Feingewiegtes
FeingewiegtesIch schaue Deinen Rücklichtern hinterher, bis sie längst hinter der langgezogenen Kurve verschwunden sind. Heidi taucht in meinem Kopf auf, die sich mit mir als Fünfzehnjährigem fast strafbar gemacht hätte. Später, als ich schon studierte, habe ich ihr das Wohnzimmer tapeziert, aus dessen großem Fenster man über die Felder in Richtung des Moores blicken konnte. Das Haus war ihr kleiner Traum. Drei Jahre später zog ihr Mann aus. Wie geht der Spagat zwischen Leben und Leidenschaft?
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Mein Schatten schiebt sich im orangegelben Licht der Laterne über die brusthohe Mauer aus hartgebrannten Ziegeln. Er hat die Hände tief in den Taschen vergraben. Eine Frau grüßt. Ihr weißbrauner Terrier bellt. Ich nicke ihr gedankenverloren zu, während wir uns auf dem schmalen Bürgersteig aneinander vorbeischieben. Schöne Locken. Ein Hauch Minze in der kühlen Luft.
Über den Restlichthimmel ziehen zwei mißmutige Krähen auf der Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht. An der alten Eibe, die den Eingang zum Waldpark markiert, warte ich auf den Hund, der sich in einer Fährte festträumt. Die roten Früchte, von denen ich im Herbst nasche, bis mir die klebrige Süße am Gaumen zu viel wird, hängen nach dem Winter zusammengeschrumpelt im nadeligen Dunkelgrün. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen: Sie rollen nun wie Rosinen über die Zunge und schmecken ausgewogener, aromatischer.
Am Beton des Laternenmastes ein Hilfeschrei unter transparentem Klebeband: Julia und Falko suchen ihren Ehering, silbern, Dezember 1997. Lange her. Der Kies knirscht unter meinen Schritten. Meine Gedanken wandern zurück in der Zeit.
Die Tanzfläche im Frühstückssaal des Hotels war nicht groß. Die Atmosphäre familiär, das Einzugsgebiet der provisorischen Disco überschaubar. Die Musik aus Italien, Westberlin und Frankfurt. Der Martini billig.
Und ihr Arsch in der weißen Jeans ein 45-Tesla-Augenmagnet.
Perfekte Birnenform, flankiert durch eine unverschämt griffige Taille und Beine, die die Schwingungen aus den Boxen fehlerfrei in bewegte Anmut übersetzten. Zu Fancy durfte ich ihren Körper mit kleinen Druckverlagerungen meiner Finger auf ihrem linken Schulterblatt über den Marmorfußboden führen. Darüberhinaus war ich ihr nicht gewachsen. Der Inhaber des Hotels auch nicht. Seinen Spaß bezahlte seine Frau mit gebrochenem Herzen und einer Alkoholvergiftung zu Silvester, nachdem sie die noch warme weiße Jeans und den Rest nebst Mann verteilt in Zimmer 17 fand. Was machst Du wohl heute, Claudia?
Ich habe mich ein wenig im Park verloren. Nicht mehr viel Zeit, dann wirst Du nach einer Stunde Fahrt an meiner Tür klingeln. Ich muß mich sputen.
Deine Schritte hallen leise im Treppenhaus, Du trägst flache Schuhe. Sie sehen gut aus neben meinen, denke ich leise. Ich habe ein wenig Angst, es laut zu denken. Deine Umarmung von unten ist warm, auch wenn Deine Jacke außen kalt ist. Wie schaffst Du es, soviel Liebe auszustrahlen?
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Du liegst noch im rotgrau bezogenen Bett, und bis auf Deinen blondbewuschelten Hinterkopf oben und Deinen nackten linken Fuß unten hat Dich die daunenpralle Decke vollständig im Griff. Ich bin schwer versucht, Dich wachzukitzeln und mich an Dir zu vergehen. Meine Großhirnrinde übernimmt jedoch sofort wieder das Steuerrad vom testosteronanfälligeren Mandelkernkomplex: Der Abend war lang und die Nacht kurz. Und auch ansonsten wird Dir ein wenig Regeneration gut tun. Du chauvinistischer Arsch, denke ich grinsend über mich selbst: Sie hat Dich runtergeritten.
Zum Frühstück brate ich Dir zerbröckelte, panierte Blutwurst an. Auf Buttersemmel wird sie wunderbar schmecken. Du wirst Deine bettwarmen Füße in meinen Schoß legen und schnurren.
* Dr. Project Point Blank Blues Band: A Song for V.