„Wieviel Toleranz braucht eine gute Ehe/Beziehung?
Das ist eigentlich eine sehr gute Frage, bei der es sich lohnt, ein wenig genauer darüber nachzudenken. 🙂
Disclaimer:
Hin und wieder dekonstruiere ich Begriffe gerne. Einfach erklärt ist "Dekonstruktion" eine Technik, bei der ein Begriff einfach wörtlich genommen wird - meistens mit einer eher negativem Absicht. Ich für meinen Teil versuche damit dann aber erstmal das Spektrum der möglichen Gedanken weiter aufzuziehen. Das nur als Disclaimer, bevor ganz große Schlaufüxxe auf die Idee kommen, ich würde den Begriff absichtlich falsch verstehen wollen.
Steigen wir also in eine kleine Begriffsanalyse ein. Nehmt euch 'nen
, macht's euch bequem und los geht's. 🙂
Ich bleibe an zwei Stellen im Satz hängen. Zum einen bei "Toleranz" und zum anderen bei "
gute Beziehung" und der zwischen diesen beiden Elementen erzeugten Abhängigkeitsbeziehung.
"Toleranz" kommt von "tolerare" - und das bedeutet "erleiden" oder "erdulden". Bei Toleranz geht es also im Prinzip darum, etwas auszuhalten, was sich erstmal nicht so gut für einen selbst anfühlt. Behalten wir das für einen Moment im Hinterkopf.
Dann geht es um "gute" Beziehungen. Nicht um, sagen wir, ganz neutrale Beziehungen oder sosolala Beziehungen und schon gar nicht um schlechte.
Die Abhängigkeit zwischen "Toleranz" und "Gutheit" der Beziehung wird durch das "
brauchen" im Mittelteil des Satzes klar gemacht.
Toleranz wird damit zu einer notwendigen aber nicht hinreichenden (denn dann wäre es ja die einzige) Bedingung für eine gute Beziehung. Sprich: "Wenn Toleranz zwischen den Partnern herrscht, dann ist die Beziehung gut."
Da würde bedeuten, dass eine Beziehung (unter anderem) dann gut ist, wenn die beteiligten Partner eine bestimmte Leidensfähigkeit haben und einzelne Eigenschaften, die sie am anderen überhaupt nicht mögen, erdulden können.
Ich denke, ich kann voraussetzen, dass Toleranz als Spektrum betrachtet werden kann. Für den jeweils Einzelnen gedacht, gibt es Eigenschaften, die tolerabel sind und Eigenschaften, die gänzlich untolerabel sind. Die Grenzen der individuellen Toleranz sind dabei durch eben die eigene Leidensfähigkeit und moralische Werte und Normen gesetzt.
Da stellt sich mir nun aber die Frage: Ist der Satz "Beziehungen, in denen Toleranz herrscht, sind gut." wahr? Wenn wir jetzt davon ausgehen, dass Toleranz ein Spektrum ist, müssten wir dann annehmen, dass die "Gutheit" der Beziehung in Abhängigkeit von Toleranz ebenfalls ein Spektrum ist? Wenn ja, dann könnte also behauptet werden, dass eine Beziehung besser oder schlechter wird, je mehr oder weniger die jeweiligen Partner aneinander tolerieren - also wie viele Macken sie aneinander ertragen können, ohne einfach verrückt zu werden.
Da ist dann aber auch noch die Frage nach der Menge. Es geht ja darum
wieviel Toleranz eine Beziehung braucht, damit die notwendige Bedingung für ihre Gutheit erfüllt wird. Überspitzt formuliert: Wie viel Leidensfähigkeit muss der jeweils Einzelne an den Tag legen, um innerhalb der Beziehung das Prädikat "gut" zu verdienen?
Das wiederum ist recht individuell. Ich würde mich an dieser Stelle weigern eine klare Definition dafür abzugeben, da es keinerlei Allgemeingültigkeit für die individuelle Leidensfähigkeit geben kann.
Schlussfolgerungen:
Ich würde zustimmen, dass eine gewisse Menge an Toleranz eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung für die Gutheit einer Beziehung darstellt. Die Frage nach der Menge dieser aufzubringenden Toleranz, lässt sich nicht klar beantworten, da jede und jeder ganz individuelle "rote Linien" hat, die nicht überschritten werden dürfen.
Ich würde genauso nicht sagen, dass eine Beziehung, die von wenig gegenseitiger Toleranz geprägt ist, keine gute ist, da das ja nur ein Baustein der Gutheit ist. Kompromisbereitschaft und gemeinsame Ziele wären ja auch noch da. Unter anderem. Ich denke, da lassen sich noch einige andere Beziehungsbausteine finden, aber die sind eine Geschichte für einen anderen Tag.