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Es stinkt so geil

****ody Mann
11.776 Beiträge
Themenersteller 
Es stinkt so geil
Mittig in Berlin, eine einschlägige Lokalität für BDSM. Ich war es langsam leid, länger zu warten und weil die Hübsche neben mir auch nicht noch eine Tasse Kaffee trinken wollte, nahm ich sie an der Hand und wir machten uns auf den Weg, dem Spielbereich einen Besuch abzustatten. Das Paar in gediegenem Outfit war nun schon zum zweiten Mal hineingegangen und musste sich dann eben mit unserer Gesellschaft abfinden.

Sie ließen sich erst gar nicht stören, wobei unsere Blicke, besonders meine, schon für Sekunden starr auf dem Bestrafungsszenario mit der über den Strafblock gefesselten Frau ruhten. Ich wollte ja auch gerade selbst loslegen, als mein Weltbild unfreiwillig ins Wanken geriet. „I hob des genau gesehn, wies du die Schuhe in dem Lodn ongestarrt host. Hia nimm meine Strofe entgegen! Zwonzig solln es sein“, war eine klare Ansage von ihm, die ich so gut niemals hinbekommen hätte. Liebend gerne hätte ich applaudiert, denn das fand ich doch bühnenreif und sensationell ulkig. Sowas geht auf Berlinerisch gar nicht.

Woanders mitten in Berlin bin ich beim Müßiggang; ich flaniere. Die Schauspielerin, die ich aus diversen Münchner Krimifolgen kenne, deren Name mir aber auch nach Tagen nicht einfallen will, schaut von ihrem Cappuccino auf, als ich an dem Café vorübergehe und denkt wohl, das ist doch der … Aber der bin ich nicht. Es könnte nur sein, dass ich einer wär, den man kennen müsste, weil hier laufen so viele davon herum. Manchmal grüße ich einen Menschen, den ich erst für eine Person halte, mit der ich schon einmal zu tun hatte; für den Moment will es mir nur nicht einfallen, woher wir uns kennen könnten, bis mir dann klar wird, dass ich das Gesicht aus dem Fernsehen kenne. Natürlich werde ich zurück gegrüßt, nur weiß ich eben nicht, ob das aus reiner Höflichkeit geschieht oder, ob da wieder einer denkt, den müsste ich doch kennen.

Hier muss man leben, denn die anderen tun es ja auch, scheint die vor Jahren herausgegebene Devise zu sein. Und man muss es hier schön finden, denn sonst wären Die ja gar nicht hier. Dabei stinkt es an allen Ecken. Ich bewege mich in einen Gestank hinein und noch während mein Gehirn irgendeinen Grund dafür finden will, ändert sich der Geruch der Umgebung nach ein paar Metern und wechselt vielleicht von altem Erbrochenen zu Tote Ratte bei 33 Grad im Schatten. Die, die hier unbedingt hinwollten, bemerken das nicht oder sie finden es auf eine absonderliche Art interessant. Den, der sich das nicht ausgesucht hat mit dem Hiersein, den stößt das ab, wie es ist.

Zum Karneval der Kulturen strömten Massen vornehmlich junger Leute unterschiedlicher Nationalitäten, deren sichtbare Gemeinsamkeit das farbenfrohe Spiel ihrer Tätowierungen war, ans Hallesche Tor nach Kreuzberg und walkten sich durch Massen von Dreck. Ich wollte mich nicht zu meiner Berliner Herkunft bekennen, aber alle Anderen fanden`s geil. Der CSD oder die Fan-Meile, irgendwie war`s ja gleichzeitig und für manchen gar nicht mehr zu unterscheiden, schrecken wohl auch niemanden mehr ab. Wenn die Transe im Suff das Tippeln, das Stunden zuvor im Nüchternen bestimmt noch grazil ausgesehen hat, nach vier Bürger Bräu, drei Kümmerlingen und zwei Mojito nicht mehr hinkriegt, sich saublöd auf den Arsch setzt und sich dabei `ne abgebrochene Flasche einspießt, kann ich mich nicht mehr freuen, dass das in dieser Stadt veranstaltet wird. Ich kann es nicht verhindern, dass sich die Textzeile eines alten Rapsongs in meinen Kopf einschleicht, „Broken glass everywhere, People pissin' on the stairs, you know they just don't care .... Ich will auch gar kein rosa T-Shirt mehr haben von diesem CSD, was keinesfalls an den hinter Büschen und Sträuchern sich begrabschenden, schnellfickenden Jungs und Mädels liegt.

Aber es ist ja geil! „Es ist so geil hier“, entnehme ich der laut geführten Unterhaltung zweier junger Frauen mit westfälischem Tonfall, die an einem von drei Tischen vor einer Nullachtfuffzehn-Kneipe in irgendeiner Nebenstraße irgendeiner Einkaufsmeile sitzen und ich laufe extra langsam, um noch mitzubekommen, warum das denn so geil hier ist, doch ich kann nur noch mitnehmen, dass es total gut ist, weil es irgendwie cool hier ist. So anders halt als anderswo.

In einer Vortragszusammenfassung für eine Gastdelegation aus einer chinesischen Provinz, die unglaublich schlecht ins Englische übersetzt war, las ich kürzlich, dass Berlin sein Trinkwasser für dreieinhalb Millionen Menschen komplett innerhalb der Stadtgrenzen gewinnt und ich dachte mir noch voller Stolz, wie das wohl auf die verdorrenden Asiaten wirken muss, bis ich einen Absatz später auf „250.000 dog emptyings per day“ stieß. Im Kreise der hinter mir sitzenden Fachleute sorgte diese Formulierung und ihre Übersetzung für Heiterkeit. Bei mir nicht. Ich wander aus nach Bad Münder am Deister. Besser, ich fange gleich an zu packen.


m.brody
© 2014
****ody Mann
11.776 Beiträge
Themenersteller 

*********sbar Paar
186 Beiträge
Zurück aus Holland haben wir ähnliche Gedanken zu Berlin und doch kehren wir zurück und bald finden wir es vielleicht wieder schön 😉☀️
******olz Frau
3.929 Beiträge
Nun, lieber @****ody, wie wir beide wissen besteht Berlin ja nicht nur aus Kreuzberg, Neukölln und Hellersdorf.

Es gibt so schöne gründe Bezirke in unserer Stadt und wie ich weiß, lebst Du ja immer noch in dieser besonderen Stadt, natürlich in einem schönen grünen Bezirk, genauso wie ich und gerne sind wir doch auch mal des Nachts in diesen verruchten Bezirken unterwegs.

Nicht mehr so häufig, wie in unserer Jungend, aber ab und an schon *g*
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