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Kleine Steinchen hin und her schieben

****ody Mann
11.743 Beiträge
Themenersteller 
Kleine Steinchen hin und her schieben
• „Was ist das nur, dass ich manchmal das Gefühl habe, du seist auf der Flucht vor mir?“ Der Frau war es anzusehen, wie sehr ihr dieses Gespräch und die dürftigen Auskünfte des Mannes Anfang Dreißig nahe gingen. „Ich glaube, du planst gerade den Ausstieg aus unserer Beziehung. Ist das so?“ Sie blickten sich an, ihr Gesicht stellte weiterhin die Frage, doch an seinen Augen lies sich nichts ablesen, weder Wut noch Enttäuschung. „Meine Güte, beziehungsschwierig heißt doch nicht, dass es gar nicht geht“, fuhr sie resignierend fort, während er in seinem Sessel zu versinken drohte. Er dachte daran, einfach aufzustehen und zu gehen. Er wusste, wie das lief. Dann hätte er seine Ruhe. Die Verbindungen waren ohnehin bereits gekappt, wobei es kein aktiver Vorgang im eigentlichen Sinne war, eher hatte sich das, was zusammen hielt, einfach aufgelöst. Nicht an einem Tag, über Wochen war es immer dünner geworden, je mehr sie ihm ihre Gefühle gestand und ihn zu einem wichtigen Teil ihres Lebens erklärte. Er hatte wieder einmal nicht rechtzeitig geredet, vielleicht hätte sie es auch nicht verstanden. Seine Andeutungen waren zu vage gewesen, er hatte gehofft, dass es diesmal anders sein würde. *

Sonntage waren für den dünnen, zehnjährigen Jungen mit dem ordentlichen Scheitel schlimme Tage. Auch wenn er sich vorgenommen hatte, nach dem Mittagessen mit seinen Freunden Fußball zu spielen, rechnete er damit, „Ihn“ erst wieder nach Hause holen zu müssen. Als sein Vater um Dreiviertel Eins nicht da war, schickte ihn seine Mutter los, er wusste, wo er ihn fand, die Kneipe war nur einen kurzen Jungenspurt entfernt. Für die nächsten zwei Stunden bestand sein Sonntagsprogramm darin, sich die Versprechen des Alten anzuhören, er käme gleich, nur rannte der Junge nicht sofort zu seiner Mutter, weil er wusste, dass das nicht eintreten würde. So blieb er in der Nähe, saß an der Bordsteinkante zur Straße und schob lose Steinchen mit dem Fuß hin und her oder er zählte die Autos, die vorbei fuhren. An Sonntagen waren das nur wenige, weil man ja anderswo zu Tisch saß. Er war in seiner Welt, in der die Sonntage immer so aussahen.

Mit Sechs hatte der Junge den nächtlichen Auszug aus der Wohnung, die er mit seinen Eltern und weiteren, jüngeren Geschwistern zwei Jahre lang bewohnt hatte, noch als Abenteuer empfunden. Es war 1971 und die erste Unternehmung seines Vaters lag gescheitert hinter ihnen. Was danach kam, stellte sich ihm nicht als Wohnungslosigkeit dar, es war ja Frühsommer und sie lebten für die nächsten Monate in einer kleinen Gartenlaube. Aber nicht mehr lange, einige aufgeschnappte Sprüche von Verwandten oder Bekannten zu seiner Erklärung später, und er verstand allmählich, wie Not aussah, denn da steckten sie mittendrin. Als eine neue Wohnung gefunden war, ließ es sich erst gut an. Der Vater hatte wieder eine Arbeit und auch die Mutter war in Teilzeit beschäftigt. Doch bereits nach drei Monaten saß die Familie erneut in der Patsche, sein Vater blieb zu Hause, war irgendwie krank und abends hörte der Junge die Gespräche seiner Eltern durch den offenen Türspalt von seinem Zimmer aus, hörte die Mutter weinen und seinen Vater Rechtfertigungen vorbringen, warum diese neue Arbeit auch nicht zu ertragen sei, es war die Schuld der Kollegen, war es immer.

Der Junge war etwa Zehn und hatte bereits unzählige Arbeitsstellenwechsel seines Vaters miterlebt, als es vermehrt zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen den Eltern kam. Meist, wenn sie ihn abends aus der Kneipe holte, manchmal direkt noch auf der Straße und einmal kam der Junge am frühen Abend von einem Freund, als er sie vor dem Hofeingang traf. Er sprang dazwischen, bis die Eltern voneinander abließen. Er wusste fast zu jeder Zeit, wieviel Geld der Familie noch zur Verfügung stand und er wusste, welchen Teil davon sein Vater in der Kneipe lassen würde. Er musste es nicht von der Mutter erfahren, dass der nächste Einkauf für die Familie um den Zwanzigsten herum vorläufig der letzte sein würde, wenn nicht von irgendwoher Geld käme. Einige Male hatte sein Vater ihn bereits mit der U-Bahn quer durch die Stadt zu den Großeltern mütterlicherseits geschickt, ihm immer versichert, er hätte telefonisch alles geklärt und dann stand er bei ihnen vor der Tür und sah doch die Überraschung in den Gesichtern der alten Leute über seinen Besuch. Mit umständlichen Worten, tief beschämt, erklärte er, dass die Familie Geld bräuchte, bis seine Oma ihn in den Arm nahm und ihm den Rest ersparte. Ein Gerichtsvollzieher klebt nur den Kuckuck, wenn es etwas zu holen gab, das hatte er herausbekommen. Davor suchte er immer wieder nach diesem Aufkleber, unsinnigerweise sogar an seinen Spielzeugen. Zeitweise war er dazu übergegangen, den kleinen Plastikkoffer mit seinen Matchbox-Autos unter dem alten Kachelofen in seinem Zimmer zu verstecken, weil er Angst hatte, diese Klebemarke irgendwann daran zu entdecken, wenn er aus der Schule kam. Er bekam nie einen Kuckuck zu sehen. Es gab ja auch nie etwas zu holen.

Das Unglück seiner Mutter, die ständige Sorge um das Wohl der Kinder, kaum einen Tag durchatmen zu können, er teilte es zu jeder Zeit. Er selbst schuf sich eine Fantasiewelt, wobei es ihm die Hauptfigur seines Lieblingsbuches, Tom Sawyer, besonders angetan hatte; dessen Motiv des Versteckes auf einer Flussinsel wurde für ihn zu einem zeitweisen Fluchtort. Am schlimmsten war es, wenn sein Vater sich fein machte, sein Sakko anzog und darüber den dunklen Mantel trug, um fortzugehen. Sein Vater war ein großgewachsener, kräftiger Mann, der viel Wert auf sein Erscheinungsbild legte. Er trug immer Krawatte und seine Mutter sagte nichts, verschwand in der Küche, doch der Alte wollte sich jedes mal mit einem Kuss verabschieden und sprach manchmal Liebesbezeugungen dabei aus, die die Mutter nicht erwiderte. Den Jungen ekelte der Anblick, wenn er das sah und trotz seiner Jugend verstand er, wie seltsam dieses Gebahren seines Vaters war und er fragte sich mit einer doch wieder kindlichen Sicht, worin diese Liebe überhaupt bestand, die sein Vater derart zur Schau stellte.

Manchmal brachte er für seine Mutter ein Eclair auf dem Heimweg von der Schule mit, wenn er sich durch Besorgungen für ältere Damen ein paar Groschen verdient hatte. Er glaubte, sie würde so für einen kurzen Moment alles vergessen können. Sie sprachen nicht darüber, er nahm an, sie hätte ihm gerne alles erklärt, doch sie konnte es nicht und er war sich sicher, sie hätte ihm und seinen Geschwistern das alles ersparen wollen. Trotz seines Alters war ihm klar, dass sie ihre eigenen Wünsche tief vergrub, einen Urlaub, ein paar stille, sorgenfreie Momente. Sie schämte sich und er verstand, dass sie deshalb schwieg und nur weinte, wenn sie dachte, es würde niemand sehen. Er hasste seinen Vater dafür und hoffte, seine Mutter würde sich irgendwann von ihm trennen. Was er abends manchmal hörte, von einem Strick, den sich jemand nimmt, das wollte er seinen kleinen Geschwistern nicht erklären, wenn sie in sein Zimmer schlichen und mit ihm den Rat der Kinder abhielten. Nein, er mochte das nicht glauben, sie würde sie nicht allein lassen, so versicherte er es ihnen flüsternd, auch wenn es ihm große Angst machte.

Jahre später, als der Junge bereits Jugendlicher war und er seine Teilnahme an einer Klassenfahrt gefährdet sah, weil ein Inkassounternehmen das geliehene Geld für einen missglückten Geschäftsversuch seines Vaters teilweise eingetrieben hatte, stellte er ihn zum ersten Mal zur Rede. Die Worte dafür hatte er längst beisammen und um Mut ging es ihm auch nicht. Es kam zu einer Auseinandersetzung, alles brachte der Junge heraus und packte es in Vorwürfe, die seinen Vater auf das empfindlichste treffen sollten. Als der große Mann auf ihn losging, wich er nicht zurück, schlug stattdessen in seiner Wut zu. Er zeigte keine Tränen, obwohl er am Unterliegen war und seine Mutter ihn retten musste. Ab da mischte er sich ein, auch wenn seine Mutter es immer wieder zu verhindern suchte.

• Der Mann, der noch immer in dem Sessel saß, wusste, welche Frage die Frau ihm als nächstes stellen würde. Er sah nur die Endstation und keinen weiteren Weg, den es gemeinsam zu gehen gab. „War es das“, wollte sie wissen, als er schwieg. Er konnte es nur bejahen, alles andere ergab für ihn keinen Sinn. Es gab keinen Weg zurück zu ihr. Gerne hätte er ihr etwas Besseres erzählt, weil er sie wirklich mochte. Stattdessen aber wünschte er sich, auf dem Bordstein einer ruhigen Straße zu sitzen und mit dem Fuß kleine Steinchen hin und her zu schieben. *

m.brody
2019 / 2020
*********lerin Frau
2.028 Beiträge
Nicht an einem Tag, über Wochen war es immer dünner geworden, je mehr sie ihm ihre Gefühle gestand und ihn zu einem wichtigen Teil ihres Lebens erklärte. Er hatte wieder einmal nicht rechtzeitig geredet, vielleicht hätte sie es auch nicht verstanden. Seine Andeutungen waren zu vage gewesen, er hatte gehofft, dass es diesmal anders sein würde. *

Es mag Erklärungen dafür geben, aber keine Entschuldigung. Es ist einfach nicht ok, wenn ein lange erwachsener Mann eine Frau so behandelt und das durch seine Kindheit legitimiert.
****ody Mann
11.743 Beiträge
Themenersteller 
Ich gebe Dir Recht, @*********lerin , dieses Verhalten ist für einen erwachsenen Mann (Menschen) nicht zu entschuldigen. Ich glaube, das tut der Protagonist auch gar nicht. Er legitimiert es nicht.

Ich bin es, der zwei (zeitlich getrennte) Stränge erzählt. Und ich habe versucht, zu schildern und so wenig wie möglich zu werten.
*********rgara Frau
7.194 Beiträge
Eine Suche nach der Ursache für ein Verhalten kann hilfreich sein , wenn man es verstehen und vielleicht auch ändern möchte.
Es ist keine Entschuldigung. Aber es kann ein Wegweiser sein.
****68 Frau
2.442 Beiträge
Mr. Brody, ein Meisterwerk. DANKE!
Ich möchte Dich ein Kurzgeschichtenbuch veröffentlichen sehen!
lieben Gruss, Lou
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