Wie die Situation es hergibt
Nein, was hab ich aber auch für ein Glück, dass ich völlig unbedarft mit nix wie Menschenverstand und ein bisschen Lebenserfahrungs ins aktive BDSM reingesegelt bin.
SSC, Safewort, Ampelcode, Tabu- und Neigungslisten - alles erst hinterher im Forum entdeckt und dann gegoogelt.
Die Tabusliste meines ersten Dieners weiss ich nicht mal. Ich glaube, der hatte gar keine. In anderthalb lustvollen Jahren war sie nie ein Thema. Wir haben uns rangetastet, langsam und achtsam, und mal ging was schief oder kam schlecht an, war aber halt kein Weltuntergang. Er verzieh mir meine Fehler und ich seine.
Hier war ja irgendwo das schöne Beispiel, dass man einem ja nicht gleich ins Gesicht pinkeln muss. Ein paar Tropfen an anderer Stelle machen den Menschen nicht kaputt, und je nach Reaktion kann es weitergehen.
Des Meinen Einstieg ins Thema NS waren wenige Tropfen, mit viel Sprudel aufgefüllt in einem Sektglas. Er nippte dran, hielt es für überleb- und überwindbar, und war erstaunt, wie schwuppdiwupp und leise da ein "kann ich mir nicht vorstellen" verschwinden kann. Hätte er schon beim Anblick gewürgt, hätte ich es halt als schlechte Idee wieder verworfen. Wäre auch kein Drama, und so war es deutlich schöner als ein Häckchen auf ner Online-Liste.
Oder Ohrfeigen. Nur angedeutet, ein leichter Backenstreich, begleitet von einem geflüsterten "Patsch". Wen das ankratzt, den haue ich nicht fester. Wenn aber leuchtenden Auges ein "Au ja!" kommt - dann geht da was.
Ohne Listen abzuhaken, kann man doch auch so viel erfahren. Im einschlägigen Laden shoppen gehen, und Sub darf sich was wünschen. Oder eine Sache eben wegwünschen. Oder ich schicke den Mann allein durch den Laden, er soll mir so was und so was fotografieren und sonst was Nettes, wenn er was sieht. Interessante Bildersammlung.
Zur Zeit lerne ich gerade jemanden näher kennen, und wie bei dem Meinen habe ich, nun ja schlauer, das Thema rasch abgehakt. Bei mir gibts nämlich nur eine Tabu-Liste, nämlich MEINE. Und darauf steht nur ein einziger Punkt:
"Ich mache dich nicht kaputt".
Damit meine ich, dass ich ihm weder körperlich, noch seelisch, noch sozial oder jobmäßig bleibenden Schaden zufüge. Er muss mir vertrauen, dass ich ihn ganz lasse und ich ihm, dass er spricht, bevor was bricht.
Ich erfahre langsam und im Tun, wo etwas liegt, was nicht gut geht. Da definiere ich nicht Tabu oder Grenze oder gehtnicht oder vielleicht doch. Wie soll Sub mir das sagen können? Der Rohrstock kann in anderer Hand furchtbar sein. Oder meine Ohrfeige plötzlich doch negativ triggern. Was geht, was nicht, ist selten in Stein gemeisselt.
Ich habe Tabus fallen und purzeln, plötzlich entstehen und wiederaufleben sehen. Nichts im Leben ist beständiger als der Wandel.
Darum erfrage ich vielleicht mögliche gesundheitliche Aspekte, erkundige mich nach Allergien, bevor die frische Haselnussrute lossaust (evtl indirekt durch Anbieten eines Kekses), deute eine Berührung mit der Brennessel erst an, bevor sie tatsächlich geschieht, erzähle von Erlebenissen, die ich toll fand und die mich kickten, und habe so bislang noch nie sehr falsch gelegen.
Es hat schonmal nicht gepasst, war schonmal unerotisch weil nicht ganz übereinstimmend, aber nie ein dramatischer Abbruch oder gar Absturz.
Ich glaube immernoch, dass der trügerische Schein von Ampel, Safewort und Liste gefährliches Halbwissen verursacht, und möglicherweise den offenen Blick für
einander - von Dom zu Sub wie auch umgekehrt - trübt.
Ohne all das fühle ich mich sicherer, im direkten Austausch trauen wir uns mehr und finden auf Wegen, die wir sonst vielleicht nicht betreten hätten, doch manch überraschend schönes Blümelein.