Das süße Stück
nach einer nie geäußerten Idee von Hedwig Courths-MahlerFast wäre ich über sie hergefallen, erlegen ihrem zarten Teint, gelockt von ihrem süßen Duft, der mich umschmeichelte. Doch ich musste warten, sie sanft betten inmitten der groben Kleinodien, die ich an diesem Nachmittag gesammelt hatte und mich anschickte, nach Hause zu tragen. So war es Tradition seit jeher, schon ab meiner fernen Kindheit. Seither war ich ein hingebungsvoller Jünger ihres Zaubers. Erst war, ehe der Handel beschlossen, einen Teil meines Lohns zu entrichten, abgerungen der täglichen Fron. Erst dann würde ich in sichere Entfernung und in der Höhle des Beuteguts sie ihrer schützenden Gewandung entkleiden dürfen, würde vielleicht – wenn es die Umstände erlaubten, meine Zunge sich ihr ehrfürchtig und behutsam nähern und sie meinen blanken Fängen nicht mehr entkommen können …
Ich war zuvor auf der Suche nach ihr und fand sie endlich, an jenem Ort, wo sie tage – ja wochenlang auf mich wartete, und – so stellte ich mir vor, ihre Sehnsucht meiner Begierde entgegen schimmerte im silbernen Kleid wie ein Stern, den zu pflücken, der Himmel mir selbst empfahl und dessen Licht mir durch die halbdunklen Gänge der vielen Lockungen des Schicksals den Pfade des törichten Laster wies. Am Wegesrand lagen die 7 Todsünden, die ich jedoch heute verschmähte. Sie war die Wahre und Einzige, der meine ganze Liebe galt.
Nur war es so weit. Ich war im Begriff, die Einzige, die Schöne zu erwerben, froh und wohlgemut, dass ich sie mir leisten könnte. Die Göttin, die daselbst ruhte auf dem Thron des goldenen Olymp heiliger Hallen und gnädig meine bescheidene Opfergabe mühseliger Tränen entgegennahm mit Sonnen gleichem Lächeln, zog die Erbetene über den Lichtstrahl der Erkenntnis, zu messen Gewicht und Preis, samt der restlichen Kleinodien, deren Ausbeute meinen Lieben im vertrautem Heim zum Fest gereichen sollte. Sieg- und ruhmreich würde ich durch die Tore meiner Residenz einziehen, bejubelt und freudig begrüßt von den Meinen, als käme ich von einer Odyssee endlich in mein angestammtes Land, im dem schon Veilchen und Stiefmütterchen von weitem leuchteten.
Doch nun galt es auch List und Tücke vor dem Triumphzug walten zu lassen. Sie war gerade an diesem Ort des Friedens und der Harmonie gefährdet, wusste es aber noch nicht. Sie musste beschützt werden – vor dem lüsternen Blick des halbwüchsigen Jünglings, dem Nimmersatten, den begehrenden und liebkosenden Händen des nymphenschönen Mägdeleins, den eifersüchtigen Nachstellungen der Domina, die keine Gnade der Nebenbuhlschaft duldete, noch die Tugend des Hausherrn in Zweifel gezogen sehen wollte.
„Still!“, flüsterte ich meiner heimlichen Geliebten zu, die noch immer unter Beute und Trophäen ruhte. „Keinen Ton! Sonst bist Du mir verloren und es würde Dir ergehen wie Deiner älteren Schwester, die vor nicht einem halben Jahr dem Gelüste jäher Gier der ruchlosen Bande zum Opfer fiel, bevor ich mich dazwischen werfend, ihr zur Hilfe und Rettung eilen könnte. Um Haaresbreite zu spät – und sie verschwand im Schlund züngelnder Ungeheuer. Ich litt noch immer darunter und die Schmach des missglückten Kampfes brannte glühend in meiner Seele.
Doch diesmal nicht. Diesmal sollte der leidenschaftliche Jüngling weder ihre Jungfräulichkeit noch ihre Reinheit süßer Gedanken rauben, der Barbar und Wüstling mit starker Hand. Allein der väterliche Zorn konnte nichts ausrichten, kein Gebot, kein Verbot, kein Riegel, der die Kammer verschloss. Zudem ist er ja mein Fleisch und Blut, Sohn des listigen Vaters.
So schmuggelte ich das süße Stück verwegen unter den Adleraugen des Volkes, das sich indes auf die Beute stürzte, während meine Kostbarkeit unsichtbar in meiner Gewandung die Weiten meines Reiches betrat. Nicht der Schrank eignete sich als geheimes Lager, nicht die kühlste Ecke des Hauses, das ständig der Belagerung ausgesetzt, mit der unsicherste Ort schien für die Geliebte, nicht die Ecke des Hundes, der für ein Stück Wurstzipfel selbst das Hühnerauge seines Herrn verraten w und zugleich die schlanke Gestalt der Begehrten an den Hamster verfüttern würde, geriete es ihm nur zum Vorteil.
Nein, die Bücherwand schien die sicherste Herberge, fiel die Geliebte unter der bunten Reihe bedeutender Werke nicht sonderlich auf.
Und so war und geschah es.
Doch an jenem Abend, als die die Stille sich nach der Tages Last und Lust sich ausbreitete und der matte Schein des Mondes durch die Fenster floss, da war es um mich geschehen. Es drängte mich endlich – nach der Vereinigung, nach der gegenseitigen Verschmelzung wie die Einlösung eines Versprechens, deren wir beiden im ewigen Seufzens gegenseitiger Liebe entgegenfieberten.
Und ich öffnete zunächst einen schweren roten Wein, lieblich sein Bukett, wohl temperiert und goss diesen in das dafür vorgesehene Gefäß.
Ich griff nach ihrer Gestalt, mein Blick liebkoste sie; ein letztes, kurzes Zögern, aber dann entschieden entkleidete ich sie ihrer silbernen, enganliegenden Haut und ich hielt sie bloss und nackt und in ihrer köstlichen Schönheit in meinen Händen.
Und endlich wurden wir vereint – meine Schokolade und ich.
©Dreamy2017
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Vorsicht Satire!