4. Teil
Schleyer saß in seiner Dienststelle. Das Telefon klingte: „Mehring, Gerichts-medizin Hamburg. Die tote Frau ist zwischen 30 und 35 Jahre alt, sie lag vor dem Auffinden ungefähr 3 - 4 Tage im Wasser, in den Lungen befand sich kein Wasser, demnach war sie zum Zeitpunkt des Verbringens schon tot. Die Brustwarzen wurden mit einem Skalpell abgetrennt. Bei der Leichenschau entdeckte ich einen Einstich in der linken Halsseite. Eine toxikologische Untersuchung ergab, dass die Frau mit einer Überdosis Morphium getötet wurde. Ich gehe anhand der Umstände davon aus, dass der oder die Täterin chirurgisches Hintergrundwissen besitzt. Bezüglich der Beschaffung des Morphiums gibt es einige Möglichkeiten, Krankenhäuser, vielleicht aber auch Privatbesitz aufgrund Erkrankungen im familiären Umfeld.“
„Hmm, hmm.“ brummte Schleyer. „Legen Sie mir den Obduktionsbericht auf das Fax? Die Bilder der Toten erscheinen morgen in allen größeren Tageszeitungen. Vielleicht haben wir ja bald einen Treffer.“ sagte Schleyer. „Noch etwas." Mehrings Bericht war noch nicht zu Ende. "Die Tote war schwanger, im 3. Monat. Spermaspuren an ihrem Körper waren aufgrund des Verbleibens in dem Salzwasser leider nicht mehr möglich. Auch keine Anzeichen eines Sexualdeliktes.“ „Alles klar, ich danke Ihnen, Herr Dr. Mehring. Auf Wiederhören.“ Schleyer legte auf und knetete sein Kinn. Morphium. Der Polizist erhob sich. Er musste zu Fessler.
Fessler und Schleyer trafen sich mittags bei Gosch zum Mittagessen. „Die Akten sind unterwegs, ich denke, dass sie in ein paar Stunden hier sein dürften.“ sagte Fessler und kaute seinen Bismarck. Schleyer gönnte sich eine Scholle mit Kartoffelsalat. Die beiden Männer saßen in Eintracht an einem der Tische und sahen dem bunten Treiben auf der Promenade zu. Die Sonne schien, fröhliche Menschen; nichts erinnerte an den grausamen Fund wenige hundert Meter von der Postkartenidylle entfernt. Natürlich war es DAS Gesprächsthema, aber man wollte die Touristen nicht verschrecken. Schlechte Publicity verdarb nun einmal das Geschäft.
Fessler wischte sich dem Mund mit der Serviette ab: „Also, wie gesagt, die eine Tote damals fand man im Hamburger Hafenbecken; sie muss schon länger dort gewesen sein, man vermutete, dass sie sich unter einem der Pontons verfing, dann aber durch die Strömung losgerissen wurde. Wir konnten sie durch ihre registrierten Fingerabdrücke identifizieren. Nichts Wildes, kleines Drogenvergehen. So kamen wir an ihren Namen und ihre Tätigkeit. Sie war bei der Begleitagentur „Lonely Boys“ als Callgirl, galt als zuverlässig, beliebt.
Ursprünglich kam sie aus einem kleinen Kaff aus der Nähe von Cloppenburg. Ihre Eltern fielen damals natürlich aus allen Wolken, keine Frage. Biedere, redliche Familie und dann die Tochter im Rotlichtmillieu. Für den Vater war es ganz schlimm. Das einzige Kind. Immer behütet wie ein Augapfel. Aber wie so oft, dem Küken wurde das Landleben zu fade, sie wollte hoch hinaus, ging nach Hamburg. Ihren Eltern teilte sie mit nebenbei gute Nebenjobs zu haben, einen vermögenden Freund und wenn sie zu Besuch kam, argwöhnten die Eltern nichts. Der Kleidungstil, das teure Auto, nun, die Eltern dachten einfach, dass ihre Tochter das große Los gezogen hat.
Man ermittelte in alle Richtungen, doch das erwies sich als schwierig. Die Agentur zeigte sich erst nach massivem Druck der ermittelnden Polizei kooperativ. Man wollte natürlich nicht durch Nachfragen das Klientel verschrecken. Alle Ermittlungen führten jedoch in eine Sackgasse, so, dass die Akte dann erst einmal geschlossen wurde. Ein schwerer Schlag, nicht nur für die Eltern. Da trieb ein Perverser sein Unwesen und Du kannst nichts machen.
Die Leiche in der Spree war auch eine Studentin, die aber auf eigene Rechnung ihre Dienste anbot. Jennifer Feiler. Die Tote konnten wir auch nur durch die Veröffentlichung eines Fotos identifizieren; der Vermieter meldete sich damals. Jennifer kam aus der Nähe von Leipzig, Vater unbekannt, Mutter verstorben, keine sonstigen Verwandten. Ein Mensch, den man quasi gar nicht vermisst, traurig das Ganze, sehr traurig.
Die gleiche Verstümmelung, ein Profiler wurde angeordnet, der aus meiner Abteilung kam. Hans Moldau. Sehr spezieller Mann, wahnsinnig menschenscheu, man könnte schon sagen, fast autistisch, aber der hatte eine Spürnase, nahezu unheimlich ... Er konnte auch nicht sagen, ob der Täter ein Mann oder eine Frau ist, bescheinigte aber medizinische Kenntnisse und das Verstümmeln als eine Art Ritual. Moldau glaubte sogar, dass die Brustwarzen als eine Art Trophäe aufbewahrt wurden.
Schleyer unterbrach sein Kauen und starrte Fessler an: „Ein Sadist? Serienkiller? Und hier, das 3. Opfer? Na, das kann ja heiter werden. Da dauert es nicht lange und uns wird der Fall abgezogen und Ihr könnt weiter ermitteln.“ Der Dorfpolizist lächelte schief. Das fehlte noch, die ganzen hochgestochenen Schnösel, die hier jedes Sandkorn mit ihrer Forensik, Analytik und Fallstatistik aufwirbeln würden. Fessler grinste. Er ahnte, was in seinem Gegenüber vorging. „Natürlich wird man kooperieren.“ sagte er versöhnlich und lächelte verschmitzt. Schleyer lachte verlegen. Man verstand sich, ohne Worte, fast wie ein altes Ehepaar.
Irgendwo in Deutschland bugsierten um die gleiche Uhrzeit behandschuhte, behutsame Finger zwei blutig-verkrustete Brustwarzen in ein Gefäß mit Formaldehyd; auf einem Zettel wurde die Beschriftung Nr. 3 angebracht. Die Erinnerungen an die Schreie, an die Qualen und an das Hochgefühl, das einen überflutete, wie das Wasser die Leichen der Frauen, unvergesslich ...