21. Dezember –das wahre Erbe der Menschheit
Stellt euch vor, Leute, es hätte sie nie gegeben – die Maya, dieses hoch entwickelte, weise Volk Mittelamerikas. Es wäre uns heute, im Jahre 5050 der neuen Zeitrechnung, niemals dieses unschätzbare Kleinod an Erkenntnis über die sexuelle Lebensweise der Norddeutschen beschert worden. Damals, am 21. Dezember 2012, glaubte die ganze Menschheit den Weltuntergang miterleiden zu müssen. Heute wissen wir, dass diese Vorhersehung sich nur auf einen winzig kleinen Teil der Erde, auf das Gebiet der norddeutschen Tiefebene, bezog. Und der Mittelpunkt des Geschehens, wie wir heute wissen, lag dort, wo - von einer meterdicken Gips- und Ascheschicht befreit – die wohlkonservierten Überreste der rund 200 Menschen davon zeugen, wie man das Ende allen Lebens zum Abschluss bringen wollte: wild und hemmungslos.
So oder ähnlich muss es sich wohl abgespielt haben: Es schien mäßig kalt an diesem Tag gewesen zu sein, als sich die Gruppe zum Weltabschiedsfest in diesem Haus traf, das über drei, vier Stufen in einen Raum führte, der wohl eine feierlich geschmückte Kneipe gewesen sein mochte. Man fand Stapel von Winterkleidung in den Ecken und es schien ein außergewöhnlich exzessives Fest im Gange gewesen zu sein. Dumpfe, schwere Musik beherrschte wohl die schwül-heiße Atmosphäre und der Alkohol floss in Strömen, wie die Flaschenfunde heute belegen. Alles war auf die Stunde Null fixiert. Erstaunlich ist, dass den Raum eine handbreite weiße Linie durchzog, wie die Untersuchungen ergaben. Man deutet das heute als mystisches Zeichen der Mayas, ist sich aber nicht einig, wer dieses folgenschwere Signum des Untergangs dort damals aufbrachte. Mitten in diesem Treiben der spärlich in Leder, Lack und Latex bekleideten bis völlig nackten Menschen muss es kurz vor Ausbruch des gewaltigen Infernos zu intensiven Vereinigungsritualen gekommen sein. Ein dumpfes Grollen und heftiges Vibrieren des Bodens waren die Vorboten der Endzeit. Waren es nun Lust-oder Angstschreie, die die Menschen sich zu vereinigen trieb – man weiß es nicht. Sicher scheint jedoch, dass just auf der weißen Linie, diesem Äquator der Sünde und Lust, mit einem ohrenbetäubenden Lärm der Boden zu bersten begann, Holz brach, die Theke schwankte, fiel zur Seite und das Dach des Hauses gab den Blick auf einen nachtschwarzen Himmel frei. Aus der gähnenden Spalte im Boden schossen giftige Schwefeldämpfe und – Geschossen aus tausenden von Kanonenrohren gleich – Urgestein und Asche empor, hinauf in den Nachthimmel und senkte sich, nur Sekunden später, tonnenschwer auf die kopulierende Menschenmenge nieder. In sich verkeilt, umschlungen fand man sie nun, nach 3038 Jahren, in diesen ekstatischen Verrenkungen wieder – ein Abbild des Moments, ein Zeugnis wahrer Lebenskunst in der letzten Sekunde der Menschheit. Unter der versteinerten Theke fand man noch ein eisernes Amulett mit der Inschrift „Anja, es war ein wahrhaft geiles Fest“.
Was ist Pompeii – im Vergleich zu diesem Ereignis, das wir in Gedenken an die wahren Freuden des Lebens nun für immer unseren Nachkommen in Ehren halten werden. Schade, dass ich nicht dabei sein konnte...