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Yael

Yael
Inmitten einer Gruppe von vor allem schwarz gekleideter Männer stehe ich vor dem windschiefen Quader des neuen Museums aus Stein, Stahl und Glas, in den großflächig Nischen wie Wunden geschlagen sind. Durch Lautsprecher die üblichen Dankesreden, in denen sich Politiker doch nur im Endeffekt selbst loben ...

Ich schalte innerlich ab, rücke meinen Hut noch weiter in den Nacken, als könnte ich die Frau, die etwas weiter von mir vor mir steht, nur so besser betrachten. Ich vermute, dass sie eine Journalistin ist. Sie trägt einen weißen leichten Sommermantel, Blue Jeans und picobello weiße Sneakers - etwa eine Amerikanerin? Über ihrer rechten Schulter hat sie eine abgegriffene Ledertasche gehängt, wie ich sie von Kradmeldern kenne.
Aufrecht und gestreckt steht sie da mit den Händen in den Taschen; leicht könnte man ihr Hochmut unterstellen oder dass sich in ihrer Haltung die trotzige Selbstbehauptung einer Emanze erkennen ließe - dabei teilt sich vielleicht lediglich so ihr Stolz oder ihre Unsicherheit mit?
Aber weil hier wie sonst auch die Orthodoxen den Ton angeben, ist sie einfach nur deshalb schon interessant, weil sie eine der wenigen Frauen ist. Und dennoch: Ich sehe sie nur von leicht schräg hinten und bin schon in sie verliebt - wie kann das sein? Wie soll man eine Person "sehen", "erkennen", gar "lieben" können, deren Antlitz einem noch unsichtbar ist?
Mit den Augen streiche ich ihren langen, schlanken Hals und Nacken auf und ab. Was problemlos möglich ist, denn die schon obligatorischen krausen (für die Leute hier), kastanienbraunen (und nicht schwarz, was wiederum untypisch ist) Haare trägt sie kurz wie ein Junge, in einer Art römischen Stil würde ich sagen, was allerdings ihren weiblichen Reiz für mich nur erhöht. Ausserdem kann ich noch ihre Ohrklipse erkennen, die wie aus Bernstein warm glimmen - dann werde ich aufgerufen und bin an der Reihe.

Verlegen schaue ich in die verschlossenen Gesichter vor mir; das Eis bricht aber zusehends schnell, weil ich polnisch rede. Dabei habe ich es nie gelernt, nur eine Vielzahl von Gedichten und Liedern auswendig gelernt, deren Textstellen ich jetzt zu irgendetwas Neuem, das offensichtlich doch zum Anlass passt, zusammenfüge, das mir Schutzwall genauso wie Waffe ist und ich einige Spitzen gegen die architektonische Ignoranz des Bauwerks in meinem Rücken schadlos abfeuern kann ...
Was Persönliches kann ich vortragen, was endlich einmal zur Gelegenheit passt und exemplarisch für alle steht?
Als ich dazu "Oy, vu nemt men tsurik di yorn, yene sheyne tsayt?" wähle, schlägt mir schließlich aus den Blicken eine Woge der Wärme, des Glühens, des Brennens und Dankbarkeit entgegen - aus dem Blick der schwarzen Augen der Unbekannten jedoch, so bilde ich mir ein, schlagen mir offene Flammen entgegen, die ich nicht richtig einordnen kann, ob sie feindlich oder freundlich beabsichtigt sind?

Im Foyer Small Talk und Höflichkeitsfloskeln bei Sekt und kleinen Häppchen. Unvermittelt steht die Unbekannte vor mir. Offen und direkt hat sie mich gesucht und richtet das Wort in breitestem Amerikanisch an mich als hätte sie überhaupt keine Zeit zu verlieren: "May I address ya in English if ya doan mind?"
In kurzen Sätzen erklärt sie mir, warum sie hierher nach Warschau gekommen ist, um Gewissheit über das Schicksal ihres Großvaters zu erlangen, dessen Spuren sich Anfang '45 in Buchwald verlören - offensichtlich weiß sie nicht, dass sich die Polen und Russen freiwillig und als Erste zum Evakuierungsmarsch aus dem Lager gemeldet hatten, in der Hoffnung während des Marschs abhauen zu können - doch den Marsch überlebte keiner, weil sie alle erschossen wurden.
But ... it' s not my job to tell her about that; she'll find out the truth by herself ...

Ich bin von dieser Frau gefangen, die auf mich so apart wirkt. Einerseits verkörpert sie eine New England Lady und Beauty, andererseits eine Slavin mit dem Element des Vieldeutigen und Geheimnisvollen ... und dann noch wie zum Überfluss die unausweichlichen Schwingungen einer Jüdin.
Fremdheit, Finesse, Koketterie, Zeitlosigkeit, Geschichtsschwere, gnadenlose Direktheit alles in einer Frau. Undechiffrierbar scheint sie, bleibt unnahbar und entgleitet je näher man ihr kommt - doch auch ich muss ähnlich auf sie wirken, dann wenige Zeit später sind wir zusammen in einem Hotelzimmer.

Nachdem wir unsere Koffer abgestellt und unsere Mäntel abgelegt haben, umarmen wir uns. Ich werde von außergewöhnlicher Wärme und Wonne durchstrahlt. Eine Magie überträgt sich uns wechselseitig in der Stille des Zimmers und in unserem Schweigen.
Und dann etwas, das ich bis dahin noch nie erlebt habe: Sie kommt, als ich sie stärker an mich drücke, weil ich den Eindruck hatte, sie wolle sich von mir lösen ... Dann halte ich sie erst recht, fester und inniger wie ich noch nie eine Frau davor gehalten habe; bis ihr Beben in ein Zittern übergeht, bis es schließlich ganz abgeebbt ist. Und darauf vergeht in der Nacht kein einziger Moment, in dem wir nicht auf die eine oder andere Art in Berührung sind ... Als ich dann in ihr komme, ist es so viel mehr als ein Orgasmus, es ist als hätte ich meine lange verlorene Heimat wiedergefunden. Ein in sich geschlossener Raum, der auf jeder Seite offen ist, aus dem ich ausströme, um in ihr vollständiger, reichhaltiger und größer als ich jemals war, wieder zusammengesetzt zu werden ...

Am Morgen sagt sie mir unter Tränen zum Abschied, dass sie gehen muss, alleine gehen muss. Legt mir ihren Zeigerfinger auf den Mund, als ich protestieren will ... umarmt mich, entreisst sich von mir mit den letzten Worten: "There's no redemption for us." Für uns gibt es keine Erlösung, ich weiß ... ich will aber so tun, als gäbe es eine ...
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