Dilemma
DilemmaIch habe noch eine halbe Handvoll dunkelviolettpraller Felsenbirnen vom Strauch gerettet, der mir über die Jahre lieb geworden ist. Sie sind jetzt reif und tragen neben den winzigen Kernen eine Portion Abendsonnenwärme in sich, die sich süßfruchtig im Gaumen ausbreitet.
Die anderen waren den gierigen Amseln zum Opfer gefallen. Sie sind die einzigen Vögel, die selbst bei großer Nähe diese Dreistigkeit nicht lassen können. Mundraub. Manchmal fluche ich, weil es wieder nicht für die drei Gläser Marmelade reichen wird, die ich mir seit Jahren zuzubereiten erhoffe: Eins für mich aufs Käsebrötchen, sonntags, wenn Zeit zum Genießen ist und das Radio leise spielt*. Eins für meine Mam. Und eins für M.
M mag Süßes.
Heut morgen saßen wir beim Pausenkaffee, der aus der Zweieinhalbliterkanne eher Sozialklebstoff als Genußmittel ist. Manchmal bringe ich zwei, drei Kuchenteilchen mit, die es nur bei einem Bäcker gibt, und erfreue mich an ihrem Kampf. M sagt dann, sie hätte keinen Hunger. Sie schwindelt dabei ein wenig, denn eigentlich achtet sie peinlich auf ihre Linien. Ich auch, aber anders als sie. Wenn man sie ein wenig kitzelt, wird sie schwach. Das ist niedlich.
Heut morgen hatte sie mich fast soweit, daß ich schwach geworden wäre.
M trägt gern kurze, enge Röcke. Sie mag ihre Beine. Verständlich. Wenn sie sich an den Tisch setzt, schlägt sie die Schenkel übereinander und zupft genierlich den Rocksaum in Richtung Knie, damit kein Unglück passiert.
Soweit, so gut. Nur saß sie diesmal nicht, wie üblich, gegenüber, sondern neben mir, die anderen Stühle waren schon besetzt. M trug Sommerschuhe mit einem dünnen Fersenriemchen und lederner Zehenkappe. Büroschuhe, sagt sie, obwohl sie auch für draußen tauglich wären. Gerade so, jedenfalls.
Und während M damit kämpfte, den Kuchen zu verweigern oder anzunehmen, kämpfte ich. Mit dem Bedürfnis, mit meinem Zeigefinger in den Zwischenraum zwischen nackter Fußsohle und Absatz zu fahren und diese zart gefaltete, rosabraune Haut zu streicheln, gerade so, daß es nicht unaushaltbar kitzelt und doch ins Rückenmark vordringt. Und einer beginnenden Erektion.
M's Mobiltelefon löst die Situation. Ein Kunde. Der Kuchen verschwindet mit ihr.
* Paul Weller: You do something to me