Alle, die mit uns auf Kaperfahrt gehen
Von Männern und ihren BärtenUnser Alltag isr arm an Abenteuer geworden. Gerade für Männer Ü50 gibt es kaum noch echte Herausforderungen. Die Kinder – aus dem Haus; das Haus – abbezahlt; die Partnerin – im Urlaub in der Karibik; der Hund – pennt meist in der Ecke. „Dann geh doch zu Netto! Nö, da ist auch selten was los, wenn die Kassiererin nicht aussieht, wie ein Topmodel. Und wenn sie so aussähe, wäre sie im Fernsehen, und nicht bei Netto.
Also, was tun gegen die Langweile, die gähnende Ödnis und die Fantasielosigkeit eines gesettelten Daseins voller Fragen und Krisenintervention in einer Welt, wo echte Männer nicht einmal der eigenen Brut widersprechen dürfen?
Als Sofortmaßnahme des Hormonkollaps: einen Bart stehen lassen, natürlich einen gepflegten, nicht so ein Zottelding wie Catweazel oder der Gruppenfuzzi der Selbsttherapie der 60ziger-Jahre.
Wir kennen das aus der römischen Antike des Kaiserreiches. Senatoren nach der Entmachtung ließen sich einen Bart stehen und sich mit diesem in Marmor hauen, und zeigten damit: „Ich hab zwar nichts zu sagen, aber die Haare schön.“
So ein Bart signalisierte: Verwegenheit, Virilität, Abenteuerlust – und die Botschaft an die Frauenwelt: „Mir doch egal; kümmert euch um die eigenen haarigen Angelegenheiten!“ Also Souveränität und Freiheit von der Rasierschaum-Industrie und der Konsumwirtschaft der Drei-Klingen. Ein Statement gegen den heutigen Enthaarungswahn. Zurück zur Natur des Mannes, der noch Säbelzahntiger, Bären und Grillwürstchen erlegen könnte, wenn er es denn wollte und sich die Gelegenheit böte. Ein stiller Protest gegen die Quote der Intimrasur oben.
Der Dreitage-Bart ziert den Bad-Boy, der darauf aufmerksam macht, dass er bei Nichtgefallen zur Not auch die Handtasche der Bitch nähme.
Der Vollbart hingegen signalisiert: „Ich würde auch auf Kaperfahrt gehen oder die Wälder Duriens durchstreifen bei Wind und Wetter, wenn ich nicht in einer Stunde diesen wichtigen Geschäftstermin hätte.“ Ein Vollbart hat zunächsteinmal nichts mit Frauen zu tun, die missdeuten das immer. Es ist der ewig junge Wilde und Barbar im Mann, der sich da durchwächst und in Erscheinung tritt.
Der Ü50-Graubart allerdings bedeutet: „Komm, erzähl mir nix! Ich habe schon alles gesehen. Und Gandalf der Graue war mein Patenonkel, der gelassene Almöhi der Alpen ist mein Vorbild. Es gilt nur noch meine Rente gegen Horden böser Finanz-Trolle und Beamten-Orks zu verteidigen und die buckelige Verwandtschaft.
Insofern sollten Männerbärte genommen werden als das, was sie sind: der letzte Aufstand gegen alles, was allzu glatt und angepasst erscheint. Der nächste Winter kommt bestimmt und die nächste Luxuskreuzfahrt ist auch schon in Planung! Wer geht also mit auf Kaperfahrt?
©Clairvaux2018