aus. Der Mullverband ist unregelmäßig von einer Soße aus einer wässrigen Mixtur aus Wundwasser, Eiter und eben Blut, das penetrant nach Fäulnis muffelt, getränkt.
Ja, sie wollte partout nach der Op nach Hause, nicht in ein Sanatorium zur Therapie und anschließender Kur.

Nicht dass mich ihre Pflege überfordern würde, nein, ich kotze mich nur selbst an. Ich zweifle und verzweifle beschämenderweise an dem Umstand, 24 Stunden am Tag an sieben Tagen die Woche hinter Ania demütig zurücktreten zu müssen. Trotz anfangs bester Absichten, bin ich weder ausgepowert noch unzufrieden, ich bin es einfach nur satt, mich dem stumpfsinnigen wiederholten Tageablauf hinzugeben - wie es scheint ein Stratus Quo ohne Rückschläge (gottlob), aber auch ohne sichtbare Besserungen. Die Zeit frisst meine Geduld auf. Meine Kraft reicht nicht für die notwendige Geduld.
Dazu Anias Weinen. Zum Glück schläft sie jetzt. Es mag zwei oder drei Uhr in der Nacht sein. Ich habe nicht aufgepasst, wie und was die nahe Kirchturmuhr schlägt. Ania hat ihr Gesicht dem Balkon zugedreht. Ihr Mund ist halb offen. Die Ecken von zwei Schneidezähne glitzern. Ihre Lippen sind geschwollen und trocken. Ein Güterzug brettert draußen vorbei und lässt den Arznei- und Desinfektionsmittelgeruch im Zimmer erzittern. - Ich darf nicht vergessen, morgen Desinfektionstücher zu kaufen. Ania beißt darauf, um sich so am Erbrechen zu hindern.
Nur eine Woche kaum Schlaf in unbezahltem Urlaub und ausschließlich für Ania da sein, haben ausgreicht, dass ich es für unmöglich halte, dass die Innenseiten der Schenkel dieser Frau mich einmal beinah in den Wahnsinn getrieben haben!? Dass diese Frau überhaupt Schenkel hat ... dass diese Frau überhaupt eine Frau ist ... meine Frau ist. Habe ich tatsächlich einmal für diese Frau gesungen, für sie, um sie gekämpft? War sie mir in einer mittlerweile vergessenen Vergangenheit alles gewesen?

Als hätte sie selbst noch im Schlaf Antennen für meine Gedanken, weint sie jetzt ohne aufzuwachen. "Wein´ doch nicht," flüstere ich ihr zu und ich spüre, wie meine Schwäche, meine Dummheit, meine Ohnmacht, mein Selbstbeschiss meinen Körper in der Wohnung zurückdrängen und seinen Platz einnehmen. Ich getraue mich nicht, ihre Hand zu nehmen und sie behutsam zu streicheln.
Weil ich bis zum AiP Medizin studiert habe, darf ich ihr bei Bedarf Morphium spritzen. Ich nehme eine Ampulle davon vom Nachttischchen, halte sie geziert zwischen Daumen und Zeigefinger. Fröhlich silbern ist ihr Widerschein. Ich schüttle das winzige Fläschchen mit Anias schlafender und jetzt schluchzender Gestalt im Hintergrund. Ich muss lächeln und weiß nicht mal, wieso. "Texture like sun, with my mind she runs ..." Komische Assoziationen, die nicht unpassender sein könnten ...

Ich will es mir vermutlich nur noch nicht eingestehen, doch ich fühle sehr wohl, wenn auch unbestimmt, dass etwas zu Ende ist und dass etwas Neues, geradezu Zwangsläufiges entsteht. Was es ist, weiß ich nicht. Beunruhigend zwar, aber gibt es etwas Neues, das es nicht wäre?
Mist! Ich darf so etwas nicht einmal denken! Überhaupt in dieser Situation. Aber es ist da und lässt sich nicht verleugnen. Es wächst sogar. Etwas wie das Ende unseres gemeinsamen Lebens und mit Anias Krankheit das Verfaulen dieses gemeinsamen Lebens. Als wäre mit der amputierten Brust das einzig uns verbindende Element verloren gegangen ... was für ein Schwachsinn!!!

Übereinstimmungen, die einst aus Ania und mir ein Paar machten, bringen uns jetzt auseinander. Am Morgen nach dem Frühstück und Frischmachen sagt sie mir, dass sie zu ihrer Mutter möchte und zwar unbedingt, und zwar unbedingt noch heute. Dass sie zu der fülligen Frau möchte mit den breiten Hüften. Wie sie von ihr gelockt wird. Wie sie wieder Kind sein möchte. - Denkt sie das allen Ernstes wirklich!? Glaubt sie, was sie da sagt!? - Bei ihrer Mutter darf sie ihre Augen schließen und ist beschützt. Kann die Knie anziehen und zufrieden lächelnd einschlafen.
Jetzt ist mir klar, dass damit das Neue anfängt. Dass ich es nicht aufhalten kann, selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht aufhalten. Ob ich oder Ania dieses Neue wollen - ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht - ich fühle nur, wie etwas Neues von mir, von uns Besitz ergreift ...
III.

Es sei Ania gegönnt, bei ihrer Mutter in die Welt ihrer Kindheit und Jugend abzutauchen, sorglos, unbekümmert, ohne den Krebs und seine schrecklichen Folgen. Sich in einem Dasein, wo alles in Ordnung ist, zu erholen. So die Tage zu verbringen, als sei sie noch sozusagen neutral, ohne das ihr aufgeprägtes Sosein mit den bekannten Wirkungen.

In gleichem Maß wie Ania nun einen Neustart am Ort ihres Lebensbeginns hinlegen möchte, stelle ich mir ihren nackten Körper vor, noch ohne amputierte Brüste. Feig und neiderträchtig stelle ich sie mir kompakt und intakt vor, so als könnte auch ich mit ihr einen Neustart hinlegen, als müsste ich dazu lediglich die Wirklichkeit erfolgreich ausblenden und mir etwas vormachen und blind daran glauben, wie ich sie haben will. Aber je mehr ich mich darum bemühe, desto mehr merke ich, dass alles, was wir auch machen könnten, keine Gegenwart mehr besitzt, geschweige denn ein Zukunft. Dass nicht einer meiner Träume mich mit einer Zukunft mit ihr verbindet. Vermutllich liegt es daran, dass es nichts Neues mehr gibt, zu eingefahren und schwerfällig sind wir geworden. Wir genügen uns nicht mehr. Wir sind uns nicht mehr alles. Anstatt Spannung und Reiz, Lustlosigkeit und Routine, Langeweile und Trübsinn. Meiner Phantasie reicht Ania nicht mehr als Input, sie verleiht mir keine Flügel mehr. Die Bilder vor meinem geistigen Auge sind nichts weniger als endlose Widerholungen von verstaubten Momenten, die unsere Vergangenheit ausmachen. Doch diese Momente, so viele sie auch sein möchten, liefern keinen Zunder mehr für ein Feuer der Leidenschaft, nein, nicht mal mehr zum Vorhalten einer angenehmen Wärme - wenn ich ehrlich bin ... liebe ich sie gar nicht mehr. Das hat nichts mit ihrer sexuellen Attraktivität zu tun, sondern damit dass sie mir wie ein schon mindestens zehnmal durchgekautes Buch vorkommt, wo nichts Interessantes mehr drin steht. Dieser Umstand macht für mich auch jede weitere Anstrengung uns als zwei Gemeinsame wieder zu beleben, unnütz, zwecklos und überflüssig. Ihre Gegenwart hat sich in mir aufgelöst wie ein Tropfen im Regen. Und ihre Stimme dringt durch den Regen nicht mehr zu mir durch.
Natürlich ist es nicht ihre Schuld, schon gar nicht hat es irgendetwas mit dem Brustkrebs zu tun - der ist, so scheint es, nur der Katalysator.
Dass sie es ganz ähnlich sieht und empfindet, beweist mir ein Brief, den ich von ihr erhalten habe. Darin schreibt sie - gerade so als hätte sie sich bereits endgültig von mir verabschiedet und wollte auch gar keinen Neuanfang mehr mit mir wagen, was mir umso mehr recht gibt in meiner eigenen Einschätzung:

"Über alles wollten wir stets sprechen. Nie etwas ausklammern, keine Geheimnisse voreinander haben. Vertrauen und Verständnis ...
Aber auch wenn wir weiterhin über alles sprechen können, muss ich dir gestehen, interessiert es mich gar nicht mehr, was du denkst und ich will dir auch gar nicht mehr alles sagen. Das ist nämlich mein Leben! Und selbst wenn wir uns weiterhin alles sagen können - sei ehrlich! - erreicht das überhaupt noch unser Herz?
Selbst wenn ich dir etwas sage und du es auch verstehst, verstehst du doch nichts von dem, was ich will, dass du es verstehst.
Du hast mich so lange verstanden, wie wir uns fremd waren - jetzt kennen wir uns und verstehen uns aber nicht mehr. Wir hätten uns nie vertraut werden dürfen, dann hätten wir uns vielleicht sogar jetzt noch verstanden.
Ich bin dir kein Geheimnis mehr, das du lüften willst. Du bist logisch und abgeklärt und darum nicht mehr mit mir. Um ich wirklich verstehen zu können, dürftest du mich nicht wirklich kennen - beziehungsweise du verstehst mich mit deinem Kopf, aber nicht mit deinem Herz ... so dass ich denke, du hast gar keins ...
Es müsste dir vom Kopf aus unmöglich sein, mich zu verstehen, dann würdest du mich verstehen.
Es war uns immer klar, dass Liebe Verständnis ist. Aber mir kommt es vor, als rede ich mit einem Toten ohne Gefühl. Wann hast du mich in die Arme genommen? Wann einfach mitten in der Stadt geküsst?
Ich kann keinen Toten lieben. Liebe heißt nicht alles verstehen können, doch alles verstehen wollen. Mit Überraschungen zu rechnen. Nicht im Voraus alles zu planen und zu organisieren. Unser Leben ist so vorhersehbar, nur noch eine Notwendigkeit aus Gewöhnung. Darüber ist mein Herz ganz kalt geworden. Die Quelle meiner Freude und Lebenslust fehlt - du bist sie nicht. Im Gegenteil.
Ich versuche mir jeden Abend vor dem Schlafengehen die Gründe für meine Freude am Tag zu vergegenwärtigen - da waren die alten Freunde, die Verwandten, die Nachbarn, die Blumen im Garten meiner Mutter hier - und ja, es gibt so viele Dinge und Leute, die mir Freude machen, die mir andere schenken, die mir andere helfen zu entdecken - nur du, du bist keine einzige davon."
*******ngs Frau
3.387 Beiträge
Lieber, das ist schade - sehr schade !!! Ich muss heulen wegen deiner Ausführungen und bin gerade froh, alleine sein zu müssen, zu dürfen , zu wollen und niemanden damit zu belästigen oder unter Druck zu setzen. Der Krebs ist immer auch ein 'Veränderer' - ein neuer 'Wegweiser'. Gerade DiESER Krebs ! Sehr oft ein 'Augenöffner' - ein Wendepunkt. Zeit, alles jetzt zu klären ! *herz3*
*******ant Frau
27.194 Beiträge
Ich kenne weder dich noch "Anja" noch eure Realitäten,
aber:
allerhöchsten Respekt für diese Texte!
Solch selbst- schonungslose Offenlegung ist selten.
Mit der Lupe auf wunde Punkte...
schmerzt beim Lesen.

Danke dafür.
****dat Frau
3.554 Beiträge
Mich verwirrt diese Geschichte zutiefst. Sie macht mich kein bisschen traurig. Ich bin eher wütend und tatsächlich sogar angewidert.

Ein großes Kompliment an den Schreiber, ich mag es, wenn es jemand schafft, mich völlig in seine Worte fallen zu lassen.
*******ant Frau
27.194 Beiträge
@****dat
Das meinte ich mit "selbst- schonungslos".
Mir ging es auch so.

Wie auch immer:
"Wir wissen ja alle, warum wir hier sind, zwinker"
wurde für mich nie besser ad Absurdum geführt.
Dafür: *blumenschenk*
IV.

Am Anfang unserer Beziehung hat mich die Romantik träumen lassen, ich sei Ania und sie sei ich. Zwei Menschen, eine Wesenheit. Mehr als eine gegenseitige Ergänzung, ein Powerpack nicht nur gegen den Rest der Welt, sondern sogar gegen den Tod ... Aber diese rosaroten Vorstellungen sind zu Schall und Rauch geworden. Es ist sogar so, dass ich uns nicht einmal mehr zusammen denken kann. - Was? Wir sollen ein Paar gewesen sein!? So ein Quatsch! Auf diese verschrobene Weise macht unsere getrennte Gegenwart auch unsere gemeinsame Vergangenheit zu zwei Vergangenheiten.
Jetzt stehen Anias letzten zwei Koffer an der Wohnungstüre, die ich wie alles andere von ihr hinaustrage - was für ein Bild! - weil sie es mit den teilweisen entfernten Brustmuskeln nicht alleine schafft.
Sie sitzt am Küchentisch und lächelt mich an, schließt dabei wie ich es mehrere tausendmal gesehen habe halb ihre Augen, in denen ich sogar jetzt noch eine bunten Frühling erheische, der üppiger ist als der draußen im Freien.
"Ich könnte dich verführen", sagte sie und blitzelt verschlagen mit ihren langen Wimpern, "aber ich will nicht. Vorhin als du noch nicht da warst und ich gepackt habe, habe ich mir dich vorgestellt. Ich sah nicht nur dein Gesicht, deinen sehnigen Körper, ich spürte deine Hände, deine Finger, wusste wie sich beim Durchstreichen deine Haare anfühlen; ich bekam sogar eine Gänsehaut von der bloßen Einbildung. Da wollte ich dich.
Aber jetzt, wo du da bist, will ich nicht mehr. Ich blicke in dein Gesicht. Sehe die traurigen Augen, obwohl du überhaupt nicht traurig bist. Sehe deinen Mund, der immerzu spöttisch lächelt, obwohl dir überhaupt nicht zum Lächeln zumute ist. Sehe deine Lippen, die so unendlich begierig wirken, obwohl du nur deine Ruhe willst. Aber dann sehe ich dein Gesicht und wie du dich bewegst und ich will dich nicht mehr. ich weiß, dass du ein gemeines Trugbild deiner selbst bist und dann will ich nicht mehr. Du bist anders, als ich dich in meinem Kopf habe.
Ich sehe deine Spannkraft, sehe, dass du gespannt bist wie eine Feder, sehe den Verrat deiner Gesundheit an mir - und dann weiß ich, dass ich nichts bin. Dass ich keine Frau mehr bin ..."
Ohne dass ich sie halten kann, stürmt sie darauf an mir vorbei und verschwindet im Badezimmer. Als sie wieder rauskommt, ist unschwer zu erkennen, wie Tränen sie beinah aufgelöst haben.
"Mein Geheimnis ist verschwunden und mit ihm unsere Intimität. Es ist einfach alles kaputt. Wir können nicht mehr spielen. Können uns nicht mehr im Spiel verlieren. Uns unsere eigene Wirklichkeit schaffen. Wir sind umgeben von zu viel Wahrheit. Und die ist so traurig. Es ist, als wären wir aus dem Schatten meiner amputierten Brust in ein kaltes Neonlicht vertrieben worden, wo man uns wie am Operationstisch auseinandergeschnitten hat. Ja, ich denke, wir können uns nicht mehr irgendwo im Schatten verstecken."
Dann verzweifelter:
"Soll ich dir was vorspielen? Willst du das?" Und sie setzt sich rücklings auf meine Schenkel, ihre Fussspitzen berühren gerade noch den Boden, dass sie sich mit den Armen an mir festhält, indem sie sie mir um den Hals legt.
Sie hat Mundgeruch - eine unheilvolle Mischung aus geronnenem Blut und Kölnisch Wasser. Doch sie küsst mich sanft, berührt wie mit einem sachten Hauch meine Lippen und ich erinnere mich, wie ich sie früher ungestüm, ungehemmt, ohne Rücksicht geküsst habe, bis ihre Lippen blau waren ... Dann küsst sie meinen Hals, links, rechts, wandert mit ihrem Mund meinen Hals hoch und wieder runter, mein Kinn entlang und drückt dabei meinen Kopf in den Nacken - dann steht sie abrupt auf und schaut von hinten auf mich herunter.
"Es ist einfach nicht mehr echt. Und ich bin keine Schauspielerin. Du bist so fremd. So entfernt. Ich glaube, ich werde dich nie kennen. Immer hältst du irgendwas zurück und ich fühle mich wie permanent auf den Arm genommen. Immer bleibt ein Geheimnis in dir." Sie nimmt das Brotmesser:
"Selbst wenn ich dich jetzt umbringen würde und dich dann aufschneiden würde, ich würde dich nicht in dir finden - es ist, als ob du ständig ein Geheimnis in dir behalten würdest. Das ist mir zu schwer. Ich will endlich ein einfaches Leben. Ein Lachen, das ein Lachen ist. Ein Schrei, der ein Schrei ist. - Bei dir muss ich immer alles auf die Goldwaage legen und überlegen ... und dann denke ich immer, ich hätte was falsch gemacht, das will ich nicht mehr."

Es ist, als ob die von ihr gesprochenen Worte von allein in ihren Mund zurückkehrten und sie an ihnen drohte zu ersticken. Ihr Gesicht ist blass.
"Damit ist alles geklärt," erklärt sie abschließend und lächelt verlegen. Auch ohne Spott. Nur noch gelangweilt und froh, etwas Schweres hinter sich zu haben.
Ja, Glück ist kein gemeinsames Ziel mehr von uns. Vielleicht fehlt uns auch einfach die Größe dazu. Wir hauen voreinander ab, der Situation, der Lage, vor uns, weil es zu schwer ist.
"Bist du glücklich?", will sie unvermittelt wissen, schaut mich aber dabei nicht an.
"Ich will nicht, dass mein Glück in andere Hände kommt als in deine", doch kaum habe ich das gesagt, bin ich mir über meine Lüge im Klaren, zur Verstärkung grinse ich auch noch vielsagend.
Ihr nachdenkliches Gesicht ist auf ein fernes Licht gerichtet: "Ich muss jetzt gehen."

Ein paar Tage später finde ich in meinem Briefkasten ihren Haus- und Wohnungsschlüssel. Ich kann mich an alles erinnern, das jetzt zerstört ist und das es schlicht nicht mehr gibt und es in der Welt keinerlei Spuren davon gibt und alles aussieht, als hätte es Ania und mich nie gegeben. Ania hat mich entgültig aus dem Mitleid und der Verantwortung entlassen, denn geliebt habe ich sie nicht mehr.
Ich begreife, dass ihr Unglück mit mir ihr zwar vertraut gewesen war und sie auch beschützt hat, dass sie aber jetzt mit der amputierten Brust noch unglücklicher ist und mein Unglück kein homöopathisches Gegenmittel dagegen ist, dass es wirklich aus ist. Widerlich, jämmerlich, ohne Erbarmen ist alles, einzigartig und doch gleichzeitig hundsgewöhnlich.

Wie in einer Abwehrhaltung denke ich dieser Tage so gut wie nicht mehr an Ania. Andererseits weiß ich mit Bestimmtheit, dass ich und mein Leben nichts sind als eine leere Form, ein Matrix, eine Kulissenschieberei einer geheuchelten Bedeutung aus Beruf, Bildung, auf blöde Weise klug daherlabern, ohne Glauben, ohne Vertrauen; dass ich eine zu Fleisch gewordene Routine bin, die sich durch den Alltag und das Leben schleppt - und Liebe? ... auch Liebe kommt und geht und am Ende gehen wir doch leer ...
Anmelden und mitreden
Du willst mitdiskutieren?
Werde kostenlos Mitglied, um mit anderen über heiße Themen zu diskutieren oder deine eigene Frage zu stellen.