Fremd
Vor zwei Stunden in dem Café wusste ich bereits nach Minuten, wohin ich mit uns will. Das Gespräch und das eine Telefonat am Abend zuvor hätte ich dafür nicht gebraucht. Sie ist witzig und charmant, sehr belesen, sie erscheint selbstsicher. Wie zwei von einer Datingplattform für Anspruchsvollere sind wir, vielleicht aus der Abteilung „Weltoffene Konzepte“. Die Allgemeinplätze unserer Unterhaltung gäben das her. Unsere tatsächliche Rubrik bleibt unangesprochen. Meine Chemie jedenfalls ist noch anders und von ihr darf ich es annehmen. In Gedanken habe ich sie bereits berührt, überall. Fast physisch konnte ich es fühlen, die Wärme ihrer Haut, die Nässe an ihr. Alles neu, wie es hoffentlich sein wird. Ich erkenne keine der anderen Frauen in ihr wieder. Die Entdeckerroute wird durch unbekanntes Tastland führen, ich habe keine Ahnung, ob sie rasiert ist, ob sie Piercings hat, wie sie riecht. Warum ich mich nach dieser Unvertrautheit so sehne, weiß ich nicht. Jetzt denke ich nicht weiter darüber nach, ich vertue keine Zeit mit Unnützem.
Sie steigt zu mir in den Wagen, lässt sich nach Hause fahren. Eigentlich kann ich mich noch nicht des notwendigen Vertrauens für würdig erwiesen haben. Ich ziehe daraus meine Schlüsse, parke zwischen zwei Laternen unter einem Baum im Dunklen. Es ist Irrsinn, wie unvernünftig von uns beiden. Wir rauchen bei geöffneten Fenstern. Ich glaube, sie hat für einen Moment gezittert; ich würde es mir wünschen. Die Stille zwischen uns ist gut. Ich halte meine Zigarette aus dem Fenster, wende mich wortlos zu ihr und lege die freie Hand an ihren Nacken und umfasse ihn sanft. Ich spüre feine Härchen mit meinen Fingerspitzen und ein Zucken an ihrem Hals und denke nicht daran, kein Glück bei ihr zu haben. Sie schließt die Augen, senkt den Kopf, ihre Hände liegen in ihrem Schoß. „Alles gut“, sage ich, „alles gut.“
m.brody
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