Hitze
.Seit Wochen. Ich wünschte, keiner würde mehr atmen. Schlaffe Gesten lechzen nach Erfrischung. Verschwitztes Gelächter steigt auf vom Nachbarbalkon. Deutschland – ein Grillkohlemärchen. Könnte ich doch nur meine Haut ausziehen, klebrig-warme Luft zerteilen, aufsteigen in Tausenderhöhen und dort oben zu einem riesigen kaltfunkelnden Eiskristall werden.
Der Mann, dessen Wochenendbett ich teile in meine und seine Hälfte, vögelt mir mittig die Seele aus dem Leib und füllt die Lücke mit Geilheit auf. Wenn ich nein sage, weil ich noch wund bin vom letzten Mal, sagt er: „Das liegt sieben Stunden zurück – Zeit genug für die Regeneration." Er ist Arzt. Wenn wir nicht vögeln, reden wir darüber, sehen uns Pornos an, auch verfickte Bilder im Internet. Meine Versuche, mich mit ihm zu einigen, ab 35 Grad nicht mehr zu vögeln, scheitern. „Dann will ich einen riesigen Fan-Man“, sage ich. „Den hast du schon“, sagt er, überstreckt mein Becken und bläst geilheiße Luft in meinen Bauch. In der 38sten tropischen Nacht, während ich huschende Schatten auf den Nachbarbalkonen beobachte, frage ich: „Werden unsere Körper einmal satt sein?“. „Nach der Gier kommt wieder Gier“, antwortet er im Umdrehen. „Wäre Herbst, könnten wir Löffelchen machen“, sage ich zu einem Nachtfalter, der noch keinen Schlafplatz gefunden hat.
Im U-Bahn-Schacht ist es kühl. Wie die anderen stehe ich am Bahnsteig quer zum dunklen Tunnel und genieße den Luftstrom, den der Zug vor sich herschiebt und uns Wartenden unter die verschwitzten T-Shirts presst. Von achtzehn Bahnen lasse ich mich abkühlen, bevor ich einsteige. Vier Stationen bis zum Wochenende.
Nächster Halt Hauptbahnhof
Als Erstes nehme ich seinen Geruch wahr. Weitgestellte Nasenflügel neigen sich unwillkürlich nach vorn. Ich speichle umgehend – oben und unten. Unsere Blicke treffen sich, als er mit einem „Pardon“ seinen Aktenkoffer neben unseren Beinen abstellt. Kammerflimmern. Verlegen lösen sich meine Augen aus seinen, mein Blick springt über zur Decke.
„Sieht nicht nach Regen aus“, sagt er.
„Bitte?“
„Oder wonach halten Sie Ausschau?“
„Äh...
Nächster Halt Dornbuschplatz
...Löschfeuer. Nein, Feuerlöscher. Rot. Einem roten Feuerlöscher. Ich schaue aus nach einem roten Feuerlöscher.“
Verkohlte Worte vom Grillhirn verdampfen, bevor sie seine Ohren erreichen, hoffe ich. Er lächelt warmherzig.
„Wo brennt es denn?“
„Hier!“ sage ich ein wenig zu laut und ziehe ängstliche Blicke anderer Fahrgäste auf uns.
„Ja“, bestätigt er ruhig. Einigkeit zweier Namenloser im Schacht.
Nächster Halt Einsteinstraße
Meine Nasenflügel bewegen sich nur noch mechanisch, warten auf Impulse, die nicht kommen. Kann nichts sagen. Müsste vorher einatmen. Wie geht das mit dem Atmen? Vor ein paar Minuten konnte ich es noch. Sagt er jetzt etwas? Ich kann nur noch gucken, ihn anschauen. Mit offenem Mund. Und Scheunentorherz. Die Hitze weicht der Wärme. Spontanverblödung in der Einsteinstraße, denke ich. Ein Nachtfalter würde jetzt helfen. Fahren wir noch?
„Ja“, sagt er.
„Bitte?“
„Wir fahren noch.“
„Hm.“
Nächster Halt Dammtor
Er steht auf, nimmt seinen Aktenkoffer, zieht mich am Arm aus dem Sitz. Dann greift er um auf meine Hand. Ich höre Ansagen auf dem Bahnsteig, sehe viele Freitagsmenschen auf dem Weg nach Hause zur Dusche. Seine Hand ist trocken und warm, meine klebrig und verschwitzt. Oben angekommen blendet uns die Sonne. Hätten wir Hände frei, würden wir Sonnenbrillen aufsetzen. Meine Tasche ist schwerer als seine. Er trägt einen schwarzen Anzug, ich schwitze.
„Ich will mehr als ein paar Sommerficks und abgelutschte Eiswürfel auf meinem Bauch“, sage ich, als er die Balkontür öffnet.
„Mehr als einen Plausch mit einem Nachtfalter“, sagt er und blickt zur Häuserzeile gegenüber.
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© Ozeana (2007)