Notstand
Bickelmanns 9. Abenteuer
Notstand
Als Herbert zu später Stunde und unter dem Einfluss etlicher Schnäpse nach Hause wankte und Flöter verfluchte, der nicht zum Stammtisch erschienen war, ging es ihm gar nicht gut. Gegen halb neun hatte Karlfried angerufen und mitgeteilt, er und einige andere Ratsherren müssten noch dringend ein paar städtische Bauschäden in Augenschein nehmen. Das bedeutete, sie untersuchten selbstlos in einer schweren Nachtschicht die feuchten Schwachstellen des Personals in der Rosi-Bar.
Seine Stammtischkumpels hatten Herbert derweil die Hölle heiß gemacht. Die Oma im Knast, der drohende Verlust der Erbschaft, die Schadenersatzklagen: das ganze Dorf machte sich lustig über ihn, den Pantoffelhelden Hans-Herbert-Bickelmann. Er fühlte sich ohnmächtig einem schrecklichen Schicksal ausgeliefert, obwohl er doch an all den Kalamitäten völlig unschuldig war.
„Haschd halt die falsch Fraa geheiret!“ hatten seine Kumpels ihn ausgelacht. „Hat doch jeda gewusst was das Eva fier e Bäsem is. Genau wie sei Modda! Der ihr Willi hott jo aa nix ze lache gehät. Awwer die Mitgift, die hosche genumm!“
Mitgift? Scheiss auf die Mitgift! Ein Obstbaumgrundstück samt Gartenhäuschen…
Der Alkohol rumorte schwer in Bickelmanns Magen und er brauchte etwas Ruhe. Als er die Kirche erreichte, setzte er sich auf die Sandsteintreppe des Pfarrhauses und beschloss ein wenig zu rasten. Innen schien alles dunkel. Der fromme Pfarrer schlief sicher schon und Herbert spielte einen Augenblick mit dem Gedanken, seinen Seelenhirten herauszuklingeln. Er stützte die Ellenbogen auf seine Oberschenkel, den Kopf in die Hände und weinte in grenzenlosem Selbstmitleid ein bisschen vor sich hin. Seine erinnerungsschwere Tränenflut führte ihn weit zurück in die Vergangenheit und vor seinem inneren Auge tauchten die traurigen Umstände seiner Vermählung wieder auf.
„Du Willi, wenn node däm Eva sei Kavalier kummt, de Ding, wääsche wääne ich männ? Vun Höhfrösche der…“, sprach Ottilie Busch resolut zu ihrem Gemahl „do helfe mir awwer heit emol e bissel no. Das wärd jo nie was, wenn mir uff dänne waade misse!“
„Un wie willsche das mache, du aldie Beißzang? Willsche dich denäwe stelle und denne zwä weise wies geht?“, lachte Willi.
„Nä.“, sagte Oma Otti, die damals noch gar keine Oma war, „ des mache mir so: Wenn der node kummt schigge ma ne enuff beis Eva in die Stubb un do schleich ich hinnaher un sperre die Stuwwedier zu. Do wolle ma doch emol siehn, ob die zwä ned uff dumme Gedonge kummen…“
„Du hasch se jo nimmi all, Oddi. Jetzt loss doch denne Bub.“
„Ei isch losse ne jo. Er soll jo sogar, awwer vun selwat macht der Droddel jo nix! So krien mir das Eva nie foat. Das Määde is schun fünfezwanzich un bis jäz hats noch kenner genumm.“
„Das, wääschd du doch ned“, lachte Willi meckernd.
„Eijoh wääs ichs. Ich han doch gefroot. Das Eva is noch Jungfrau.“
„Oh leck“, meinte Willi „was häm mir do nur in die Welt gesätzt. Das do hätts bei uns domols ned gäb. Alla, mach wie de denkschd, awwer beschwär dich hinnaher ned.“
Alles entwickelte sich so, wie die intrigante Ottilie es vorhergesehen hatte. Herbert und Eva wurden in der Stube eingeschlossen. Da auf Herberts Klopfen zu später Stunde niemand öffnete und die Alten anscheinend schon schliefen, kamen die beiden, wie von Oma vorausgesehen, auf Ideen, wie sie sich die Zeit vertreiben könnten. Als Otti um fünf Uhr morgens lautstark die Zimmertür aufschloss, Herbert die Bettdecke wegzog und dem pudelnackten Bickelmann und der puterroten Eva zur Verlobung gratulierte war der Drops gelutscht.
Dann warf sie Herbert hinaus, krakeelte lautstark etwas von Vertrauensmissbrauch, vorehelichem Geschlechtsverkehr und versicherte, damit habe es nun bis nach der Eheschließung abgepfiffen. Das sei schließlich ein anständiges Haus.
Drei Monate später war Herbert glücklich verheiratet. Flugs setzte er mit seiner Angetrauten zwei Kinder in die Welt und die Oma war endlich Oma. Die Kinder wuchsen heran, machten Abitur und setzten sich alsdann zum Zwecke des Studiums, das Herbert finanzieren durfte, ins feindliche Ausland ab. Jessica studierte nun bereits im 14. Semester Sozialpädagogik und hatte schon vier Urlaubssemester für Praktika in diversen Frauenhilfeprojekten verbummelt. Moritz begann nach langem Selbstfindungsprozess gerade ein Psychologiestudium, nachdem er Wirtschaftsinformatik und Biologie als wenig zukunftsträchtig erkannt und abgebrochen hatte.
Herbert selbst verdiente sein Geld als Staplerfahrer bei einem örtlichen Industriebetrieb und Eva arbeitete halbtags im Supermarkt an der Kasse. Natürlich reichte das Geld hinten und vorne nicht, wodurch man ständig bei Oma Otti in der Kreide stand. Die hatte nach dem Tod von Opa Willi die drei Mietshäuser geerbt, die selbiger in jahrelanger Arbeit schwarz gebaut hatte. Und eine schöne Rente gabs noch obendrein. Oma finanzierte mit Lust ihre Enkel, nicht ohne ständige Seitenhiebe auf die Losereigenschaften des Erzeugers. „Der kann jo ned emol soi Kinna aanstännich in die Schul schigge. Kummen emol här ihr Kinna, eier Oma macht das schon.“
Bickelmann schüttelte es auf der zugigen Treppe des Pfarrhauses. Er spielte gerade mit dem Gedanken, sich von der Schwarzbachtalbrücke zu stürzen, als hinter ihm im Dunkeln leise die Haustür aufgeschlossen wurde.