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Unzipped (Funeral Blues)

****na Frau
1.228 Beiträge
Themenersteller 
Unzipped (Funeral Blues)
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Stop all the clocks, cut off the telephone*

Nachdem sie mir am Sonntagabend gesagt haben, du seist tot, verließ ich die Wohnung, ging hinunter zum Fluss, setzte mich auf einen großen Stein und weinte. Schreie verließen meinen Mund und jagten dir hinterher – auf ihren Schwingen trugen sie mein Flehen und meine Verzweiflung. Einholen sollten sie dich und dir sagen: Du darfst nicht gehen, nicht ohne ein Wort, nicht ohne mich, nicht jetzt, niemals. Nie wieder hat mich eine Nachricht in Stücke gerissen, mit einem Hieb meinen Schädel gespaltet, mein Herz zerfetzt, meine Hände abgehackt.

Nach 12 Stunden kehrte ich vom Fluss zurück. Die Polizei stellte ihre Suche ein. Ich konnte nicht sprechen, nicht essen. Liebe wollte ich machen mit dem kleinen Bruder des Todes. Meine Sachen legte ich über den Stuhl, ließ die Jalousien herunter, stieg ins Bett und schlief sofort ein: am Morgen des Tages, an dem die Zeit stehen blieb. Ich weiß nicht, wo ich war. Auch an Träume kann ich mich nicht erinnern. Die Nachricht deines Todes hat mich eingefroren. Unsere Geschichte war zu Ende. Dein Tod unbegreiflich, aber gültig. Keine Revision möglich, eine Appellation sinnlos. Dienstagabend versuchten sie mich zu wecken. Mittwochmorgen kam der Notarzt. Er soll mich untersucht haben. Blutdruck, Puls und Pupillen in der Norm. Nein, kein Koma, „eher“, so meinte er, „eine Art Dornröschenschlaf“. Im Schock ist vieles möglich. Jeder reagiere auf seine Weise.

Prevent the dog from barking with a juicy bone

Donnerstagabend bin ich aufgewacht. Draußen war es dunkel. Unsere Hündin begleitete mich ins Bad. Ich trank Liter um Liter Wasser aus dem Kran. Als ich den Kopf hob, fiel mein Blick in den Spiegel. Ich erschrak: meine Haare waren weiß, meine Augen starr. Sooner leckte meine Hand. Ich sagte: „Aus.“

Silence the pianos and with muffled drum

Sie saßen alle in der Küche, tranken Tee, murmelten leise miteinander. Aus der Anlage tropfte das „Köln Concert“. Eine Weile stand ich an der Tür und beobachtete sie, wunderte mich, dass sie noch Worte hatten. Woher hatten sie sie? Wer hatte meine Worte? Gab es Worte jetzt auf Bezugsschein? Würde auch ich einen Schein bekommen? Deidre sah mein Spiegelbild in der Balkontür. Sie wandte sich nicht um, hielt mich aber im Glas fest. John sah sie an und folgte ihrem Blick. Ich zog den Stecker der Anlage, bevor ich mich zu ihnen an den Tisch setzte.

Bring out the coffin, let the mourners come.

Sie freuten sich darüber, dass ich wieder aufgewacht war. Ich nicht. Was Besonderes daran sei, dass man ein paar Stunden schlafe, habe ich gefragt. Sie sagten, dass es mehr als drei Tage waren. Und ich dachte, wie viel Zeit sie gehabt hatten, ihre Kleider zu wechseln, und dass ich in Unterwäsche zwischen ihnen saß wie eine Albinokrähe in einer schwarzen Schar. John berührte meine Haare. Teresa sprach vom Färben. „Wann ist die Beerdigung?“ waren die letzten Worte meines Bezugsscheins. Deidre nahm mich in den Arm: „Sie haben ihn gestern beerdigt.“ Das schoss mich in die Bewusstlosigkeit.

Let aeroplanes circle moaning overhead,
Scribbling on the sky the message: He is Dead


Dort sah ich beißende Bestien über Mauern mir an den Hals springen und uralte Gespenster aus Kindertagen auf meinem Bett sitzen. Kämpfend mit ihnen riss ich mir die Infusion heraus. Sie schnallten mich am Bett fest und hofften auf meine Rückkehr aus dem unbekannten Wunderland. Mrs. Dawson, meine geliebte und verehrte Handarbeitslehrerin, kam mich besuchen und fragte, ob sie mir etwas nähen solle. Nein, sagte ich, nichts Genähtes wolle ich, stattdessen solle sie mir meinen Mann herbeischaffen. „Gehen Sie ihn suchen für mich, gehen Sie: jetzt!“ Sie aber ging nur bis zur Tür, hob sie aus den Angeln, legte sie flach auf zwei Stühle, stellte eine Nähmaschine darauf und setzte einen Fuß auf das Antriebspedal. Ihr gebeugter Rücken verstellte mir die Sicht. Trotzdem war ich sicher, die Nähmaschinennadel würde ihn mir aus der Tür stanzen. Mir schien, als nähte sie jahrelang. Endlich aber, als ich sie weinend darum bat, das Holzmännchen sehen zu dürfen, streckte sie ihren Rücken, stand auf und drehte sich zu mir. In ihren Händen hielt sie ein schwarzes Seidenband, darin eingestickt die Worte: HE IS DEAD.

Put crêpe bows round the white necks of the public doves,
Let the traffic policemen wear black cotten gloves.


“Weitergehen. Gehen Sie weiter. Sie müssen weitergehen.” Der Polizist, der monoton in mein Ohr sprach, ödete mich an. Dumm muss er sein, dachte ich, mir das Weitergehen zu befehlen, ohne die Richtung anzugeben. Ich wollte ihm sagen, dass Gehen eine ganz und gar dumme Sache sei. Kein bisschen klüger, als zu stehen oder zu liegen. Ich will den Ort nicht wechseln, hätte ich ihm gerne gesagt, aber kein Laut verließ mich. Da versuchte er es im anderen Ohr und rief: „Weitergehen, so gehen Sie doch weiter, hier gibt es nichts zu stehen.“ Er kann kein echter Polizist sein, dachte ich, wenn er schwarze anstelle von weißen Handschuhen trägt und mit dem Finger unter die Erde zeigt.

He was my North, my South, my East and West,
My working week and my Sunday rest,
My noon, my midnight, my talk, my song;
I thought that love would last for ever: I was wrong


Ich liebte ihn mit jeder Zelle, jeder Membran, jeder Synapse, jeder Faser, jedem Impuls, jedem Pulsschlag, jedem Griff, jedem Wort, jedem Klang, jedem Blick, in der Zeit und nach ihr, im Schmerz und im Schlaf, jede Minute und jeden Moment dazwischen. Ich liebte ihn rückwirkend für die Zeit vor uns und voraus liebte ich ihn für die Zeit, die kommen würde. Er war jeder Mann für mich. Ich liebte ihn, als er krank wurde und gemein. Ich liebte ihn, wenn er weinte und wenn er wütete. Ich liebte ihn in der Furcht. Ich liebte ihn als Ersten. Ich liebte ihn als Einzigen. Ich liebte seine Handbewegung, mit der er ein Nein untermalte. Ich liebte den Griff in seinen Bart, den er manchmal zuließ. Ich liebte seinen Schwanz und seine Lendenlinien. Ich liebte ihn in mir und mich durch ihn. „Nach mir wirst du es schwer haben“, sagte er, als wir uns in den Armen hielten und durch die Augen in die Seelen blinzelten. „Nach dir gibt es nicht“, legte ich mich fest und versuchte, den Ernst unserer Lage wegzulächeln. „Das Leben hat eigene Regeln“, meinte er. „Ich bin dein Leben, unsere Regel“, erwiderte ich. Ich habe mich geirrt.

The stars are not wanted now: put out every one;
Pack up the moon and dismantle the sun


Zwölf Tage schenkte mir die Bewusstlosigkeit. Dann spuckte sie mich aus auf den Boden der Tatsachen. Ärzte und Schwestern waren bemüht, mich aufzupäppeln. Den Neurologen interessierten meine Halluzinationen. Den Psychiater auch. Was keiner bemerkte: meine Metamorphose zum Höhlentier. Schwester Clarice riss die Gardinen auseinander, ich stand auf und zog sie wieder zu. Dr. Crow leuchtete meinen Augenhintergrund aus, ich schlug ihm die Lampe aus der Hand. Der Psychologe erzählte mir von seinem Leben, seiner Frau, den Kindern und einer Blumenwiese. Ich erbrach mich auf seinem Schreibtisch und verlangte meine Entlassung. Deidre, John und Teresa kündigte ich die Zimmer und die Freundschaft. Sooner hat gelernt, allein spazieren zu gehen: wenn sie zur Tür läuft, ist es Tag. Zum Schlafen kommt sie spätnachts zurück. Dann ziehe ich für eine Stunde die Küchenjalousie hoch und lüfte. Mit der dauerhaften Verdunklung meiner Wohnung habe ich mich von der psychogenen Blindheit kuriert. Licht mache ich trotzdem nicht. Ich finde mich gut zurecht.

Pour away the ocean and sweep up the wood.
For nothing now can ever come to any good.


Unendlich und endgültig: Zwei mal neun Buchstaben, die dasselbe bedeuten. Die Unendlichkeit des Raumes kann ich in meinem Hirn nicht denken, die Unendlichkeit der Zeit kann ich spüren. Als Schmerz. Die Endgültigkeit seines Todes erlebe ich am lebendigen Leib. Und manchmal lache ich über die Lüge des Wortes endgültig. Die Gültigkeit des Todes hat kein Ende. In der Liebe wie im Tod bewegen wir uns nicht auf einer Zeitachse mit einem Anfangs- und einem Endpunkt. Die Endgültigkeit des Todes ist unendlich im Raum und in der Zeit. Die Unendlichkeit von Liebe nicht denkbar, aber zu spüren. Als Schmerz. Und sie ist letztendlich, was mich umbringt – in meinem Raum und in meiner Zeit.

Manchmal schieben sie mir Papier unter der Tür durch oder hängen Sooner eine besprochene Kassette ans Halsband. Eines Tages.... Auch für dich.... wieder schöne Stunden.... eine Liebe... blabla.
Nichts wird wieder gut.
Nichts wird wieder.
Nichts wird.
Nichts.
.

© Ozeana (12/2006)

*Die fettgedruckten Zeilen entstammen dem Gedicht "Funeral Blues" vom W.C. Auden.
Intensiv....
Bewegend, durchdringend, spürbar das allumfassende, quälende Nichts.
********rlin Frau
4.012 Beiträge
Nur der Körper, den wir zeitweise bewohnen stirbt.

Die Seele, der elektrische Funken Leben ins uns, kann nicht vergehen.
*******ant Frau
27.349 Beiträge
Das ist mehr als abgrundtief traurig.
Und ich muss schon wieder weinen.
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