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Jenny

****ody Mann
11.778 Beiträge
Themenersteller 
Jenny
Ich kam zu der Trauerfeier fast zu spät. Und ich hatte wie so oft vergessen, dass Jenny auch da sein würde. Sie stand noch vor der Kapelle und hatte anscheinend auf mich gewartet. Viel redeten wir erst nicht, umarmten uns, ihr kamen Tränen, mir auch. Dann schlichen wir hinein, weil es bereits mucksmäuschenstill war und sie fragte, noch bevor wir in der letzten Reihe zwei Plätze fanden, wie es mir ginge. Wenig später reichte sie mir ein Taschentuch und ich stellte fest, dass ich ihre Nähe als wohltuend empfand, wie die zu einer besonders guten Freundin.

In der Gaststätte saß sie erst am Tisch der Familie neben Richard, kam aber zum Essen mit ihrem Teller zu mir herüber. Wie immer musste ich ausführlich von mir erzählen, es interessierte sie einfach alles. Es gab Blicke, die uns galten, von Jahr zu Jahr wurden es aber immer weniger. Selbst Richard, mit dem ich zuvor ein paar freundliche Worte gewechselt hatte, nahm keine Notiz davon. Dabei war das einst ein ganz normales Bild, dass sie bei mir saß und dass sie mir von einem Buffet etwas mitbrachte, sich bei mir einhakte oder ihr Kopf an meiner Schulter lag.

Dann jedoch wurde es zur Normalität, dass sie bei einer Vielzahl von Anlässen einen großen Bogen um mich machte, manchmal sogar ging, wenn ich verspätet kam. So oft ich den Augenkontakt mit ihr suchte, blickte sie im besten Fall noch durch mich hindurch, nach Möglichkeit ließ sie zehn Schritte oder mehr Abstand zu mir. Ich hatte ihr das Herz gebrochen. Ich weiß noch, wie erstaunt sie war, als ich ihr an einem Sonntagnachmittag im September auf der Straße vor ihrem Haus erklärte, dass ich das mit uns nicht mehr könnte und ich erinnere, wie lange sie brauchte, um zu verstehen, was ich ihr da zu erklären versuchte und sie noch meinte, dass es doch nie Streit gegeben hätte und dann schwieg, weil sie mir ihre Tränen nicht zeigen wollte und ging, obwohl sie sicherlich noch Fragen gehabt hätte.

Ich glaube es waren drei Jahre, während derer sie mich nicht beachtete, was in etwa der Dauer unserer vorherigen Beziehung entsprach und es bedurfte einer nächtlichen Begegnung in der Küche eines kirchlichen Veranstaltungssaals, ich vermute es war der Vierzigste von Jörg. Sie hatte sich einen Kaffee geholt und ich wollte an die Nachtsuppe. Sekundenlang schwiegen wir uns an und ich sah, wie sie mit sich kämpfte, dann endlich ein brüchiges „Du“ herausbrachte, mir ihre linke Faust gegen meine Schulter schlug, bestimmt zehnmal, tief Luft holte und dann weinte. Ich müsste lügen, würde ich behaupten, diesen Moment nicht längst herbei gehofft zu haben. Ich war sehr berührt, wusste aber auch nicht, wie ich sie trösten sollte und dann löste sie es selbst, indem sie mich barsch aufforderte, sie endlich in den Arm zu nehmen, wobei sie mich einen Blödmann nannte. Ich empfand diesen Augenblick als große Gnade, unglaubliche Lasten fielen von mir ab. Ist schon sehr lange her, aber ich sehe es vor mir, als wäre es erst gestern gewesen.

Nach dem Essen und einem Schnaps mit einer kleinen Runde der Trauergäste verabschiedete ich mich, traf aber vor der Gaststätte noch auf zwei Raucher, die ich lange nicht gesehen hatte. Ich gesellte mich auf eine Zigarette zu ihnen, als Richard heraus kam, wohl einfach frische Luft brauchte. Wir schwiegen einen Moment lang, er war viel näher dran an der Trauergeschichte und wir umarmten uns still. Dann musste ich ihm versprechen, ihn und Jenny bald mal wieder zu besuchen. Wir könnten zusammen Etwas kochen, schlug er vor. Natürlich werde ich das tun, ich komme seit 20 Jahren gerne zu den beiden und ich bin sehr froh darüber.


m.brody
2018/2021
*********zier Mann
1.026 Beiträge
Ach Brody, niemand erzählt so stille, kleine Geschichten voller Liebe so schön wie Du. Man muss beim Lesen irgendwie innehalten und für einen Moment diese Welt verlassen, weil man für eine kleine Weile Teil der Deinen wird.
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