Es ist eine seltsame Sache damit, andere Menschen zu fühlen. Es gab eine Zeit meines Lebens, in der war ich nicht in der Lage, Straßenbahn zu fahren. Zu viele Menschen, deren Emotionen aus allen Richtungen auf mich einzuprasseln schienen. Ein Angriff, unter dem ich zu Boden gehen wollte, ohne dass irgendeiner meiner Mitmenschen begriff, was mich quälte und warum ich so grimmig blickte. Und auch, wenn ich im Lauf der Jahre gelernt habe, mich abzuschirmen ... Es ist stets anstrengend geblieben.
Vielleicht mag ich mein Zeltlager deswegen so gern. Dort spüre ich die Emotionen der Menschen um mich herum ebenfalls, aber es ist nicht so bedrohlich wie mitten in der Stadt. Es sind keine Fremden mehr. Und wenn jemand ausstrahlt, dass es ihm nicht gutgeht, darf ich hingehen und nachfragen, trösten, helfen, anstatt mich wie sonst in der Öffentlichkeit so zu benehmen, als würde ich es nicht spüren.
Es tut mir gut, wenn ich mich nicht verstellen muss.
So dicht am Feuer brennt die Hitze meine Barrieren genauso weg wie die des Perfekten. Als die Feuerwache uns ein weiteres Mal auffordert, nach hinten zu gehen, hake ich mich ein und lasse ihn führen, und es tut gut. Warm und sicher bei ihm. Das Feuer wird größer und lauter, und ich tauche ohne Worte ein in das, was er ist. Barrieren über Barrieren, die etwas einsperren, was sich erst im Angesicht der aufflammenden und knisternden Holzscheite und vom Sturm abgerissenen Ästen aus dem Wald heraustraut.
"Es gibt da ..." Er zögert. "Es gibt da dieses Wilde in mir. Dieses ... Dominante, Aggressive."
Ich spüre ein leichtes Zittern und lehne meinen Kopf an seine Schulter. Das Feuer, das in ihm lodert, hat nur wenig mit Sex zu tun. Es ist archaischer. Kraftvoller. Zutiefst männlich, auf eine wunderschöne Art und Weise. Etwas, für das es in unserer Welt keinen Platz gibt, und hinter seinem Zittern spüre ich die Kisten und Kästen und Barrieren, die er gebaut hat, um seinen Platz in der Zivilisation zu finden und sich in jedem Augenblick seiner Existenz unter Kontrolle zu halten.
"Macht es dir Angst?", fragte ich leise und sanft. Das Feuer ist laut genug, und so dicht vor ihm fühle ich genug davon, um mein wildes, weiches Fühlen nicht länger hinter lauten und selbstbewussten Worten verstecken zu müssen.
"Manchmal schon", sagt er, und sein Zittern beruhigt sich unter der Wärme, die ich beim Streicheln seines Unterarms zu ihm hinüberschicke. "Aber ..."
"Ja?"
"Es ..." Er blickt mich an, und für einen Augenblick sehe ich in seinem Blick ein Feuer, das noch tiefer in der Erde entspringt als das große, vor dem wir stehen, das noch höher emporlodert und noch wilder verbrennen will. In diesem Blick liegt eine große Verletzlichkeit, zu groß für das, was Männer Frauen normalerweise zu zeigen bereit sind, und tatsächlich verschiebt sich der Blick nach einer halben Sekunde und wird schamvoll und ängstlich. "Es macht mir mehr Angst, wenn ich keine Angst davor habe, verstehst du?"
"Ja."
Ich schmiege meinen Kopf an seine Schulter und denke nach, während ich in die Flammen starre. Aus den Augenwinkeln sehe ich den Mann, den ich zu diesem Zeitpunkt liebe, aus einem anderen Lager, von dem ich gehofft hatte, dass wir in dieser Nacht endlich zusammenfinden würden. Doch der Perfekte steht neben mir am Feuer, und er gehört zu meinen eigenen Leuten. Ich fühle seinen Schmerz. Ich fühle, wie schön das Feuer in ihm brennt und wie schade es ist, dass er es nicht lieben kann.
"Hast du eine Freundin?", frage ich.
"Nein." Er erzählt, wie lange er schon allein ist, und zwischen den Worten spüre ich, dass es an dieser Kontrolle liegt. Wie soll man lieben können und weich werden, wenn die Barrieren zu perfekt geworden sind?
"Liegt es daran?", frage ich, obwohl ich die Antwort schon kenne. "An diesem Feuer in dir?"
"Ja." Die Antwort wird heftig hervorgestoßen. "Wie ... Wie kann ich einer Frau so etwas zumuten?"
Aus den Augenwinkeln werfe ich einen bedauernden Blick dorthin, wo eben noch der Mann gestanden hat, den ich zu diesem Zeitpunkt liebte. Er ist nicht mehr da, und ich nehme an, er hat mich gesehen, wie ich hier stehe. Aber jetzt, in diesem Augenblick, will mein Herz etwas anderes.
"Denkst du das, weil du Respekt vor Frauen hast?", frage ich und spüre, wie seine Barrieren unter meinen forschenden Geistfingern zurückweichen. Er vertraut mir, auch wenn wir uns kaum kennen, und ich vertraue ihm ebenso.
"Natürlich!" Er setzt zu einer Erklärung an, doch ich unterbreche. Ich weiß nicht, wohin es mich führt, doch in diesem Augenblick trägt mich etwas, Instinkt oder Feuer, ich kenne es kaum. Es ist etwas Uraltes, was in meinem Herzen aufflammt und das wilde Rot das Lagerfeuers in kaum weniger wildes Honiggold verwandelt, das sich wie ein Feld um mich herum aufbaut und den Mann neben mir einhüllt.
"Hast du Respekt vor mir?", frage ich, drehe mich aus seinem Arm und blicke ihn an.